Postkölnische Debattenkultur

„Irgendwo zwischen den Bildern von ertrunkenen Kindern an Europas Küsten und Jagdszenen auf der Kölner Domplatte scheint in Deutschland die Fähigkeit zum differenzierten Diskutieren verloren gegangen zu sein – oder vielleicht fällt es auch nur jetzt so besonders drastisch auf“, konstatiert Lorenz Maroldt in seinem lesenwerten Kommentar „Debatte um Flüchtlinge und die Übergriffe von Köln: Die gespaltene Nation“ im „Berliner Tagesspiegel“.

Er beschreibt die zwar eigentlich begrüßenswerte Abkehr vom ewigen Konsensstreben, wittert aber gleichzeitig neues Unheil, denn „spürbar ist heute eine geradezu manische Beschäftigung mit allem, was die eigenen Vorurteile bestätigt, und zugleich eine Abschottung vor allem, was sie erschüttern könnte“.

Wir sollten uns wieder darauf besinnen, dass jemand, der der Aufnahme von Kriegsflüchtlingen zustimmt, keineswegs Gewalt gegen Frauen hinzunehmen bereit sein muss. Und wir sollten darüber diskutieren, was eigentlich Integration wirklich bedeutet und in was eigentlich integriert werden soll. In eine Gesellschaft, die sich so entzweit, wie wir es in der gegenwärtigen Debatte erleben, kann jedenfalls nichts und niemand integriert werden.

Wider den ständigen Alarmismus. Plädoyer für einen alltagstauglichen Humanismus

Links, rechts, liberal, libertär, radikal, konservativ, reaktionär – was bin ich, wer mit wem, wer gegen wen? Gerade in Zeiten großer Umbrüche, wenn sich Dinge ereignen, die man noch vor Kurzem für unmöglich hielt, wenn stabil geglaubte Verbindungen sich lockern und Menschen, mit denen man sich einig wähnte, auf einmal eine andere Ansicht vertreten, dann haben Bemühungen, sich politisch präziser zu verorten, Hochkonjunktur. Man versucht dann, Abgrenzungen, aber auch Verbindungen neu zu definieren, auszuloten und möglicherweise auch den eigenen Kurs neu festzulegen.

Mir geht es nicht viel anders: Auch ich wundere mich über manche Ereignisse, über das Auflösen alter Verbindungen und über Standpunkte, die mir bekannte Menschen vertreten. Und auch ich verspüre das Bedürfnis, genau zu bestimmen, wo ich eigentlich stehe in diesem Durcheinander. Aber mit Begriffen wie „links“ und „rechts“ konnte ich schon längere Zeit nicht mehr viel anfangen. Und in den letzten Monaten habe ich zudem festgestellt, dass es mir mittlerweile egal ist, wie sich jemand nennt, welches politische Label sich jemand anheftet und für was sich jemand früher einmal hielt.

Den vollständigen Artikel finden Sie in meinem E-Book „Zeitgeisterjagd SPEZIAL: Essays gegen enges Denken“. Er ist ursprünglich in der Januarausgabe der Zeitschrift „eigentümlich frei“ (Nr. 159, Januar 2016) erschienen und basiert auf einem Vortrag, den ich im November 2015 auf einer Konferenz der Zeitschrift gehalten hatte.

Am 19.12.2015 ist auf der Website „Tichys Einblick“ Fritz Goergens sehr ausführliche Rezension meiner „Zeitgeisterjagd“ erschienen. Oft meinen Rezensenten , Bücher als Plattformen nutzen zu können, um ihre eigene Agenda zu verfolgen. In Goergens Rezension „Zeitgeist: Leid-Kultur taugt nicht als Leitkultur“ merkt man aber, wie der Autor in den Stoff eintaucht und ihn ernstnimmt. Herzlichen Dank für diese Ehrlichkeit!

Matthias Heitmann