Alle Beiträge von Matthias Heitmann

Besatzungsmacht wider Willen?

„Seit Beginn der 90er-Jahre werden – mehr aus Ratlosigkeit denn aus Überzeugung – internationale Protektorate in Krisenregionen errichtet. Im Irak nimmt die Verunsicherung der Besatzer neue Formen an.“

Der Artikel ist in Novo71 (Juli/August 2004) erschienen.

Verkehrte Welt: Die USA verlieren den gewonnenen Krieg

„Weder irakische Widerständler noch die Argumente westlicher Kriegsgegner machen Washington zu schaffen – es ist vielmehr die eigene Unsicherheit und die Ziellosigkeit, die die amerikanische Führung zurück in die Arme der Vereinten Nationen treiben – zu Lasten der irakischen Bevölkerung.“

Der Artikel ist in Novo69 (März/April 2004) erschienen.

Neuerscheinung: „Neue Weltordnung“

Matthias Heitmann: „Neue Weltordnung“, Buch in der Reihe „Wissen 3000″ 96 Seiten Europäische Verlagsanstalt, Hamburg, März 2004 ISBN 3434461965 € 8,60

Die „Neue Weltordnung“ ist neu, aber zugleich auch alt: Sie ist neu, weil der alte, die Welt in zwei recht stabile Lager teilende Systemkonflikt nicht mehr existiert. Sie ist jedoch insofern alt, als dass sie an alten Widersprüchen krankt und das Fehlen neuer, die Welt kohärierender Visionen die alte Frage nach der Legitimation von Machtverhältnissen wieder aufwirft, dies sogar deutlicher denn je.

Das Buch zeichnet kurz und knapp die Geschichte der Weltordnungen seit der Kolonialzeit nach, sowohl auf der Ebene der historischen Ereignisse als auch auf der Ebene der ideengeschichtlichen und ideologischen Entwicklung. Besonderes Gewicht wird auf die Analyse des Zusammenhangs innenpolitischer und außenpolitischer Prozesse gelegt.

Der letzte Abschnitt des Buches widmet sich den aktuellen politischen Trends und den sich hieraus ableitenden Fragen, die die aktuelle Debatte über die Zukunft der Neuen Weltordnung nach dem 11. September 2001 prägen. Der Autor kommt zu dem Schluss, dass die gängigen Erklärungsmuster der neuen Qualität der globalen Veränderungen oft nicht gerecht werden und stellt dem einen eigenen Ausblick gegenüber.

Folgende Kundenrezension erschien auf www.amazon.de:

„Normalerweise sind solche kleine Einstiegsbüchlein zu solch komplexen Themen wie etwa ‚Neue Weltordnung‘ sehr dürftig. Denn sie teilen dem Leser oft nur Dinge mit, die dieser eigentlich schon ‚weiß‘. Dieses Buch von Matthias Heitmann aber ist eine originelle Ausnahme. Es betrachtet die gegenwärtigen turbulenten Umbrüche in der Weltpolitik aus einem erhellenden neuen Blickwinkel und kann so auch von hochdotierten Publizisten mit Nutzen gelesen werden. Sehr erfreulich ist, daß Matthias Heitmann die amerikanische Außenpolitik zwar kritisch betrachtet, ohne aber dabei auf den billigen Anti-Amerikanismus zurückzufallen, den der gegenwärtige populäre Diskurs prägt. Heitmanns ‚Neue Weltordnung‘ räumt mit entscheidenden Vorurteilen auf über eine angeblich unilateralistische und auf Weltherrschaft und Ölausbeutung ausgerichtete amerikanische Außenpolitik, die von perfiden Konzernen wie etwa Halliburton geprägt würde. Dabei kommt Heitmann aber mitnichten zu dem Schluß, daß es sich bei der gegenwärtigen westlichen Politik um eine Abkehr von Machtpolitik per se handelt. Sondern er deckt gerade die spezifischen Legitimationsmuster gegenwärtiger westlicher Machtpolitik auf, einer Machtpolitik, die sich in den Jahren nach Wegfall des Eisernen Vorhangs fast ungehindert entfalten konnte. Dabei fällt dem Leser auf, daß die vieldiskutierte und zu recht kritisierte ‚Bush-Doktrin‘ keineswegs so neu ist wie viele meinen; denn eine ‚präventive‘ Machtpolitik wird schon spätestens seit Mitte der 90er Jahre auf beiden Seiten des Atlantiks gutgeheißen. Vor diesem Hintergrund erscheint die Frage, ob das westliche transatlantische Bündnis vor einem Bruch steht, in einem ganz anderen Licht. Heitmanns Buch kann so auch von historisch interessierten Menschen mit Nutzen gelesen werden, da es die ideologischen Fundamente unserer gegenwärtigen ‚Weltordnung‘ in einen erhellenden Vergleich zu früheren Ideensystemen setzt.“
(„krogusch“ auf Amazon.de, März 2004)

„Die zum zweiten Mal in den Fluss steigen, in dem sie beim ersten Mal schon ertrunken sind“

Ein gescheiterter Versuch, das neue Grundsatzprogramm von Bündnis 90 / Die Grünen ernsthaft zu kommentieren

 

Liebe Novo-Redaktion,  lieber Herr Deichmann,

Sie hatten mich gebeten, einen Kommentar über das neue Grundsatzprogramm von Bündnis’90 / Die Grünen zu schreiben.

Ich habe mich nun durch das ellenlange Werk genagt, Wort für Wort, und ich bin – das muss ich Ihnen ehrlicherweise gestehen – ratlos. Ich kann den Auftrag leider nicht erfüllen, ich bin schlicht und ergreifend am Versuch gescheitert, etwas Sinnvolles über dieses Parteiprogramm zu schreiben.

Das Denkwürdigste am neuen Grundsatzprogramm der Bündnisgrünen ist die von ihm ausgehende gähnende Langeweile und das jegliche Fehlen ausformulierter Eckpunkte, die über Floskelniveau hinausgehen und an denen man sich reiben könnte. Wenn man eine Formulierung gefunden hat, die es wert wäre, kritisiert zu werden, findet sich mit 1000-prozentiger Wahrscheinlichkeit im weiteren Verlauf die vollständige Verwässerung.

Die wirklich einzige interessante Formulierung auf den 118 (in Worten: einhundertachtzehn) heruntergeladenen Din-A-4 Seiten des Grundsatzprogramms ist in der Tat der Terminus „Politik auf Kindernasenhöhe“. Zunächst freute ich mich schon, denn dies ist ein dankbarer Aufhänger: Wie schön hätte man die Problematik dieses Begriffes aufzeigen können, nach dem Motto: Wer „Politik auf Kindernasenhöhe“ betreibt, hat noch nie einen Tellerrand gesehen, geschweige denn darüber hinaus. Der Weitblick, den ja der Programmtitel „Grün 2020“ vermuten lässt, endet unter Beibehaltung dieser starken „Bodenhaftung“ am nächsten Gartenzaun. Insbesondere auf die Wissenschaftspolitik hätte man dieses Bild schön übertragen können. Gerade die grüne Angst, genau die Bürgerinnen und Bürger, die es ja scheinbar wert sind, durch immer weitergehende Demokratisierung von Staat und Gesellschaft an nahezu allen Entscheidungen beteiligt zu werden, würden bei einer Weiterentwicklung der Präimplantationsdiagnostik (PID) umgehend perfekte Arier-Embryonen klonen, wäre ja ein schönes Beispiel gewesen. Hier reicht die grüne Weitsicht offensichtlich nicht einmal bis zum Brett vor dem eigenen Kindskopf.

Leider wird aber auch dieser Punkt kaum elaboriert und bleibt leer, wie alle anderen auch. Das Programm besteht ausnahmslos und hektoliterweise aus kaltem, entkoffeiniertem und extrem magenschonenden Kaffee und ollen zuckerfreien Kamellen, bereinigt von jeder Geschmacksnote und grüner Verbalradikalität.

Auch das kann man natürlich als Aufhänger für einen Kommentar nutzen. Aber da es wirklich kaum eine ödere Lektüre als dieses Grundsatzprogramm gibt, fällt es schwer, inhaltlich bissig zu werden, ohne kilometerweit auszuholen. Ich finde es daher sehr schwer, mich in etwas Anderem als in der vollständigen Inhaltsleere und dem vollständigen Realitätsverlust des grünen Friede-Freude-Öko-Kuchen-Gesülzes festzubeißen. Und selbst das mag mir nicht recht gelingen. Es ist wie beim Kaugummikauen: Der Gegendruck kommt ausschließlich von den eigenen Zähnen.

Vielleicht fällt Ihnen noch irgendetwas ein, wie man das aufziehen könnte, ich bin ratlos ob der Leere dieses Programms, es läuft einem wirklich wie Wasser durch die Finger. Für einen Hinweis wäre ich sehr sehr dankbar.

Kollegiale Grüße

 

P.S.: Damit Sie verstehen, was ich meine, habe ich ein paar Zitate angefügt, die getroffene Aussagen sofort verwässern oder erst gar nicht treffen. Vielleicht können Sie ja was daraus machen.

  • Wissenschaft: Die Freiheit von Wissenschaft und Forschung ist ein zentraler Wert demokratischer Verfassungen… Deswegen kritisieren wir die Gentechnik da, wo sie den Menschen in seiner Würde angreift, indem sie ethische Grenzen ignoriert oder durch die Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen unverantwortliche Risiken schafft… Unsere Kritik an der Nukleartechnik schließt die Fusionstechnologie ein, deren – unwahrscheinliche – Verwirklichung unbeherrschbare Folgeprobleme für Umwelt und Gesellschaft schaffen würde… Doch bündnisgrüne Politik erschöpft sich nicht im Warnen.
  • PID: Die Menschen in unserer Gesellschaft sind eigenständiger und selbstbewusster geworden… Die Präimplantationsdiagnostik als eine Methode zur Selektion behinderten Lebens bei künstlicher Befruchtung lehnen wir ab, auch wenn sie für einzelne betroffene Elternpaare eine zusätzliche Entscheidungsoption sein mag.
  • Verkehr: Mobilität ist… eine Grundbedingung individueller Entfaltung sowie sozialer und wirtschaftlicher Teilhabe… Unsere Ziele sind deshalb: Unsinnigen Verkehr vermeiden, Straßen- und Flugverkehr auf die Schiene verlagern, Emissionen vermeiden.
  • Medizin: Ziel… ist ein Gesundheitssystem, in dem alle in Deutschland lebenden Menschen freien Zugang zu den… notwendigen Leistungen erhalten… Der medizinische Fortschritt stellt uns vor die Frage, ob das technisch Mögliche auch das moralisch Vertretbare sowie das gesellschaftlich Richtige ist.

 

Erschienen in Novo58/59, Mai 2002