Die Frage, was Kabarett darf oder nicht, führt nicht weiter. In der Empörungskultur gibt es kaum Skandalöseres, als Furcht, Panik und Paranoia durch den Bio-Kakao zu ziehen. Wir brauchen das, um aus dem ideologischen Notstand auszusteigen.
Wieder einmal steht der deutsche Vorzeige-Kabarettist Dieter Nuhr im Zentrum eines gewaltigen Shitstorms. Anlass sind diesmal seine kritischen und gemäßigt witzigen Aussagen zu Greta Thunberg. Zu diesen Inhalten kann man stehen, wie man will. Ich bekenne mich dazu, eine „Persona non Greta“ zu sein, und ich habe meine Kritik an den Fridays for Future bereits hinlänglich dargelegt. Dennoch fand ich Nuhrs Auftritt eher seicht und oberflächlich. Er erinnerte mich an einen Sprayer, der fix einen bösen Spruch an eine Wand sprüht, um dann schnell den Kopf einzuziehen und abzuhauen.
Doch wie ich seinen Auftritt fand, tut hier nichts zur Sache. Denn es geht hier nicht nu(h)r ums Kabarett, es geht um Meinungsfreiheit. Und diese interessiert sich nicht für Meinungen, sondern für deren Freiheit. Wer bestimmten Meinungen diese Freiheit verwehrt, hat Sinn und Zweck dieses grundlegendsten aller Freiheitsrechte – die Bewahrung der individuellen Freiheit und die Verhinderung eines „Wahrheitsministeriums“ – nicht verstanden.
Nuhr, ein antiislamischer Hassprediger?
Dass es hier nicht nur darum geht, ob man über schulpflichtige Klimaaktivisten lachen darf, wird dann deutlich, wenn man den Zeithorizont in Bezug auf Dieter Nuhr ein wenig erweitert. Vor fast genau fünf Jahren saß der nämlich schon einmal auf der moralischen Anklagebank. Im Oktober 2014 ging es jedoch nicht um das Klima, sondern um den Islam. Nuhr wurde wegen angeblich islamophober Aussagen attackiert. Es entwickelte sich eine erhitzte Debatte darüber, ob der ewig lächelnde Protagonist des zumeist nachdenklich-temperierten Kabarett-Geschmacks tatsächlich ein antiislamischer Hassprediger sei. So zumindest lautete der Vorwurf von Erhat Toka, der Nuhr nach seiner Show angezeigt hatte.
Damals schrieb ich im Oktober 2014 hier: „Das eigentliche Problem des Kabarettisten Dieter Nuhr ist nicht ein überempfindlicher Moslem, sondern die deutsche Befindlichkeitsgesellschaft, die allzu gerne bereit ist, Meinungsäußerungen zu verbieten, die den Mainstream verlassen und persönliche Gefühle verletzen oder den ‚sozialen Frieden‘ gefährden könnten.“
Die moralische Zange
Ähnlich wäre die heutige Aufregung zu bewerten: Das Problem sind nicht radikale Klimaaktivisten, sondern die schwindende Bereitschaft der Gesellschaft, Meinungsäußerungen zu tolerieren, die den Mainstream verlassen und Debatten auslösten könnten. Interessant ist, dass heute ganz unterschiedliche Themen genutzt werden, um die Grenzen des Sagbaren zu verschieben beziehungsweise festlegen zu wollen: Mal sind es Fragen ethisch-moralischer und religiöser Natur, mal sind sie wissenschaftlicher und mal philosophisch, politisch-demokratischer Natur.
Man würde es sich aber zu einfach machen, einfach die Protagonisten dieser Überzeugungen als Auslöser und Antreiber dieser im Kern zensorischen Debatten zu beschuldigen. Ein Thema wird dann zum gesellschaftlichen Aufreger, wenn es einen Nerv trifft. Da gegenwärtig die Nerven häufig blank liegen und gleichzeitig die Unsicherheit bezüglich der eigenen Wertvorstellungen groß ist, schlittert die Gesellschaft von einer Bedrohungs- und Verbotsdebatte zur nächsten. Was bleibt, ist die zunehmende Furcht vor Kontroversen und die Bereitschaft, zur Verhinderung weiterer Auseinandersetzungen auch gegen eigene Grundwerte vorzugehen – und etwa die Meinungsfreiheit in die Zange zu nehmen.
Teil einer unterdrückten Minderheit?
Eine Zange kann ihrer Funktion – greifen, fixieren, kneifen, quetschen, zerteilen – nur dann entsprechen, wenn ihre beiden Schenkel an einem Punkt fixiert sind und beim Zusammendrücken genau aufeinanderpassen. Dieter Nuhr hat in den vergangenen Jahren mehrfach mit der moralischen Zange der politischen Korrektheit Bekanntschaft gemacht. Und so verschieden ihre beiden Schenkel auch beschaffen sein mögen (im Fall von Nuhr sind es die Ablehnung von Äußerungen zum radikalen Islam und die Ablehnung von Aussagen zur aktuellen Klimadebatte), so greifen sie doch ineinander. Jenseits der rein fachlichen Thematik haben beide weitaus mehr gemein, als ihnen lieb sein dürfte:
Beide zeigen einen ausgeprägten Hang zur Empfindlichkeit und Empörung, sofern sie mit Kritik konfrontiert werden. Die Toleranz im Umgang mit Abweichlern ist unterentwickelt und schwindet in dem Maße, in dem sich die eigenen Überzeugungen radikalisieren. Ähnliches gilt für die Offenheit und die Bereitschaft zur offenen und kontroversen Auseinandersetzung. Solche werden schnell mit dem Vorwurf der Ketzerei und Leugnerei abgebogen. Außerdem ist in beiden Strömungen die Sichtweise weit verbreitet, dass die eigenen Überzeugungen die einzigen sind, die die Welt vor dem Bösen beziehungsweise dem Untergang retten können. Gleichzeitig aber betrachtet man sich selbst als Teil einer unterdrückten Minderheit, die quasi aus Notwehr dazu gezwungen ist, zu drastischen Mitteln zu greifen.
Doch die beiden Zangen haben noch eine weitere Gemeinsamkeit: Sie stellen inhaltlich in ihrer Zuspitzung einen direkten Angriff auf das erwachsene und selbstbestimmte menschliche Subjekt der Aufklärung dar. In beiden Überzeugungssträngen taucht der Mensch entweder als Sünder oder aber als willfähriger Vollstrecker der einzigen Wahrheit auf. Die Möglichkeit zur Emanzipation und zum Dissens ist schlicht kaum gegeben, was auch bezüglich der Vereinbarkeit mit demokratischen Grundsätzen erhebliche Zweifel rechtfertigt.
Wir brauchen weder Scharia noch Öko-Dikatur
Die wiederholten Angriffe auf Dieter Nuhr offenbaren das Ausmaß der schleichenden Aushöhlung der Meinungsfreiheit, deren Grenzen immer enger gezogen werden. Die Beschaffenheit der Zangenschenkel ist da trotz aller öffentlicher Empörung nicht von Bedeutung. Neben der radikal-islamischen und der radikal-ökologischen eignet sich auch die opfervölkische und rechtsradikale Version hervorragend zum Zerquetschen von Freiheiten. Das Problem liegt also nicht in den Zangenschenkeln, sondern darin, dass sich die Gesellschaft immer wieder und aus freien Stücken der Greifzange bedient, um unliebsame Überzeugungen aus dem Weg zu räumen, anstatt sie zu widerlegen und obsolet zu machen.
Tatsächlich brauchen wir weder Scharia noch Öko-Diktatur, um den Menschen das Recht auf freie Meinungsäußerung streitig zu machen. Dieses Streben ist in der westlichen politisch-korrekten Angstkultur tief verankert. Die Vorstellung, man müsse sich auf der Ebene von Ideen und Standpunkten keine öffentlichen Unannehmlichkeiten und Verletzungen gefallen lassen und könne das Gesetz dazu bemühen, um derlei aus der Welt zu schaffen, ist nun wirklich nicht islamischen Ursprungs.
Nuhr genießt die Distanz zu politischen Apparaten
Bei einer Dienstagsdemo für Demokratie, Debattenkultur und für die Demontage von Denkverboten wäre ich daher sofort dabei. Der Einsatz dafür ist umso dringlicher, wenn man bedenkt, dass Dieter Nuhr alles andere als ein radikaler und notorisch rechtslastiger Provokateur ist. Im Gegenteil: Nuhr macht keinen Hehl daraus, von der eigenen Sozialisation her selbst Bestandteil eben jener aufgeklärten Intelligenzija zu sein, die nun nach ihm auskeilt, weil er den schmalen Grat des politisch Korrekten verlassen hat.
Immerhin: Anders als Jan Böhmermann wedelt Nuhr nicht öffentlich mit Parteibüchern herum, sondern genießt seine relative Distanz zu den politischen Apparaten, die ihm sein Erfolg ermöglicht. Allein dafür gehört er in der Debatte um die Greta-Kritik verteidigt. Nicht, weil er Dieter Nuhr ist, sondern weil seine Meinungsfreiheit unser aller Meinungsfreiheit ist.
Dieser Artikel ist zuerst am 13. Oktober 2019 in der Kolumne „Schöne Aussicht“ auf Cicero Online erschienen.