Seine Attacke gegen Laurenz Mayer kostete Jürgen Trittin im Frühjahr 2001 fast sein Ministeramt. Die Äußerung, der CDU-Generalsekretär gleiche nicht nur äußerlich einem Skinhead, wurde als Beschädigung der demokratischen Kultur Deutschlands kritisiert. Der CDU diente der Ausspruch als Ausgangspunkt einer erneuten Debatte über den deutschen Nationalstolz. Trittin kroch zu Kreuze, und führende Politiker von Bündnis 90/Die GRÜNEN betonten erneut ihre patriotische Grundhaltung.
(Erschienen in Novo55, Mai/Juni 2001)
Ende gut, alles gut, könnte man meinen. Und dennoch offenbart diese Episode, auf welch niedrigem intellektuellem Niveau die öffentliche Diskussion über Rechtsradikalismus mittlerweile angekommen ist. Da heute schon das Tragen von Springerstiefeln und das Zeigen von blanker Kopfhaut ausreicht, um als rechtsradikal eingestuft zu werden, fällt es schwer, Trittins Äußerung als rein polemischen Fehltritt einzustufen. Vielmehr ist sie der direkte Ausfluss der grünen Antifa-Politik, die „demokratische Streitkultur“ durch das einfachere Konzept „Gut gegen Böse“ ersetzt hat.
Die Logik ist verblüffend einfach: Wer nicht mit der „Moral Majority“ übereinstimmt, macht sich gewissermaßen selbst zum Skinhead. Vereinfachungen dieser Art bestimmten heute beinahe jede politische Auseinandersetzung, und sie werden immer naiver und abstruser. Wenn es nach dem Vorschlag eines Arbeitskreises der deutschen Innenminister geht, sollen in Zukunft schon Hakenkreuzschmierereien auf Schulklos sowie das Abspielen rechtsextremer Musik als „Propagandadelikte“ eingeordnet und verfolgt werden (siehe „TAZ“ vom 23.03.2001). Dass diese Logik auch in die entgegengesetzte Richtung wirken kann, zeigt kürzlich ein brandenburger Schulrektor: Er wolle zur Vermeidung von Provokationen auch das Tragen antifaschistischer Symbole in seiner Schule verbieten. Da verwundert es nicht, dass plötzlich sogar die Einführung der Schuluniform nach britischem Vorbild als probates Mittel zur Erhaltung der offenen Zivilgesellschaft diskutiert wird.
Die antifaschistische Verbotskultur sorgte auch im Frankfurter Kommunalwahlkampf 2001 für einen amüsanten Farbklecks. Stein des Anstoßes war ein Wahlplakat der „Republikaner“: In Anspielung auf die öffentliche Auseinandersetzung über die Umbenennung der Frankfurter Obermainbrücke (ehedem „Adolf-Hitler-Brücke“) in „Ignatz-Bubis-Brücke“ klebte die Partei Plakate mit der schlichten Aufschrift „Bubisbrücke“, was einen Aufschrei grüner Kommunalpolitiker zur Folge hatte. Das Plakat sei antisemitisch und müsste verboten werden, hieß es. Schlitzohrig reagierte ein REP-Vertreter auf die Verbotsforderung mit der Aussage, gegen ein Verbot der Bezeichnung „Bubisbrücke“ hätte man nichts einzuwenden.
Es ist gerade die gähnende Inhaltsleere und Verwirrtheit rechtsradikaler Gesinnung, die den antifaschistischen Anstandsaposteln den Angstschweiß auf die Stirn treibt. Fast schon verzweifelt klingen die Forderungen zahlreicher Lehrer an die Politik, ihnen endlich Argumente für den Kampf gegen Rechts zu liefern. Zurück kommt freilich wenig. Denn obwohl die damalige bündnisgrüne Parteichefin Renate Künast schon im Juli 2000 eine „Intellektualisierung“ des Rechtsextremismus beobachtet haben will (TAZ, 28.07.00), kennen Kopflosigkeit und schlichte moralische Empörung keine Grenzen. Anstatt Standpunkte intellektuell zu bekämpfen, werden sie einfach „nicht geduldet“. Eine bequeme, wenngleich untaugliche Strategie, denn sie zeugt von eigener Ratlosigkeit. Dass Künast dem Rechtsextremismus eine „neue Qualität“ zugesteht, sagt mehr über die Sprachlosigkeit des grünen Antifaschismus aus als über die deutschen Rechte.
Und so springt eine komplette Gesellschaft auf den scheinbar „führerlosen“ Zug des antifaschistischen Autoritarismus auf. Seine Insassen fühlen sich wie in einem Flüchtlings-Track durch Feindesland, der sich zum Ziel gesetzt hat, „demokratische Rückzugsräume“ inmitten „national befreiter Zonen“ zu schaffen. Keine Wand scheint groß genug, um den Teufel in Lebensgröße daran zu malen, keine Statistik dramatisch genug, um dem Problem angemessen Ausdruck zu verleihen. Wer sich hingegen „dem Problem“ stellt – wie etwa die Befürworter der „akzeptierenden Jugendarbeit“, deren Anliegen es ist, rechtsradikale Jugendliche behutsam und ohne das Schwingen der Moralkeule einzubinden – gehört, wie es der innenpolitische Sprecher der grünen Bundestagsfraktion Cem Özdemir fordert, „auf den Prüfstand“, da „oft auf demokratische Wertevermittlung verzichtet“ werde.
Wie aber soll diese Wertevermittlung aussehen? Mit Bedrohungsszenarien werden die eigenen Leute eingeschüchtert, ihre Aktionsbereitschaft mit moralischer Schaumschlägerei verwässert und ihr Selbstbewusstsein in Selbstmitleid ertränkt. Die Ikonen dieser antifaschistischen Pop-Kultur sind die Unvermeidlichen, die immer dann auf den Plan treten, wenn sich alle einig sind. Mit Appellen und Konzerten „gegen rechte Gewalt“ springen die Niedeckens, Campinos, Westernhagens und Lindenbergs auf den Zug auf, um die Herde in das gelobte Land zu führen. „Ihr seid nicht alleine. Die ganzen Bands stehen zu Euch!“ Udos Aufruf, mutmachend gemeint, wirkt gleichwohl wie das Pfeifen im dunklen Keller: „Wir haben doch dieses tolle Grundgesetz, das steht das ja alles drin. Wir sind dazu da, unsere Freunde zu schützen und ein internationales geiles Land aufzuziehen!“ Man fühlt sich erinnert an den berühmten Leitsatz aus Monty Python’s „Leben des Brian“, gebrüllt aus tausend Kehlen: „Ja, wir sind alle Individuen!“
Wenn die rot-grüne Bundesregierung einfordert, man solle sich zivilgesellschaftlich verhalten und „Gesicht zeigen“, zeugt dies von einer Fehlinterpretation des Begriffs „Zivilgesellschaft“ wie auch von einer ausgeprägten Geringschätzung ihrer Bürger: Offene und demokratisch gefestigte Gesellschaften bedürfen keiner Belehrung zu zivilgesellschaftlichem Verhalten. Sie haben es weder nötig, ihre Reihen fest geschlossen zu halten, noch fragen sie nach moralischen Kategorien von „Gut“ und „Böse“, um zu urteilen. Sie verkraften den Protest ihrer Gegner und verteidigen deren Recht, Protest zu äußern. Was sie jedoch zu ihrer Entfaltung am Wenigsten brauchen, ist eine antifaschistische Verbotskultur sowie die Gedankenpolizei der Gutmenschen.