Der “Dienstleistungsbetrieb Hochschule” zerstört die akademische Freiheit und damit die Universität selbst.
(Erschienen in Novo32, Januar 1998)
“Das Universitätsstudium dauert zu lange und ist zu wenig praxis- und berufsbezogen. Die Professoren kümmern sich zu wenig um die Studierenden und kommen ihren Pflichten als Lehrkräfte nur ungenügend nach.” Diese Ansichten machen nicht erst seit der Rede des Bundespräsidenten Roman Herzog beim Berliner Bildungsforum Anfang November die Runde. Herzog forderte eine verstärkte Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Bildungssystems und bekundete Sympathie mit den Studenten, die gegen die Zustände an den Universitäten protestierten.
Der AStA der Frankfurter Goethe-Universität lud Herzog sogar zu einem Gespräch ein, bei dem man mit ihm über die Möglichkeiten einer Neuorganisation des Hochschulbetriebes diskutieren wollte. Die Ansicht, die Uni müsse wie ein “schlanker Dienstleistungsbetrieb” organisiert werden, der Qualität zu produzieren und sich gegen internationale Konkurrenz zu behaupten habe, erfreut sich in allen politischen Lagern und in den Reihen der Wirtschaft großer Beliebtheit. Ein Manager des Weltkonzerns Siemens brachte es auf den Punkt:
“Die Universität ist kein Selbstbedienungsladen, wo man hingeht, um einen Lebensabschnitt zu verbringen. Bildung ist ja schön, aber Bildung muß zielgerichtet sein.”
Viele Studenten unterstützen diese Ansicht, da sie die als verkrustet und verwirrend empfundenen Universitätsstrukturen ablehnen und sich von einer straffer organisierten Hochschule eine bessere und schnellere Ausbildung erhoffen. Doch schon jetzt zeigt sich, daß der “Dienstleistungsbetrieb Universität” diese Hoffnungen enttäuschen wird: Die Organisation der Hochschule nach den Kriterien unternehmerischer Wettbewerbsfähigkeit hat zur Folge, daß der Standard der universitären Bildung sowohl in Quantität als auch in Qualität weiter gesenkt wird. Schon jetzt droht zahlreichen miserabel ausgerüsteten “unrentablen” Fachbereichen aufgrund der geplanten leistungsabhängigen Mittelvergabe die endgültige Schließung. Darüber hinaus wird aber generell die Hochschulbildung und der Anspruch an die Universitäten und ihre Funktion in der Gesellschaft auf einem niedrigeren Niveau neudefiniert.
Deutlich wird diese Entwertung der Universität, wenn man die heutigen Vorschläge mit den Prinzipien vergleicht, nach denen Wilhelm von Humboldt im Jahre 1810 die Friedrich-Wilhelm-Universität in Berlin gründete:
“Die akademische Freiheit und die Einheit von Forschung und Wissensaneignung in dem Sinne, daß das Forschen als eigenständige Wahrheitssuche selbst das einzig Lehrbare darstellt, verknüpften objektive Wissenschaft und subjektive Bildung…”
Bis heute galten Humboldts Ansichten als das Fundament des universitären und akademischen Selbstverständnisses, und sie beschreiben die Funktion, die die Universität in der Gesellschaft zu erfüllen hat. Durch freie Forschung sowie durch eine hochwertige Ausbildung von Akademikern sollten die Universitäten Errungenschaften wissenschaftlicher, politischer und technologischer Natur generieren, die die Entwicklung der ganzen Gesellschaft vorantrieben. In der akademischen Ausbildung nahm von jeher die Suche nach universellem Wissen, das Erarbeiten neuer Konzepte sowie das kritische, vorurteilsfreie “Denken des Undenkbaren” und “Hinterfragen des Absoluten” eine zentrale Stellung ein. Jürgen Wertheimer von der Universität Tübingen verteidigte in einem Artikel in der Frankfurter Rundschau diese ursprüngliche Qualität der Universität, die “zum Selbstdenken und nicht nur zum wissensmäßigen Nachtanken erziehen” soll (4.12.97).
Die nun proklamierte wettbewerbsorienterte Hochschule kann genau diese Rolle nicht mehr erfüllen. Ihr “Leistungsbegriff” ist ein sehr beschränkter und geht einher mit dem seit Jahren vorangetriebenen Angriff auf die Leistungs- und Innovationsfähigkeit fördernde “akademische Freiheit” des Studiums. Die Universität wird so zur Berufsausbildungsstätte, bei der nicht mehr die Wissenserzeugung per se, sondern die Vermittlung bestehenden Wissens zum Zwecke der Integration der Studierenden in die Arbeitswelt im Zentrum steht. Die in diesem Sinne vollzogene Ausrichtung auf den Studenten und dessen Arbeitskompetenz steht im Gegensatz zur ursprünglichen Rolle der Hochschule als gesellschaftlicher “Think-Tank” und bedeutet das Ende der akademischen Ausbildung als “Zweck an und für sich”. Die Universitäten werden so zu Zuliefer- bzw. Dienstleistungsbetrieben einer stagnierenden Wirtschaft, die im internationalen Wettbewerb ihre “Produkte” – die arbeitstauglichen Studenten – “genauso absetzen müssen wie Fernsehsender und Reisebüros” (Der Spiegel 49/97)
Welche bedauernswerten Konsequenzen die “Wettbewerbs-Uni” hat, zeigt ein Blick in unsere Nachbarländer: In Großbritannien plant die neue Labour-Regierung die Reform des Hochschulwesens nach den Vorschlägen des sogenannten “Dearing Committees”. Ziel dieser Reform ist nicht eine bessere Ausbildung, sondern die gesteigerte “Einstellungsfähigkeit” der Studierenden. Die britische Universitätsausbildung wird hier offiziell zum “job training scheme”, von dem die Studenten eine “verläßliche und auf dem Arbeitsmarkt akzeptierte Ausbildung erwarten können”. Zu diesem Zwecke sollen sich Hochschulprofessoren einem speziellen Lehrausbildungsprogramm unterziehen, das gewährleisten soll, daß in kurzer Zeit viele Studenten aus den überfüllten Hörsälen auf den Arbeitsmarkt geworfen werden.
Entscheidend ist hier nicht, ob den Studenten eine erstklassige akademische Bildung zuteil wird – die Professoren sollen sogar “zugunsten der Lehre” weniger Zeit in die Forschung und damit in “Lehrinhalte” investieren -, sondern wie diese Lehre möglichst effektiv zu organisieren ist. Die Studierenden sind hier reine Ausbildungsempfänger und “Bildungskonsumenten”, ihre Hochschule hingegen ist ein Dienstleistungsbetrieb, der seine Dienstleistung – “fitness for the work place” – gegen Studiengebühren an seine Konsumenten verkauft. Auch in den Niederlanden hat Humboldts “akademische Freiheit” ausgedient. Die dortigen Hochschulen gleichen verschulten Ausbildungsbetrieben, die zudem durch fortgeschrittene Spezialisierung auf die Bedürfnisse des dortigen Arbeitsmarktes zugeschnitten sind.
In der Bundesrepublik steht nun ähnliches bevor: Nach den Maßgaben des neuen Hochschulrahmengesetzes sollen Unternehmensberater Einzug halten in die Elfenbeintürme der “autonomen Hochschulen” und sie nach den Prinzipien des britischen Dearing-Reports organisieren. In einem Rundbrief an die Hochschulen ihres Landes kündigten der baden-württembergische Ministerpräsident Erwin Teufel und sein Wissenschaftsminister Klaus von Trotha (beide CDU) an, was von der “neuen Universität” erwartet werde: Sie soll “kürzer, schneller und billiger Bildung produzieren”. Zudem sollen unter dem Schlagwort “Zukunftsoffensive junge Generation” zum Zwecke der reibungslosen Überführung in die Arbeitswelt an den Hochschulen “Schlüsselbereiche unter die Kontrolle von anerkannten Wissenschaftsmanagern” gestellt werden. Das Berliner Institut “Stiftung Warentest” hat den Geist der Zeit erkannt: Sie will durch einen landesweiten “Hochschultest” dem Studenten eine genaue Einschätzung darüber bieten, wo er seine “Ware” am besten bekommen und seine eigenen Interessen am einfachsten realisieren kann.
Dieses engstirnige Verständnis von “Bildung als Ware” hat sich mittlerweile auch an den deutschen Universitäten durchgesetzt und spiegelt sich auch in Forderungen der protestierenden Studenten wieder: Die Kritik an den “faulen Professoren”, die zu wenig Zeit für ihre Studenten aufbringen und die Lehre zugunsten der Forschung vernachlässigen, ist in letzter Konsequenz eine Forderung nach stärkerer wettbewerbsorientierter Kontrolle und Einschränkung der akademischen Freiheit. Die Kritik an den bestehenden Prüfungsordnungen und Leistungskontrollen (die keine inhaltliche ist, sondern die Erteilung von Leistungsnachweisen betrifft), stellt sich dar als Kritik von Konsumenten, die das Produkt ihrer Begierde, für das sie gezahlt haben, gefälligst auf einfachere Art erhalten möchten.
Auch die Kritik an dem zu theoriebetonten und zu wenig praxisorientierten Studium unterstreicht den Trend, daß die Hochschule sogar von Studenten mehr und mehr als Dienstleistungsbetrieb angesehen wird, dessen Aufgabe es einzig ist, auf das Berufsleben vorzubereiten.
Die Reorganisation der deutschen Hochschulen anhand dieser Kriterien läutet deren Ende ein. Sie sorgt dafür, daß die Universitäten aufhören, Wissenspool und Innovationsherd der Gesellschaft zu sein – dabei wären neue Impulse angesichts des aktuellen gesellschaftlichen Klimas notwendiger denn je. Akademiker und Studenten, die von der Uni mehr erwarten als nur eine Tankstelle für eine berufsorientierte Massenausbildung, sollten das angepriesene neue “Wissens-Superkonzentrat” zurückweisen.