Nuhr in der politisch-korrekten Falle

Das eigentliche Problem des Kabarettisten Dieter Nuhr ist nicht ein überempfindlicher oder radikalisierter Moslem, sondern die deutsche Befindlichkeitsgesellschaft, die allzu gerne bereit ist , Meinungsäußerungen zu verbieten, die den Mainstream verlassen und persönliche Gefühle verletzen oder den ’sozialen Frieden‘ gefährden könnten.

Dieter Nuhr, der ewig lächelnde Protagonist des guten, weil zumeist nachdenklich-temperierten Kabarett-Geschmacks, soll ein Hassprediger sein und sich der Beleidigung strafbar gemacht haben?! Es ist möglich, dass die Anzeige des Osnabrückers Erhat Toka ein deutsches Gericht zu einer solchen hanebüchenen Feststellung bringen wird. Wenn es dazu kommt, ist dies allerdings nicht das Resultat einer „schleichenden Islamisierung Deutschlands“. Aber selbst wenn es nicht dazu kommt, sollten wir uns nicht zufrieden zurücklehnen und die Zurückdrängung der Scharia feiern. Denn wir brauchen in Deutschland gar keine Scharia, um Menschen das Recht auf freie Meinungsäußerung streitig zu machen. Dieses Streben ist auch in der westlichen politisch-korrekten Angstkultur tief verankert – es gilt sogar als Grundlage für das, was man heute gemeinhin „gesellschaftliche Toleranz“ nennt.

Es ist diese „gesellschaftliche Toleranz“, die Nuhr gerade zu spüren bekommt: Ungewollt ist er in die Falle der politischen Korrektheit getappt. Es mag mit Toka ein deutscher Staatsbürger muslimischen Glaubens gewesen sein, der sich von dem Comedian persönlich oder religiös verletzt fühlte und nun versucht, die eigene moralische Überzeugung, solcherlei in einer zivilisierten Gesellschaft nicht ertragen zu müssen, mittels rechtlicher Instrumentarien durchzusetzen. In diesem Streben ist Toka jedoch dem deutschen Mainstream näher, als es beiden lieb sein dürfte. Toka hat die für die ängstliche europäische Debattenwirklichkeit fast schon identitätsstiftende Befindlichkeitskultur verinnerlicht und wendet sie auf seinen eigenen Glauben an. Die Vorstellung, man müsse sich auf der Ebene von Ideen und Standpunkte keine öffentlichen Unannehmlichkeiten und Verletzungen gefallen lassen und könne das Gesetz dazu bemühen, um derlei aus der Welt zu schaffen, ist nun wirklich nicht islamischen Ursprungs.

Natürlich ist die Empörung im deutschen Feuilleton- und Kabarett-Publikum nun groß. Immerhin handelt es sich bei Nuhr gerade nicht um einen notorischen Provokateur. Tatsächlich bezeichnet er sich selbst als durchaus „politisch korrekt“. Im Gegensatz zu einigen seiner Berufskollegen, die ihren Markenkern aus der selbstironischen und teilweise geschmacklosen Überzeichnung der Seltsamkeiten von „Otto Normalverbraucher“ beziehen, kommentiert Nuhr kopfschüttelnd und zuweilen auch arrogant und besserwisserisch von oben herab das Tun, Denken und Lassen derjenigen, die er für eher unaufgeklärt hält. Das ist auch die Ursache für die intellektuell saturierte Stimmung, die Nuhr verbreitet: Die Intelligenzija fühlt sich wohl, denn bei Nuhr ist man unter sich, schaut ab und zu verächtlich-scherzend nach unten und lässt sich von der beinahe väterlichen Zuwendung „Nuhr so“ unterhalten.

Dass ausgerechnet dieser politische korrekte Erfolgskabarettist nun in die Zensurfalle der politischen Korrektheit tappt, ist kein Grund zur Schadenfreude, sondern ein beklemmendes Beispiel dafür, wie freiheitsfeindlich unsere Angst- und Befindlichkeitsgesellschaft bereits geworden ist. Wie selbstverständlich stellt man sich hierzulande nach jeder womöglich etwas aus dem Rahmen fallenden Aussage – ob kabarettistisch oder nicht ist unerheblich – die Frage, ob man das so sagen könne oder dürfe und ab welchem Punkt der Staat einzugreifen habe. In einer selbstbewussten und ihre Freiheit kompromisslos verteidigenden Gesellschaft hingegen wäre ein Erhat Toka gar nicht auf die Idee gekommen, dass er mit einer solchen Anzeige öffentlich Eindruck schinden oder gar Erfolg haben könne. Tatsächlich aber liefert ihm das deutsche Unbehagen zur Meinungsfreiheit die argumentative Munition frei Haus; er braucht sie nur anders einzusetzen und, wie in diesem Falle, Nuhr als Hassprediger bezeichnen. Die Masche zieht: Wer würde hierzulande schon Redefreiheit für Hassprediger fordern?

Dabei wäre vielleicht genau diese Forderung – Redefreiheit für Hassprediger, wie auch für alle anderen Menschen, und zwar unabhängig von deren Meinung! – die mutigste, effektivste und überzeugendste Forderung im Kampf gegen Unfreiheit und Verbotskultur, seien diese nun religiös motiviert oder nicht. Es ist so einfach, sich in dieser Diskussion auf den zweifelsfrei freiheits- wie auch humorfeindlichen Islam einzuschießen. Doch leider ist er bei Weitem nicht das einzige Denk- und Glaubensgebilde, das Kritik, sei sie nun wissenschaftlich fundierter oder eben polemisch-sarkastisch-kabarettistischer Art, nur allzu gerne zu einer Persönlichkeitsverletzung, Diffamierung oder Volksverhetzung aufbläst – und hierzulande ist er auch nicht die zentrale Gefahr für unsere Freiheit.

Vielleicht wäre es sinnvoll, die allgemeine Fokussierung auf die sehr grobschlächtigen und dumpfen Freiheitsfeinde zu überwinden und sich die Frage zu stellen, warum wir eigentlich immer wieder dazu bereit sind, gerade diesen so wenig anspruchsvollen Provokateuren unsere Freiheit zum Fraße vorzuwerfen. Vielleicht liegt es daran, dass viele Menschen immer noch glauben, es gehe bei der Verteidigung des Rechtes auf freie Meinungsäußerung darum, die Narrenfreiheit von Rechtsradikalen oder Islamisten zu verteidigen. Dabei geht es in Wirklichkeit um unser eigenes Recht auf freie Rede und freie Informationsbeschaffung. Tatsächlich ist dieses Freiheitsrecht nur dann zu verteidigen, wenn es ausnahmslos und für alle gilt. Andernfalls verleihen wir einer staatlichen Institution die moralische Autorität festzulegen, was wir sagen dürfen, schlimmer aber noch, was wir hören dürfen. Eine Gesellschaft, die frei und offen diskutiert, lernt, aus sich heraus die Robustheit zu entwickeln, die notwendig ist, um sich ihren Feinden wirksam entgegenzustellen, ohne dabei eine staatliche Anleitung zu benötigen und ohne ihre eigenen Freiheitsrechte zu verraten. Sie braucht die Selbstbegrenzung ihrer Freiheit nicht, denn für sie ist Freiheit die effektivste Waffe im Kampf gegen Unfreiheit. Wollen wir wirklich weiterhin in der Verteidigung unseres Rechtes auf freie Meinungsäußerung immer gerade dann nachlassen und wankelmütig werden, wenn es angegriffen wird?

 

Dieser Kommentar ist am 28.10.14 bei der Achse des Guten erschienen.