2020 wird es 40 Jahre her sein, dass die Partei „Die Grünen“ gegründet wurde. Einst fanden sich dort Außenseiter verschiedener Couleur wieder, und es ging ihnen vor allem um Anti-Autoritarismus. Heute aber sind sie es, deren Rhetorik langsam autoritäre Züge annimmt.
Als in einer überaus turbulenten Versammlung in Karlsruhe am 13. Januar 1980 die Gründung der Partei „Die Grünen“ beschlossen wurde, konnte niemand ahnen, dass sich aus diesem Sammelsurium unterschiedlicher Menschen dereinst eine Partei entwickeln würde, die wie kaum eine andere das Denken, Handeln und Leben der Menschen in Deutschland prägen würde. Genau genommen war die Parteigründung eine Sensation, denn mit ihr verbanden sich die unterschiedlichen politischen Strömungen zu einem eher losen und instabilen Gebilde. Neben den Vertretern der damaligen Ökologie-, der Anti-Atomkraft-, der Friedens- und der Frauenbewegung mischten bei der Gründung neben kommunistischen Aktivisten auch ehemalige CDU-Mitglieder, bäuerliche Aktivisten sowie Vertreter wert- und rechtskonservativer Gruppierungen mit. Rückblickend erscheint die Parteibenennung als Farce, denn all diese Gruppen waren von ihren Grundausrichtungen her alles andere als „grün“.
Auferstanden aus linken und rechten Ruinen
Und dennoch gab es politische Leitlinien und Stimmungslagen, die diese so gegensätzlich erscheinenden Strömungen vereinten und die bis heute den Grundkonsens der Partei entscheidend prägen: Gemein war ihnen das Gefühl des Niedergangs und des Scheiterns sowie der fast schon verzweifelte Versuch, eine neue Plattform zu entwickeln, die diesem diffusen Gefühl Einhalt gebieten sollte. Bei den Linken entsprach diese Emotion der in den letzten zehn Jahren gereiften Erkenntnis, dass die Arbeiterklasse nicht in der erhofften Weise auf die Aufrufe zum Klassenkampf reagiert hatte. Frustriert kehrten die Kader dem Klassenkampf und der Industriearbeiterschaft den Rücken und hofften, dem politischen Ziel einer antikapitalistischen Systemveränderung durch das Spielen der „grünen Karte“ neues Leben einhauchen zu können.
Puffer zwischen den Extremen
Im Gegensatz hierzu verfolgten konservative Gruppierungen das Ziel, über das Thema „Ökologie“ anti-industriellen und romantischen Naturansichten einen Schub zu verleihen. Was für die Linken zum Kampf gegen den umweltzerstörerischen Kapitalismus wurde, war für die Erzkonservativen die Ablehnung der modernen „zerstörerischen Industrie- und Konsumgesellschaft“. Zwischen diesen Polen bewegte sich eine Vielzahl regionaler, ökologisch oder pazifistisch orientierter Bürgerinitiativen, die weder mit der einen noch mit der anderen Richtung verbunden waren und auch den traditionellen Formen organisierter Politik insgesamt skeptisch gegenüberstanden. Sie dienten in dem grünen Konglomerat als Puffer zwischen den Extremen sowie als Gleitmittel, um das Funktionieren und Überleben der Organisation zu ermöglichen. Gleichzeitig trugen sie dazu bei, dass die in unterschiedliche Richtungen auseinanderdriftenden Flügel im Laufe der Jahre gestutzt wurden und eine gewisse Entpolitisierung grünen Lebens um sich greifen konnte.
Entpolitisierung und Versöhnung mit dem Status quo
Die Sklerose sowohl klassisch linker wie auch traditionell wert- und erzkonservativer politischer Strömungen führte diese in der grünen Partei zusammen und sorgte zudem dafür, dass sie sich langsam in ihr auflösten. Als „Anti-Parteien-Partei“ spiegelten „Die Grünen“ der Anfangsjahre diese Kombination aus rechtsorientierter Politik- und Fortschrittsablehnung und linker Systemkritik wider. Diese inhaltliche Divergenz, die sich angesichts kontroverser Debatten immer wieder intern als Schwäche offenbarte, wurde nach außen hin zum Aushängeschild und stilbildend für das bunte, unkonventionelle Erscheinungsbild einer Partei, die sich anschickte, mehr Farbe in den grauen Politikbetrieb zu bringen. Diese kulturelle Dimension grünen Lebens war es auch, die Menschen bis weit in bürgerliche Milieus hinein anzog und die die grüne Partei über die Jahre und Jahrzehnte auch demografisch zu einer Partei der Mitte machte. Schon wenige Jahre nach Gründung zog es die Partei in Regierungsverantwortung auf Länderebene. Gehemmt und gelähmt durch die noch stark vertretenen linken Abwehrreflexe gegen die nahende Wiedervereinigung scheiterten „Die Grünen“ bei den Bundestagswahlen 1990 an der Fünf-Prozent-Hürde.
Pazifistische Wurzeln gekappt
Diese Erfahrung, die dann 1993 vollzogene Fusion mit dem eher bürgerrechtlich und anti-links orientierten ostdeutschen „Bündnis 90“, die aufreibenden inhaltlichen Debatten über die künftige Außen- und Sicherheitspolitik Deutschlands sowie die Austritte diverser prominenter West-Grüner machten die Partei in den darauffolgenden Wahlen für die Mittelklasse zwar wieder wählbarer, schoben sie aber auch endgültig in die Mitte des Parteienspektrums. Mit der Bildung der ersten rot-grünen Bundesregierung 1998 kappte die Partei endgültig ihre pazifistischen Wurzeln und forcierte die Teilnahme an zahlreichen „humanitär“ gebrandeten Militärinterventionen. Die ursprüngliche linke Kritik am Kapitalismus ist dem Streben nach einer „ökologischen Marktwirtschaft“ sowie nach einer regulativ durchzusetzenden Reduktion des Konsums gewichen.
Gesellschaftsveränderung von oben
In der bis heute für grüne Politik prägenden ängstlichen Ablehnung zahlreicher Technologieformen (Atomkraft, Kohlekraft, grüne Gentechnik, Nanotechnologie), großer Infrastrukturprojekte sowie im Imperativ der Nachhaltigkeit und dem Primat des Umweltschutzes spiegelt sich die ur-grüne Skepsis gegenüber der Fähigkeit des Menschen wider, die Folgen seines Handelns abzuschätzen und Risiken kontrollieren zu können. Diese Einschätzung öffnet auch der inzwischen auch in der öffentlichen Wahrnehmung stilprägenden grünen Verbotspolitik Tür und Tor. Die Vorstellung, Gesellschaft und somit auch das Verhalten der Menschen von oben nach unten nach „progressiven“ Vorsätzen zu gestalten, wird angesichts der zunehmend hysterischen Diskussion über Umweltprobleme immer unverblümter verteidigt.
Grüner Kontrollinstinkt
Grüne Politik steht heute dafür, den Einfluss, den der Mensch auf seine Umwelt ausübt, um nahezu jeden Preis zurückzufahren. Aus der Risikobetonung und dem Misstrauen gegenüber dem Menschen speist sich auch der grüne Kontrollinstinkt, der sich nicht nur auf wirtschaftliches Handeln bezieht, sondern auch immer stärker in die Privatsphäre des Einzelnen hineinwirkt. Auch wenn Bündnis 90/ Die Grünen seit Herbst 2005 in Deutschland nicht mehr regiert: Grünes Denken hat sich in Deutschland auch in Regierungskreisen fest etabliert. Aus Sicht der Partei ist es eine historische Tragödie, dass ausgerechnet eine CDU-Kanzlerin den Ausstieg aus Kernkraft, Gentechnik und Kohlekraft für sich reklamiert. Auch dieser Umstand trägt zur immer offener autoritären Rhetorik der Bündnisgrünen bei.
Zerstörerischer Fußbabdruck
Obwohl zwischen der modernen bündnisgrünen Partei und der ursprünglichen Anti-Parteien-Partei „Die Grünen“ gefühlt Lichtjahre liegen – in einer Hinsicht ist sie sich treu geblieben: Bis heute rühmt sie sich wie keine andere dafür, Politik nicht in erster Linie für Menschen, sondern zum Schutz vor Menschen zu machen. Sie ist vom Kern her eine antihumanistische Partei, da sie die Stellung des Menschen in der Welt nicht verbessern will, sondern seinen vermeintlich zerstörerischen Fußabdruck auf dem Globus reduzieren will. Gehüllt in ökologische Floskeln mag das freundlich und menschlich klingen. Doch wann immer politische Entscheidungen nicht mit der grünen Lesart übereinstimmen und nicht hart genug gegen die Menschen und ihre teuflischen und zerstörerischen Lebensweisen vorgehen, bricht der „ökoritäre“ und menschenverachtende Instinkt durch.
Angst vor der Apokalypse
Der Aufstieg grüner Politik steht sinnbildlich für den Niedergang optimistischen und menschenorientierten Denkens. Der pessimistische und misanthropische Zeitgeist spült die Partei von Zeit zu Zeit an die vorderste Front im Meinungsstreit. Doch eine eigene dynamische Bewegung stellt sie trotz aller Rhetorik schon lange nicht mehr dar. Heute ist Bündnis 90/ Die Grünen eine zutiefst konservative Partei, die sich nicht nur vor der ökologischen Apokalypse fürchtet, sondern auch davor, dass die Menschen sich aus dem Denken der letzten Jahrzehnte befreien könnten. Es wird Zeit für ein neues dynamisches und humanistisches Denken, das ohne grüne Feigenblätter und ohne Untergangshysterie auskommt.
Dieser Artikel ist am 29. September 2019 in der Kolumne „Schöne Aussicht“ auf Cicero Online erschienen.