Von der Frauenbewegung zur ‚feminisierten Gesellschaft

Schlagzeilen über das “Ende der Frauenbewegung” wechseln sich ab mit Titelstorys über das soeben angebrochene “weibliche Zeitalter”. Wie passt das zusammen?Auflösen der scheinbaren Widersprüche auf.

Schon lange wird über das Ende der Frauenbewegung diskutiert. Vom Sterben der Frauenbuchläden und der Frauen-Selbsterfahrungsgruppen ist die Rede. Feministinnen der ersten Stunde beklagen das Verschwinden der großen Frauendemonstrationen. Gleichzeitig werden die erfolgsorientierten “neuen Karrierefrauen” gefeiert. Allenthalben stehen Frauen im Zentrum des öffentlichen Interesses. An der Frage, ob und inwiefern die Frauenbewegung “erfolgreich” gewesen sei, scheiden sich die Geister. Für die einen sind z.B. die “Girlies” der späten 90-er Jahre Ausdruck für das gestiegene Selbstbewusstsein und Selbstwertgefühl von Frauen, für die anderen sind gerade sie der “Inbegriff einer sex-bezogenen und post-feministischen Jugendkultur”, die sich zwar einiger Errungenschaften der Frauenbewegung bedient, sie aber selbst nicht weiter zu tragen gewillt ist. Insbesondere jüngere Frauen messen ihr heute als politische Kraft keine Relevanz mehr bei.

Das allmähliche Verschwinden der Frauenbewegung ging einher mit einer deutlichen Verbesserung der gesellschaftlichen Stellung von Frauen. Nie waren sie öffentlich anerkannter und präsenter als heute. In vielerlei Hinsicht sind sie die Gewinner des zu Ende gegangenen 20. Jahrhunderts, und das beginnende 21. Jahrhundert wird nicht selten als das “weibliche Zeitalter” beschrieben, in dem für die traditionelle Männlichkeit kein Platz mehr sein wird. Frauen gelten in vielen Zusammenhängen als die “besseren” Menschen, da ihnen die Fähigkeit zuerkannt wird, einfühlsamer, menschbezogener, friedlicher, moralischer und naturnäher zu denken und zu handeln. Das gilt für die Politik und den Journalismus wie für zahlreiche andere Berufe.
Auch im Berufsleben werden Frauen mittlerweile akzeptiert: Die zweigeschlechtige Ausschreibung von Arbeitsplätzen ist ebenso herrschende Praxis wie die Einrichtung und Förderung von Frauenbeauftragten und Frauenquoten. Das Anti-Diskriminierungsgesetz, die Namensfreiheit beim Heiraten, aber auch die neue Gesetzgebung zur Vergewaltigung in der Ehe haben die Rechte und Möglichkeiten der Frauen erheblich gestärkt. Aktuell wird sogar die weitere Öffnung der Bundeswehr für Frauen diskutiert.

In dieser “feminisierten Gesellschaft” kann das “Frau-Sein” sogar unverhoffte Vorteile mit sich bringen. Zwar gibt es auch heute noch Bereiche, in denen die Gleichberechtigung nicht erreicht ist und Frauen weiterhin diskriminiert werden, dennoch stellen solche Diskriminierungen kein systematisches Unterdrückungsmuster mehr dar (siehe hierzu den Artikel von Jennie Bristow in diesem Novo). Das Denken der Menschen hat sich in den letzten Jahrzehnten stark verändert. Vorstellungen, die früher überwiegend von der Frauenbewegung zum Ausdruck gebracht wurden, sind heute in der Gesellschaft allgegenwärtig. Vor 30 Jahren noch als “emanzenhafte Spinnerei” verspottet, erscheint der Feminismus als eine sehr erfolgreiche Ideologie, die innerhalb kürzester Zeit, wie kaum eine andere vor ihr, zu einem Konsens in der Gesellschaft wurde. Viele Frauen und Männer vertreten einen “alltäglichen Feminismus”, ohne diesen unbedingt als solchen zu definieren und ohne deshalb automatisch zu bekennenden Feministen zu werden.
Der Vorwurf, Chauvi, Macho oder einfach “typisch männlich” zu sein, hat in dieser Situation an Gewicht gewonnen, und er kann für den Beschuldigten durchaus unangenehme Konsequenzen haben – z.B. in der Berufswelt. Wer hingegen die als feminin definierten Werte wie Einfühlsamkeit und Emotionalität verinnerlicht und gleichzeitig die brutale, engstirnige und gefühllose Männerwelt ablehnt, hat gute Chancen, beliebt zu sein, hohe Einschaltquoten zu erreichen oder auch gute Wahlergebnisse zu erzielen.

Gleichstellung oder -macherei

Etliche der Ziele des traditionellen Feminismus scheinen sich im Laufe der Jahre erfüllt zu haben. Die Gleichberechtigung von Mann und Frau ist heute tatsächlich ein Leitbild unserer Gesellschaft. Und offensichtlich hat sich diese Entwicklung auch im Diskurs der Feministinnen niedergeschlagen. Eine bedeutende Akzentverschiebung ist hier zu konstatieren. Stand früher die Forderung nach Gleichberechtigung im Mittelpunkt, ist es heute oft das genaue Gegenteil: Betont wird heute der Unterschied zwischen Männern und Frauen, und jegliche “Gleichmacherei” wird kritisiert. Die Auseinandersetzung mit der “Frauenfrage” ist in die Geschlechterforschung gemündet, man widmet sich nunmehr vor allem dem weiblichen Fühlen, Denken und Handeln.
Frauendiskurse sind letztlich zu einem Ringen um die “richtige” Wertorientierung der Gesellschaft und die “richtigen” Verhaltensweisen von Männern (und Frauen) mutiert. Mit den realen Lebenszusammenhängen von Männern und Frauen haben die hierbei verwendeten Attribute männlich und weiblich nichts mehr gemein. Das Geschlecht wird vielmehr einer wertenden und moralischen Typisierung unterworfen: Harte, zielstrebige, karrierebewusste, kühl kalkulierende Frauen gelten als ähnlich unbeliebt wie Männer, denen diese Eigenschaften zugesprochen werden. Solche Frauen werden mitunter als “falsche, von der Männerwelt manipulierte Wesen” bezeichnet. Hingegen werden sanfte, emotionale und sinnliche, sprich weibliche Männer, die freiwillig auf ihre Karriere verzichten und sich der Kindererziehung widmen, als die “neuen” und modernen Typen gefeiert.
Der britische Soziologe Frank Furedi beschrieb auf einer Tagung in England die “politisch korrekte Hierarchie” wie folgt: “Feminine Frauen stehen an der Spitze. Die femininen Männer stehen noch vor den maskulinen Frauen auf dem zweiten Platz. Maskuline ‘Macho-Männer’ bilden das Schlusslicht.”

Wertevakuum

Traditionell männliche Werte sind heute nicht mehr gefragt, denn sie gelten als Synonym für eine alte, untergehende, von Draufgängertum, Leistungswillen und Rationalität sowie gewaltsamer Unterdrückung und Raubbau an Mensch und Natur geprägte Gesellschaft. Das Gegenteil davon – Zurückhaltung, Skepsis gegenüber Rationalität und Wachstum, Besinnung auf die eigenen Grenzen, auf Emotionalität, Spiritualität und Nachhaltigkeit, auf eigene Schwächen und auf Bescheidenheit, sprich: die Werte der “modernen Welt” – werden unter dem Schlagwort weiblich subsumiert. Die Schlussfolgerung ist klar und eindeutig: Männlich sein ist “out”, weiblich sein dagegen “in”.
Viele Feministinnen fühlen sich durch diese moralische Diskussion über Werte und Verhaltensweisen gestärkt und erhoffen sich neue Impulse für die Frauenbewegung. Auch die beiden Autorinnen Susanne Weingarten und Marianne Wellershoff schwenken in ihrem Buch “Die widerspenstigen Töchter. Für eine neue Frauenbewegung” auf die moralische Schiene ein und beteiligen sich an der allgemeinen Suche nach neuen Werten. Sie konstatieren eine gesellschaftliche Erosion von Werten und sehen sich gefordert, neue zu schaffen:

“Wenn die Erwerbstätigkeit als identitätsstiftendes Moment der Gesellschaft abgewertet wird, müssen andere Faktoren aufgewertet werden, um kein Werte-Vakuum entstehen zu lassen”. (S. 222) In dieser Angst vor dem “Wertevakuum” decken sich die Interessen von Feministinnen an der Etablierung neuer Leitbilder mit denen traditionell konservativer Kreise. Diese beklagten schon seit Jahren den Werteverfall in der Gesellschaft, ohne jedoch größeres Gehör bei den Menschen zu finden; zu altmodisch und verknöchert klangen ihre Vorstellungen und das verwendete Vokabular. Die regressive Entwicklung des Feminismus, der sich zunehmend auf die Kritik an der Männerwelt, ihrem Fortschrittsglauben und ihrem “Machbarkeitswahn” – kurz: an der “modernen Gesellschaft” – konzentrierte, machte ihn auch für konservative Denker zusehends akzeptabel. Das Misstrauen gegenüber den Menschen, ihrer Rationalität und ihrer modernen Technik, das seit jeher den ureigensten Kern des Konservatismus ausmachte, fand in der feministischen “Anti-Mann”-Haltung unverhofft einen neuen Bündnispartner.
Von einer mangelnden Entwicklungsfähigkeit des Feminismus, wie sie von vielen Feministinnen beklagt wird, kann also angesichts dieser Entwicklung keine Rede sein. Im Gegenteil: Gerade seine enorme Anpassungsfähigkeit hat die heutige Symbiose von feministischem und konservativem Denken überhaupt erst möglich gemacht. Nur so konnte sich der Feminismus in den letzten 20 Jahren zu einer staatstragenden Ideologie entwickeln.
Bereits seit den 80-er Jahren nahmen sich Politik und Staat in verstärktem Maße der Forderungen der Frauenbewegung an. Heute sind Frauenförderung und Gleichberechtigungspolitik für Staat und Regierung zu ordnungspolitischen Zielsetzungen geworden, die jeden Politik- und Lebensbereich durchdringen. Die feministische Provokateurin und Publizistin Katharina Rutschky hat die steile Karriere des Feminismus erkannt: In ihrem Buch Emma und ihre Schwestern spricht sie treffend von einem sich entwickelnden “Staatsfeminismus” und der “Verstaatlichung der Frauenbewegung”: “Die Frauen sind verschwunden … die Frauenfrage wurde dem Staat überantwortet.”

Staatsfeminismus

Angesichts dieser Situation erscheint das Nachsinnen über die Erfolge oder das Scheitern der Frauenbewegung eher irrelevant. Bemerkenswert ist zudem, dass sie zu den realen Verbesserungen für Frauen – im Gegensatz zur landläufigen Meinung – im Grunde nur wenig beigetragen hat. Diese sind eher Innovationen in der Arbeitswelt und den Errungenschaften der Wissenschaft zu verdanken – die Erfindung der Pille beispielsweise ist hier zu nennen. Zwar war es Anfang der 60-er Jahre notwendig und sinnvoll, die unbefriedigende Situation von Frauen zu thematisieren und zu kritisieren. Sicher wurden dadurch auch verkrustete Ideengerüste aufgebrochen. Jedoch war das Gros der Frauenbewegung schon damals eine sehr auf individuelle Selbstverwirklichung ausgerichtete Strömung. Diese Entwicklung setzte sich in den 70-er und 80-er Jahren fort; die Frauenbewegung entfernte sich immer weiter von den materiellen gesellschaftlichen Bezügen.
Ein Beispiel hierfür ist die “Backlash”-Theorie, die Anfang der 90er-Jahre unter Feministinnen populär wurde. Während die Lebensumstände von Frauen sich real verbesserten, warnte diese Theorie vor einer angeblich sich formierenden Gegenbewegung von Männern, die das Rad der Geschichte zurückzudrehen und gegen die “Errungenschaften der Frauenbewegung” zu Felde zu ziehen trachtete. “Backlash” entwickelte sich zu einer neuen ideologischen Krücke der Frauenbewegung. Die britische Journalistin Rosalind Coward beschrieb in ihrem Buch Sacred Cows die zentrale Bedeutung der “Backlash”-Theorie wie folgt: Sie verschaffte dem Feminismus “eine eindrucksvolle Waffe, mit der sich dieser gegen die Erkenntnis zu wehren vermochte, dass sich die Gesellschaft tatsächlich verändert hatte”.

Die Ironie der Geschichte der Frauenbewegung ist, dass sie die Feminisierung der Gesellschaft bis heute leugnet. Durch diese Entwicklung wurden zum einen als “typisch weiblich” bekannte Werte und Tugenden positiv besetzt und in der Gesellschaft verankert. Zum anderen führt die dem feministischen Denken eigene Interpretation gesellschaftlicher Phänomene, Konflikte und Missstände als “geschlechtsspezifisch” dazu, dass Problemlösungen nicht mehr in der öffentlichen, sondern verstärkt in der privaten Sphäre gesucht werden. Die gezielte Veränderung persönlicher Wertvorstellungen sowie die Beeinflussung individueller Verhaltensweisen von Menschen sind die Folge.  Die Lösungsstrategien zielen daher auf die Regulation der Privatsphäre, sie wird zum Angriffspunkt für Interventionen von außen (siehe hierzu den Artikel von Kai Rogusch in diesem Novo).
Die Verbreitung feministischer Ideen spiegelt letztlich den Zustand unserer in Stagnation, Skeptizismus und Fortschrittsangst verhafteten Gesellschaft wider, die heroische Heldentaten verabscheut, dem Machbaren wie dem Riskanten misstraut und sich der Rückbesinnung auf alte Sicherheiten hingibt. Anstatt Männer wie Frauen aufzufordern, aus ihrer Lähmung herauszutreten, alte Grenzen, Vorurteile und Stereotypen zu überwinden und zu selbstbewussteren Geschöpfen zu werden, fordert die feminisierte Gesellschaft von beiden Geschlechtern, zukünftig “gleichberechtigt” die “Männlichkeit” in uns allen zu Grabe zu tragen.

Erschienen in Novo45, März 2000
Co-Autorin: Eva Balzer