Mit seiner Äußerung, „das Stadion muss brennen“, hat der Präsident des Fußball-Bundesligisten Eintracht Frankfurt einen Großeinsatz der Polizei ausgelöst. Die Obsession mit korrekter Sprache beraubt Menschen ihrer Ausdrucksfreiheit.
Es wirkt zu absurd, um wahr zu sein: Peter Fischer, der Präsident des Fußball-Bundesligisten Eintracht Frankfurt, kündigte in einem Interview kurz vor dem Heimspiel in der Euroleague gegen Schachtar Donezk an, dass jeder Spieler mehr laufen und zudem das Stadion brennen müsse, um erfolgreich zu sein. Für die meisten Menschen klang das wie eine Aneinanderreihung von Selbstverständlichkeiten und eben wie „typisch Peter Fischer“. Nicht so bei der Frankfurter Polizei: Dort löste Fischers Aussage Alarm und einen Großeinsatz aus. Sie vermutete Gefahr in Verzug und schritt zur Tat. Kurz vor dem Spiel wurde das Stadion von der Polizei auf Pyrotechnik untersucht – erfolglos. „Unabhängig davon wie es gemeint war, musste … davon ausgegangen werden, dass Besucher des Spiels sich … dazu aufgerufen fühlen könnten, Pyrotechnik mitzubringen und abzubrennen“, rechtfertigte der Polizeipressesprecher den Großeinsatz als „notwendig und angemessen“. Im Stadion kam es zu Auseinandersetzungen, und die Fans verzichteten aus Protest auf eine seit Tagen vorbereitete Choreografie. Zudem wurde ein gegen den in Fankreisen alles andere als wohlgelittenen hessischen Innenminister Peter Beuth gerichtetes Banner beschlagnahmt. Dabei kam es zu Schlagstockeinsätzen, bei denen zwei Fans verletzt wurden.
Das Stadion als sicherheitspolitisches Freiluftlabor
Mal Hand aufs Herz: Sehen Sie in der Ankündigung eines für seine Emotionalität bekannten Vereinspräsidenten, das Stadion werde brennen, wirklich einen Aufruf zum Abbrennen von Feuerwerkskörpern? Will man hier ernsthaft die Anstiftung zu einer Straftat erkennen, oder ist der Vorwurf nicht eher konstruiert? Was sagt dieses polizeiliche Vorgehen über die Haltung staatlicher Behörden gegenüber Menschen aus? Natürlich kann man sich zurücklehnen und darauf hinweisen, dass Fußballfans und insbesondere die Frankfurter oft genug über die Stränge schlagen und sich über Polizeieinsätze dieser Art nicht wundern bräuchten. Doch die bundesweiten Reaktionen auf die Ereignisse vom 21. Februar zeigen, dass viele Menschen über Vereinsgrenzen hinweg sehr wohl verstanden haben, dass es hier um etwas anderes geht: In zahlreichen Fußballstadien wurden am vergangenen Wochenende Transparente gezeigt, auf denen das Vorgehen der Frankfurter Polizei sowie Minister Beuth kritisiert wurden. Diese Proteste reagierten auf einen besorgniserregenden Trend: Der Fußball wird mehr und mehr zu einem sicherheitspolitischen Experimentierfeld, auf dem Maßstäbe dafür gesetzt werden, wie künftig in der Gesellschaft mit Menschen und deren Rechten umgegangen wird.
Die im Wochenrhythmus stattfindenden Massenansammlungen in den Stadien bieten den Sicherheitsbehörden und der Politik Versuchsanordnungen in Freiluftlaboratorien, in denen das Verhalten von Menschenmengen nicht nur genauestens studiert, sondern auch durch eine immer weitergehende Regulierung geformt werden kann. Und die aktuellen Entwicklungen zeigen: Kontrolle und Regulierung werden immer weiter vorangetrieben. Da mag es auf den ersten Blick beruhigend wirken, dass sich der hessische Innenminister Beuth im hessischen Landtag einigen kritischen Fragen stellen musste. Doch zeigt sich hier einmal mehr die Verlogenheit des Parteienbetriebs: Denn selbstverständlich nutzten die Oppositionsparteien das Thema, um den CDU-Mann als Law-und-Order-Dinosaurier zu kritisieren und sich selbst als Hüter der Meinungsfreiheit und als Wächter der bunten und expliziten Kurvenkultur im Fußballstadion darzustellen. Tatsächlich aber ist der Hang zu einer immer strikteren Sprachregulierung und zu einer überbordenden Verbots- und Überwachungskultur im kompletten Parteienspektrum verbreitet und fest verankert. Unterschiede zeigen sich lediglich daran, wo die Grenzen der Freiheit gezogen werden. Dass sie zu ziehen sind, darin besteht parteiübergreifend Einigkeit. Das Misstrauen gegenüber den Bürgern schillert in allen Farben: schwarz, gelb, grün, rot und blau.
Die Goldwaage ist der Feind der Freiheit
An den behördlichen Reaktionen auf Peter Fischers „brennendes Stadion“ zeigt sich nicht nur ein fast schon paranoides Sicherheitsstreben, sondern auch die zunehmende Bereitschaft, bei der Interpretation von Aussagen jede Art von Vernunft und Augenmaß außer Acht zu lassen. Die Worte werden nicht nur auf die Goldwaage gelegt, sondern ihrer eigentlichen Bedeutung beraubt. Fischer selbst wies daraufhin, dass man ja dann auch die Aussage, das Frankfurter Stadion sei ein Hexenkessel, als frauenfeindliche Massenbeleidigung auffassen könne. Tatsächlich müssten bei jedem Heimspiel Tausende von Zuschauern wegen Beleidigungen und Gewaltandrohungen in Gewahrsam genommen werden. Denn gerade die rabiaten Beschimpfungen von Spielern, Trainern, Schiedsrichtern, gegnerischen Fans und Politikern, aber auch in der lauthals beschworenen Liebe und lebenslangen Treue zur eigenen Mannschaft sind Bestandteile der um den Fußball entstandenen Fankultur. Für zarte Seelen mag das unzivilisiert wirken. Tatsächlich aber ist gerade die Freiheit der Fankurve ein Ausdruck von Zivilisiertheit: Wer glaubt, Aussagen ohne jeden Zusammenhang interpretieren und verurteilen zu können, der hat jedes Gespür für diese menschlichste aller Ausdrucksformen verloren – und damit auch für den Menschen selbst.
Genau hierin liegt die eigentliche Gefahr, die von der Kontroll- und Überwachungskultur der politischen Korrektheit ausgeht. Sie bewertet Sprache blind und mechanisch, und sie behandelt dementsprechend alle Menschen wie potenzielle Kriminelle, frei nach dem Motto: je lauter und streitbarer, desto kontrollbedürftiger. Seit vielen Jahren werden die Grenzen dessen, was Menschen öffentlich sagen dürfen, immer enger gezogen mit dem Hinweis darauf, durch solche Maßnahmen die tatsächliche Meinungsfreiheit schützen zu wollen. Wenn aber, wie nun in Frankfurt geschehen, die Polizei massive Einsätze mit dem Hinweis auf belanglose öffentliche Äußerungen rechtfertigt und gleichzeitig erklärt, man habe unabhängig davon entschieden, wie diese Aussagen eigentlich gemeint gewesen seien, dann wird deutlich: Es geht nicht um die Meinungsfreiheit des Sprechenden, sondern die Interpretationsfreiheit der Mächtigen. Der Fall zeigt außerdem, wie problematisch es ist, in Bezug auf die Meinungsfreiheit zu inhaltlichen Kompromissen bereit zu sein. Denn letztendlich ist das Argument, man wolle Missverständnisse und Gewalt verhindern, ein auf allen Seiten wiederverwendbares Geschütz im Kampf gegen unliebsame Meinungsäußerungen aller Art.
Die Zivilisiertheit des Kraftausdrucks
Was in der Debatte um die Grenzen der Meinungsfreiheit gänzlich ausgeblendet, wenn nicht sogar verleugnet wird, ist die Existenz der menschlichen Vernunft und der individuellen Verantwortung. Nur allzu gerne sind wir bereit, Meinungsfreiheit an einen angenommenen Grad von Intelligenz oder an bestimmte Inhalte zu koppeln. Die hierin zum Ausdruck kommende Geringschätzung von Menschen öffnet den Beschneidungen von Freiheiten Tür und Tor – auch wenn sich dies in letzter Konsequenz sogar gegen die eigene Freiheit richtet. Selbstverständlich gibt es Menschen, die wider jede Vernunft handeln. Dafür aber mechanisch vermeintliche „Anstifter“ verantwortlich zu machen, ist nicht nur rechtsstaatlich bedenklich – schließlich erklärt man so Täter zu Opfern –, sondern macht auch die Idee der Freiheit des Einzelnen zu einem Ding der Unmöglichkeit. Eine Gesellschaft, die aus Angst vor sich selbst jedes Wort auf die Goldwaage legt, pflegt keine Kultur des zivilisierten Gesprächs, sondern beerdigt diese. Es ist daher gerade die Freiheit des emotionalen Kraftausdrucks, der wilden Emotion und auch der geschmacklosen Beschimpfung, die es auszuhalten und zu verteidigen gilt – und das nicht nur im Stadion.
Eine gekürzte Fassung dieses Artikels ist am 3. März 2019 in der Kolumne „Schöne Aussicht“ auf Cicero Online erschienen.