„Frankfurter Präventionsräte – Opfer aller Stadtteile, vereinigt Euch!“

Die Gemeinschaft der Ängstlichen ist undemokratisch und autoritär!

Das Zauberwort der aktuellen Diskussion über die Probleme der inneren Sicherheit lautet: „Verbrechensprävention“. Entgegen altbackener „law and order“-Vorschläge verspricht die moderne Präventionsstrategie neue Wege in der Verbrechensbekämpfung. Die traditionelle „kriminalistische Nachsorge“ soll nun durch gemeinschaftliches Handeln in der Nachbarschaft und im Stadtteil ergänzt werden. Ziel ist es, das Sicherheitsgefühl der Bürger zu stärken und Verbrechen von vornherein zu verhindern.

Die Stadt Frankfurt am Main hat, wie keine zweite, die Voraussetzungen dafür, eine Vorreiterin dieser neuen Kriminalitätspolitik zu werden: Die Mainmetropole gilt als die deutsche Hauptstadt des Verbrechens, als Drogenumschlagplatz erster Klasse und habe zudem – was immer wieder in diesem Zusammenhang Erwähnung findet – den höchsten Ausländeranteil aller deutschen Großstädte. Bereits in der Vergangenheit stand das Thema Kriminalität nicht nur dauerhaft auf der politischen Tagesordnung am Main, sondern es schmückt auch alle Jahre wieder zur Wahlkampfzeit unzählige Werbeflächen und Häuserwände.

Es ist jedoch nicht nur der von allen Parteien diagnostizierte „Handlungsbedarf“, sondern auch die aktuelle parteipolitische Konstellation, die Frankfurt für Experimente so attraktiv macht: Im Frankfurter Römer ist die CDU-Oberbürgermeisterin Petra Roth auf Gedeih und Verderb mit einer schwächelnden SPD verbandelt. Das Überspringen von Parteigräben gehört deshalb gerade in Frankfurt zur politischen Überlebensstrategie und wird von allen Seiten rege betrieben. Die real existierende Große Koalition im Römer ist gezwungen, neue Wege zu gehen und diese in höchsten Tönen zu besingen, um ihre zersplitterte und demotivierte Wählerschaft und nicht zuletzt sich selbst bei Laune und der Stange zu halten. Das Thema „innere Sicherheit“ bietet hierfür eine gute Gelegenheit: Einerseits können überparteiliche Gemeinsamkeiten gepflegt und Handlungswilligkeit zur Schau gestellt werden; andererseits soll der verunsicherte Bürger durch direkte Zusammenarbeit mit Politik und Polizei wieder Vertrauen zu staatlichen Institutionen schöpfen.

„Gewalt-Sehen-Helfen“ – die neue Sicherheitskampagne der Frankfurter Oberbürgermeisterin Petra Roth – offenbart diese Zielsetzung: Unter dem Motto „Reagieren statt Gaffen“ will Roth gegen „den zunehmenden Egoismus der Menschen und die Auflösung sozialer Bindungen“ vorgehen (Frankfurter Rundschau, 16.10.97). Mit zahlreichen Plakaten, Handzetteln und Veranstaltungen soll das verloren gegangene „Verantwortungsgefühl für die Gemeinschaft“ beschworen werden, denn schließlich, so betonte der Frankfurter Polizeipräsident Wolfhard Hoffmann, „könne jeder zum Opfer werden“. Um den Zusammenhalt dieser neuen Opfergemeinschaft zu schmieden, sind außerdem die Einrichtung eines Aktionstelefons sowie zahlreiche Projekttage an Frankfurter Schulen geplant. Hierüber sollen den kleinen und den großen Bürgern das Ausmaß der allgemeinen Bedrohung sowie sinnvolle „Verhaltensstrategien“ näher gebracht werden. Als besonders fortschrittlich wird zudem gepriesen, daß die Aktion nicht allein aus den ohnehin leeren Römerkassen finanziert wird. So wird in Polizeikreisen die Hoffnung geäußert, es mögen sich private Sponsoren bereit erklären, die Aktion zu finanzieren – ein geschicktes Manöver: Die Bürger sollen sich von Experten zunächst einschüchtern und dann „ausbilden“ lassen, ihre Sicherheit anschließend selbst organisieren – und dafür bezahlen.

Diese Kampagne ist jedoch nur ein Beispiel für die „experimentelle“ Sicherheitspolitik des Frankfurter Magistrats. Jenseits großer Öffentlichkeit ist Verbrechensprävention bereits seit längerem zu einem zentralen Bestandteil Frankfurter Kommunalpolitik geworden. Im Stadtpräventionsrat laufen die Fäden der parteiübergreifenden Kooperation zusammen.

Ihm gehören mit der Oberbürgermeisterin Roth, dem Polizeipräsidenten Hoffmann, dem Leiter der Frankfurter Staatsanwaltschaft, dem Ordnungsdezernenten und dem Dezernenten für Soziales und Jugend Repräsentanten der wichtigsten städtischen Behörden an. Dieses Gremium hat sich zum Ziel gesetzt, zukünftig in fast allen Frankfurter Stadtteilen die Errichtung regionaler Präventionsräte zu fördern. In ihnen sollen ehrenamtliche Bürger, Sozialarbeiter, Politiker und Sicherheitsbehörden auf lokaler Ebene in Sicherheitsfragen zusammenarbeiten. Neben Sensibilisierung und Ermunterung der Bürger steht vor allem die Suche nach erfahrenen und vertrauenswürdigen Führungspersönlichkeiten, die sich in den Räten engagieren sollen, im Zentrum der Arbeit. Der erste lokale Präventionsrat arbeitet seit Mai 1997 im Frankfurter Stadtteil Sossenheim. Unter dem Vorsitz der Vizepräsidentin der Industrie- und Handelskammer, Dagmar Bollin-Flade, hat der Rat unter anderem die Bewachung und Sicherung von Schulhöfen organisiert sowie eine Initiative zur Kennzeichnung von Kampfhunden mit Warnplaketten gestartet.

Als „kleines Stadtteilkabinett“ bezeichnet der Referent des Ordnungsdezernenten, Frank Goldberg, das Sossenheimer Gremium, dem neben Kirchenvertretern und Sozialarbeitern auch Schulrektoren und Vertreter des örtlichen Gewerbevereins angehören. Sichtbare Erfolge bei der Verbrechensbekämpfung erwarte man zwar nicht – „Prävention ist nicht messbar“ -, bestätigt Goldberg, dennoch arbeite der Rat „mit großem Erfolg“: Die anfängliche Skepsis der Bevölkerung sei mittlerweile aufgrund der guten Öffentlichkeitsarbeit soweit gewichen, daß man „nicht mehr ständig die Existenz des Rates rechtfertigen“ müsse.

Offensichtlich bedurfte es einiger Überzeugungsarbeit, um den Sossenheimern klarzumachen, daß sie dringend einen Präventionsrat brauchen. Den Bewohnern von Frankfurt-Zeilsheim soll dies im November dieses Jahres beigebracht werden. Unter der Leitung des Frankfurter Landtagsabgeordneten Alfons Gerling (CDU) soll ein ähnliches Gremium gemeinsam mit Bürgern im Stadtteil gegen die sich zusammenrottenden kriminellen Jugendlichen vorgehen. Zwar sei die Situation in Zeilsheim keineswegs spektakulär, betont Gerling, sondern eher mit der in anderen Vierteln zu vergleichen, dennoch könne ein solche Rat die „Kräfte im Stadtteil bündeln, besser als jede Partei“.

Auch andere Befürworter der staatlich geförderten Bürgerzusammenschlüsse stellen deren integrierende Rolle in der modernen „atomisierten Gesellschaft“ heraus. Nach Ansicht des Geschäftsführers des hessischen Landespräventionsrates, Dr. Helmut Fünfsinn, geht es um „soziale Kontrolle im positiven Sinn“: Die lokalen Initiativen sollen „den Straßenbahnschaffner und den Hausmeister ersetzen“, die früher den Menschen als Ansprechpersonen galten. Heute sei es wichtig, insbesondere im nachbarschaftlichen Umfeld ein „Wir- und Heimatgefühl aufzubauen, in dem der eine auch mal die Blumen des anderen gießt oder auf dessen Wohnung aufpaßt“. Mit „Blockwart“ oder dem „gläsernen Stadtteil“ habe dies nichts gemein.

Kritik an den Präventionsräten wird seit Jahren aus den Reihen der Rechtswissenschaft geübt. Betont wird in erster Linie die ungeklärte Rechtslage und die mangelnde demokratische Kontrolle der Stadtteilräte. Sowohl für Fünfsinn als auch für den bündnisgrünen Bundestagsabgeordneten Rezzo Schlauch aus Stuttgart ist diese Kritik jedoch aus der Luft gegriffen. Fünfsinn argumentiert, rechtsstaatliche Kompetenz erführen die Räte durch die mitarbeitenden Vertreter von Politik und Polizei. Schlauch hingegen hält generell die Frage nach der rechtsstaatlichen Verankerung der Präventionsräte für „formalistisch“ und fordert, man solle angesichts der großen Defizite bei der Verbrechensverhütung „nicht päpstlicher sein als der Papst“.

Diese Antworten offenbaren den problematischen Charakter der Präventionsräte: Wenn die rechtsstaatliche Kompetenz der Räte einzig durch Politik und Polizei gewährleistet werde, bedeutet dies, daß diese Vereinigungen letztlich nichts anderes sind als die zivile Ausdehnung staatlicher Ordnungsmacht. Was der unbeliebten Polizei und der entrückten Politik an berechtigtem Misstrauen entgegengebracht wird, soll nun mittels „öffentlich-rechtlich begleiteter Bürgerwehren“ wieder ausgeglichen werden. Dies erklärt auch, warum insbesondere Kommunalpolitiker sich für diese Räte stark machen. Die „Bündelung aller Kräfte im Stadtteil“, wie sie in Frankfurt-Zeilsheim angestrebt wird, bedeutet keineswegs den Ausbau der demokratischen Mitbestimmungsrechte der Bevölkerung im Viertel. Nicht der mündige politische Bürger, der, so er will, seine Politiker zum Teufel jagt, ist hier gefragt. Im Zentrum steht der schutzbedürftige und nach Kontrolle rufende Bürger, der in seiner Eigenschaft als Betroffener und als Opfer den Zusammenhalt der verunsicherten Gesellschaft aufrechterhalten soll. Schlechte Aussichten für die Freiheit!

Erschienen in Novo31, November 1997