Alle Beiträge von Matthias Heitmann

Sex verboten – auch für die Toten

Gunther von Hagens bläst wieder einmal der Wind ins Gesicht. In seiner Ausstellung „Körperwelten“, die noch bis Mitte September in Augsburg gastiert, darf er keinen plastinierten Geschlechtsakt zeigen. Die Stadt Augsburg hat Anfang August ein Verbot erlassen, da das Exponat „gegen die Würde der Verstorbenen“ verstoße und „das sittliche Empfinden der Allgemeinheit“ verletze.

(Erschienen in: NovoArgumente 102, September/Oktober 2009)

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Bio-Grenzen dichtmachen! Europa den Europäern!

Es geht ein Gespenst um in Europa, das Gespenst der biologischen Überfremdung des Kontinents durch den ungezügelten Zuzug fremder Tiere und Pflanzen. In der April-Ausgabe des Wissenschaftsmagazins Science beschrieben Wolfgang Nentwig von der Universität Bern und Kollegen in ihrem Artikel „Will Threat of Biological Invasions Unite the European Union?“ die Hoffnung, dass der uneinige Kontinent durch gezielte gemeinsame Aktionen gegen gebietsfremde Arten, die in den letzten Jahrhunderten eingewandert seien, vielleicht zu sich selbst und damit zur lang ersehnten europäischen Einheit finden könnte.

(Erschienen in Novo100/101, Mai – August 2009)

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EUnuchen-Sprech: Frauen und Männer raus!

Wenn Sie künftig eine Dame oder einen Herrn in Polizeiuniform eine „Polizistin“ oder einen „Polizist“ nennen, könnte dies eine Klage wegen Sexismus nach sich ziehen. Die EU-Parlamentsverwaltung hat eine 16-seitige Broschüre mit dem Titel „Geschlechtergerechter Sprachgebrauch beim Europäischen Parlament“ veröffentlicht. So soll „eine einseitige Wortwahl … vermieden werden, die als diskriminierend oder herabsetzend ausgelegt werden kann, weil sie die Überlegenheit eines Geschlechts gegenüber dem anderen impliziert. Das Geschlecht einer Person ist in den meisten Zusammenhängen nicht relevant oder sollte es nicht sein.“

(Erschienen in Novo100/101, Mai – August 2009)

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Ist der Anti-Doping-Kampf am Ende?

Es kommt Bewegung in die Diskussion über Doping. Doch ohne ein grundsätzliches Hinterfragen des Dopingbegriffs bleibt der öffentliche Protest gegen die zu Jahresbeginn von der Welt-Anti-Doping-Agentur eingeführte Totalüberwachung von Topathleten hohl und stumpf.

(Erschienen in Novo 100/101, Mai – August 2009)

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Sportliche Leistungsgrenze erreicht? Von wegen!

„Der absolute Weltrekord im 100-Meter-Sprint wird sich bei 9,48 Sekunden einpendeln.“ Das schließt der US-amerikanische Forscher Marc Danny von der Stanford University aus Berechnungen, die auf den Daten der Bestzeiten von Sportveranstaltungen des vergangenen Jahrhunderts basieren. Während die Frauen bereits seit den 70er-Jahren nah am Geschwindigkeitslimit lägen, hätten Männer die Stagnationsgrenze noch nicht ganz erreicht. Geringe Steigerungen seien noch möglich: Männliche Sprinter könnten die Ziellinie 0,21 Sekunden früher erreichen als der aktuelle Weltrekordhalter Usain Bolt. Bei weiblichen Läuferinnen betrage das Verbesserungspotenzial des aktuellen Rekords sogar 0,4 Sekunden.
Dass die Menschheit am Ende der Fahnenstange angekommen sei, hören wir seit Jahrzehnten. Seien es die düsteren Weltuntergangsprognosen des Club of Rome, Hochrechnungen bzgl. der maximal ernährbaren Weltbevölkerung, die pessimistischen Annahmen bzgl. des Marktes für PCs oder der eigentlich seit zehn Jahren abgestorbene deutsche Wald – immer wieder wurden „wissenschaftliche“ Berechnungen der Grenze dessen, was möglich sei, von der Realität überrumpelt.

Die Berechnungen von Marc Danny bezüglich der maximal erreichbaren Laufgeschwindigkeit wird ein ähnliches Schicksal ereilen. Seine statistischen Prognosen mögen auf Basis seiner Daten durchaus schlüssig sein. Nur hat er eines dabei außer Acht gelassen: Die Menschen, die sich in 20 Jahren anschicken, Weltrekorde zu brechen, werden über eine völlig andere körperliche Konstitution verfügen, auf neue, hoch technisierte Trainingsmethoden zurückgreifen und gänzlich anderes Equipment verwenden – was die Aussagekraft von Dannys Berechnungen enorm schmälert. Wie Bernd Muggenthaler in Novo97 schrieb, würde der sensationelle Weltrekord über die 100-Meter-Freistil von Jonny Weissmüller aus dem Jahr 1922 heute nicht einmal mehr ausreichen, um die Kreismeisterschaft bei den – wohlgemerkt: „ungedopten“! – Unter-17-Jährigen zu gewinnen.

Fast immer, wenn Prognostiker das Ende irgendeiner Fahnenstange in Sichtweite glauben, beruht dies nicht auf Rechenfehlern, sondern darauf, dass sie den Mensch als ein stagnierendes, nicht entwicklungsfähiges Wesen ansehen. Dieser Determinismus mag heuer in Mode sein, seine Halbwertszeit erhöht sich dadurch zum Glück aber nicht.

Erschienen in Novo98 (1-2 2009), www.novo-argumente.com

Hopp Hopp Hopp! Regulierung Stopp!

Nick Hornby beschrieb in seinem Roman „Fever Pitch – Ballfieber“ seinen ersten Besuch eines Fußballstadions und die Tatsache, dass Erwachsene dort „das Wort ‚WICHSER‘, so laut sie wollten, schreien konnten, ohne die geringste Aufmerksamkeit zu erregen“. Wer sich diese Freiheit nimmt, dem droht künftig die rote Karte – zumindest, wenn es nach dem Willen des Mäzens des Bundesliga-Neulings TSG 1899 Hoffenheim, Dietmar Hopp geht. Ein 19-jähriger Anhänger von Borussia Dortmund hatte während des 4:1-Heimsiegs des Aufsteigers gegen den BVB Hopps Konterfei mit der Aufschrift „Im Fadenkreuz. Hasta la vista, Hopp.“ hoch gehalten. Ihm droht nun eine Anklage von Hopp wegen Beleidigung.

Als arg dünnhäutig und wenig souverän könnte man die Reaktion des SAP-Gründers abtun und zum Alltag übergehen. Doch die Reaktion von BVB-Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke sowie großer Teile der deutschen Fußball-Öffentlichkeit lässt erahnen, dass diese Lappalie den Startschuss für eine weit gehende Reglementierung dessen darstellt, was man künftig auf den Rängen von sich zu geben berechtigt ist: „Wir werden alles daran setzen, dass Leute, die unter dem Deckmantel von BVB-Fans aus der Rolle fallen, nicht länger den Ruf des BVB beschädigen“, kündigte der BVB in einer Pressemitteilung an und behielt sich das Recht vor, künftig Stadionverbote gegen Pöbler zu verhängen.
Wenn dies Schule macht, könnte es bald leer, langweilig und sehr lahm werden in den Fankurven. Im Wettstreit der Fanblocks geht es grundsätzlich darum, gerade das zu verhöhnen, was dem Gegner das Heiligste ist. Und das ist nun einmal per se politisch unkorrekt. Hier gehören wüste Beschimpfungen wie „Hurensohn!“, „Arschloch“ oder noch ausgefeiltere Nettigkeiten wie „Eure Eltern sind Geschwister!“ zum belanglosen Alltag. Diese schöne alte Tradition gerät immer stärker in Konflikt mit der um sich greifenden „Beleidige-niemanden!-Kultur“, in der die einzig geduldete Emotion die des stummen Verharrens während einer der immer zahlreicher werdenden Schweigeminuten ist. In den 80er-Jahren wurde der Fußball das Testfeld für neue Technologien zur Kontrolle der Massen; heute ist er die Arena, in der neue Formen moralischer Regulation erprobt werden. Wie lang wird es dauern, bis Stadionbesucher auf ihrem Platz einen offiziellen Liederzettel vorfinden?

Erschienen in NovoArgumente, November 2008.