Die deutsche Justiz macht rechtsradikalen Mäusen und schwulen Strichmännchen das Leben schwer.
„Übrigens aber ist die Entsittlichung einer ganzen Jugend noch nie durch Lesen bewirkt worden, sondern immer geradewegs durch das Leben“ (aus: „Schmutz und Schund“, Heinrich Mann, 1926).
Vielleicht sollte sich Ralf König, der Erfinder des „kleinen Arschlochs“, doch überlegen, ins Ausland zu ziehen. Warum? Die seit Jahren in Deutschland veranstaltete Hatz auf die Erwachsenencomics des Alpha Comic Verlags/Edition Kunst der Comics geht in eine neue Runde. Was 1995 als scheinbare Justizposse im thüringischen Provinzstädtchen Sonneberg begann, beschäftigt seit Dezember den Bundesgerichtshof. Doch nicht nur den schlüpfrigen Bildchen geht es ans Leder. Mit ihnen droht die künstlerische Freiheit im Morast von Moral und Zensur zu versinken.
Der Spuk begann am 17. März 1995. An diesem Tag ging bei der Staatsanwaltschaft Meiningen eine Strafanzeige gegen die drei Geschäftsführer des Alpha Comic Verlag/Edition Kunst der Comic, Ilse Achatz, Achim Schnurrer und Hörb Schröppel wegen des Verstoßes gegen die §§ 131 und 184 StGB ein. Tatverdacht: Veröffentlichung und Verbreitung obszöner und gewaltverherrlichender Materialien. Der Anzeigeerstatter ist in Deutschland kein Unbekannter: der bundesweit als „Moral-Ayatollah“ und paranoider Saubermann verschriene Michael Brenner und sein Ein-Mann-Unternehmen MUT („Menschen, Umwelt, Tiere“). Nach diversen Anzeigen gegen so zwielichtige und dubiose Publikationen die den SPIEGEL, BRAVO oder gegen Aufklärungsbroschüren von „Pro Familia“ liefen dem 39jährigen katholischen Fundamentalisten eines Tages die „schweinischen Geschichten“ des Comiczeichners Ralf König und andere Publikationen des kleinen Verlags über die Leber und riefen seinen weltenretterischen Instinkt auf den Plan.
Das Amtsgericht Sonneberg ließ sich nicht lange bitten: Am 25. Juli 1995 stellten unter der Leitung von Oberstaatsanwalt Reinhard Hönniger 40 Polizisten und ein Hund Lager und Büro des Alpha Comic Verlages/Edition Kunst der Comics auf den Kopf. Rund 150 Titel „mit pornografischem, gewaltverherrlichendem und nationalsozialistischem Inhalt“ wurden beschlagnahmt. Die Ironie der Geschichte: Zu den beschlagnahmten Titeln gehörten Comics des bekannten Zeichners Ralf König („Das Kondom des Grauens“) und ein in den Verlagsräumen aushängendes Plakat des in New York lebenden jüdischen Künstlers Art Spiegelmann. Das Poster war eigens von der Stadt Erlangen für eine Ausstellung aus Spiegelmanns Werk „Maus“ aufgelegt worden. In „Maus“ beschreibt Spiegelmann die Geschichte des Nationalsozialismus und das Schicksal seiner jüdischen Eltern, die beide in Konzentrationslagern umkamen. Für sein Werk hatte er als weltweit erster Comiczeichner überhaupt 1992 den Pulitzerpreis erhalten. Das interessierte die Beamten jedoch wenig: Die auf dem Plakat abgebildeten Katzen mit Hakenkreuzemblem waren Anlaß genug, Nazi-Propaganda und „Gefahr im Verzug“ anzunehmen. Und just während Ralf Königs „Kondom des Grauens“ beschlagnahmt wurde, spielte die Verfilmung eines anderen König-Comics in deutschen Kinos Millionen ein: „Der bewegte Mann“.
Doch damit nicht genug: Im April 1996 nahm die „größte Durchsuchungs- und Beschlagnahmungswelle in Deutschland seit der Bücherverbrennung 1933“ – so der Börsenverein des deutschen Buchhandels – ihren Anfang. Fast jede vierte der insgesamt 5000 Buchhandlungen in Deutschland wurde in den kommenden Monaten nach schändlichen Comics durchkämmt. In Neumünster und Gießen wurden sogar aufgrund von beschlagnahmten Kundenlisten Privatwohnungen durchsucht. Monatelang gingen Beamten aus insgesamt 480 Polizeidienststellen quer durch die Republik auf Bildchenjagd. Nicht nur die Comics des Sonneberger Verlags fielen der Säuberung zum Opfer. In Düsseldorf wurden sogar zwei Buchhändler angezeigt, da sie die Titel in ihrem Sortiment führten. Auch renommierte Verlage wie Eichborn, Carlsen und Rowohlt waren plötzlich von der Zensur betroffen: Kassenschlager wie „Das kleine Arschloch“ verschwanden von einem Tag auf den anderen aus den Regalen.
Die Aktion erregte großes Aufsehen und auch Widerstand: Ignatz Bubis äußerte sich besorgt und „verwundert“, und in den Medien wurde allseits die völlig überzogene Herangehensweise der Staatsanwaltschaft kritisiert. In Solidaritäts- und Benefizaktionen versuchten zahlreiche Künstler, u.a. Herbert Grönemeyer, die Ärzte, Fettes Brot, Die Fantastischen Vier, den kleinen Sonneberger Verlag vor dem Ruin zu retten. Doch Staatsanwalt Hönniger und Konsorten ließen nicht locker.
Wie unbegründet die Massendurchsuchungen waren, zeigte sich dann in der Anklageschrift, die nach dreijährigen Ermittlungen vorgelegt wurde: Anstelle der über 150 kassierten Titel ging es hier noch um ganze zehn Publikationen. Neben fünf SCHWERMETALL-Heften und einer Ausgabe von HARDBOILED richtete sich die Anklage gegen vier Comicbände, die zwar vom Alpha Comic Verlag ausgeliefert, aber von anderen Verlagen herausgegeben wurden. Interessant ist, daß keines dieser Erzeugnisse bis zum heutigen Tage von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften indiziert wurde. Die Anklage gegen „Das Kondom des Grauens“ wurde hingegen stillschweigend unter den Tisch fallen gelassen – vielleicht hatten die Ermittler der Staatsanwaltschaft an einem freien Abend im Meiniger Theater schräg gegenüber vom Landgericht das Puppentheaterstück „Das Kondom des Grauens“ gesehen und sich köstlich amüsiert.
Oberstaatsanwalt Hönniger blieb jedoch humorlos. Obwohl die Latte inkrimierter Titel stark geschmolzen war, legte Hönniger noch eins drauf und beschuldigte den Alpha Comic Verlag/Edition Kunst der Comics, mit der Auslieferung von „Alkovengeheimnisse“ Kinderpornografie zu vertreiben. Stein des Anstoßes war eine Bildersequenz, in der die weibliche Hauptfigur, in Hypnose versetzt, sich eines traumatischen Jugenderlebnisses erinnert und es mit den Worten kommentiert: „Damals war ich dreizehn“.
In der Verhandlung fuhr Hönniger weitere schwere Geschütze auf. Als Sachverständigen zauberte er den höchst umstrittenen Pädagogen Prof. Dr. Werner Glogauer aus dem Hut. Auch er ist kein Unbekannter: Der damals 73jährige hatte sich bundesweit damit einen Namen gemacht, Asterix, aber auch Micky Maus und sogar Tom und Jerry als gewaltverherrlichende und äußerst jugendgefährdende Comics einzustufen. Seit den 50er Jahren vertritt er die sogenannte „Imitationsthese“, nach der Medieneinflüsse unmittelbar Handlungsweisen und sogar Straftaten bewirken, frei nach dem Motto: Wer Schwulen-Comics liest, wird selber schwul. Entsprechendes wusste er auch in diesem Prozess kund zu tun. Dass Glogauer als wissenschaftlicher Beirat des dubiosen „Vereins für psychologische Menschenkenntnis“ (VPM) einst selbst unter Beobachtung von deutschen Sektenbeauftragten stand, löste bei dem Gericht jedoch offenbar keinen Zweifel an seiner Eignung als Sachverständiger aus.
So kam es, wie es kommen musste: Die Staatsanwaltschaft beantragte Haftstrafen von 12 bis 18 Monaten für die drei Verantwortlichen des Alpha Comic Verlages, in Bezug auf zwei weitere inkriminierte Titel „Nagarya“ und „HARDBOILED“ hingegen beantragte sie Freispruch. Das Urteil fiel eher zugunsten der Angeklagten aus: Achatz, Schnurrer und Schröppel wurden vom Landgericht Meiningen zu einer Geldstrafe von je DM 2.500.- wegen der Auslieferung der „Alkovengeheimnisse“ verurteilt (Az.: 8 Js 10547/95 – 1 KLs). „Die Freiheit der Kunst muss dann zurücktreten, wenn die Unverletztheit von Ehe und Familie beschnitten wird“ führte der Vorsitzende Richter Werner Kunisch in den Entscheidungsgründen aus – eine Auslegungssache, wie er einräumte. Nachdem 150 Bücher beschlagnahmt und 1.200 Buchläden in Deutschland durchsucht wurden, erging nach drei Jahren ein Urteil, das sich auf ein einziges Bild aus einem Comic eines holländischen Verlages stützte: Einem jungen Mann wird mit einer Machete der Penis abgeschlagen. Das reichte zu einer Verurteilung. Zumindest den Vorwurf der Kinderpornografie aber ließ das Gericht nicht durchgehen. Bezüglich aller anderen Titel erging Freispruch.
Trotz dieses glimpflichen Urteils wird in Entenhausen auch in naher Zukunft kein Frieden einziehen, im Gegenteil: Seit Mitte Dezember 1999 hat sich der Bundesgerichtshof in einem von der Staatsanwaltschaft Meiningen angestrengten Revisionsverfahren mit der Schmuddelbildern auseinanderzusetzen. Die „Inquisition der Gartenzwerge“ setzt alle Hebel in Bewegung, um doch noch die Moral zu retten. Sie argumentiert nun, in dem Verfahren erster Instanz seien die Beweismittel – die oben erwähnten zehn Comics – den Richtern nicht ausreichend zur Kenntnis gelangt war. Und das, obwohl Hönniger in seinem Abschlussplädoyer die Comics Bild für Bild vorgelesen hatte.
Wie groß letztlich das jugendgefährdende Potential dieser Comics sein soll, deren „moralzersetzende Botschaft“ scheinbar so verschlüsselt ist, dass ihr nicht einmal Volljuristen beim Lesen gewahr werden, bleibt offen und der Fantasie der Bundesrichter überlassen. Weniger offen scheint das Schicksal der künstlerischen Freiheit in Deutschland zu sein. Schon in den fünfziger und sechziger Jahren wurden Comics mit dem Segen der Obrigkeit in aller Öffentlichkeit verbrannt. Heute nutzen die neuen Moralisten zunehmend Gerichtssäle zu Schlachtfeldern für ihren Krieg gegen Meinungs- und Redefreiheit. Seien es umstrittene Ausstellungen, Bücher oder Theaterstücke – Verbotsforderungen sind mittlerweile zu einem probaten Mittel selbsternannter „progressiver“ Meinungsbildner geworden. Der unkomische Comic-Prozess ist ein weiteres Beispiel dafür, wie die Moralkeule Jugendschutz genutzt wird, um Erwachsene ihrer Rechte zu berauben und zu erniedrigen.
Zusatzinformationen:
Auszug aus der Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft Meiningen vom 17.02.1997: „Ihnen [den drei Geschäftsführern des Alpha Comic Verlags/Edition Kunst der Comics GmbH, M.H.] wird vorgeworfen, in der Zeit vom 14.02.1994 bis 24.07.1995, jeweils gemeinschaftlich handelnd, in 9 Fällen Schriften, die grausame oder sonst unmenschliche Gewalttätigkeiten gegen Menschen in einer Art schildern, die die Verherrlichung oder Verharmlosung solcher Gewalttätigkeiten ausdrückt oder die das Grausame und Unmenschliche des Vorgangs in einer die Menschenwürde verletzende Weise darstellen, sowie in 2 Fällen pornografische Schriften, die Gewalttätigkeiten und sexuellen Missbrauch von Kindern zum Gegenstand haben, verbreitet zu haben.“
Statement von Marianne Fricke, Vorsitzende des Sortimenter-Ausschusses im Börsenverein des deutschen Buchhandels: „Es ist unerträglich, dass es den individuellen Moralvorstellungen einzelner Staatsanwälte überlassen bleibt, Bücher nach Gutdünken zu beschlagnahmen. Wenn man Beschlagnahmungs-Aktionen von Büchern (…) mit dem Gummi-Argument ‘Gefahr im Verzug’ begründet, ohne sich die Mühe zu machen, einen ordentlichen Gerichtsbeschluss einzuholen, dann riecht das nach Zensur in Willkür.“ (Börsenblatt für den deutschen Buchhandel Nr. 30/12.04.1996)
Michael Brenner am 16. April 1996 in der Sendung „exakt“ im Fernsehsender VOX: „Die Bücher von Ralf König machen Jugendliche schwul, zumindest aber bisexuell.“
Erschienen in Novo44, Januar 2000