In vier Monaten von „Je suis Charlie“ zum „Charlie-Hebdo“-Boykott: Es ging nie um Meinungsfreiheit

Wer Meinungsfreiheit verteidigen will, muss dies gerade auch in Bezug auf Meinungen tun, mit denen man sich nicht solidarisieren will. Leider haben dies die Schriftsteller, die nun die Preisverleihung an „Charlie Hebdo“ boykottieren wollen, nicht verstanden.

Eigentlich soll am 5. Mai 2015 dem französischen Satiremagazin „Charlie Hebdo“ der diesjährige Preis für Mut und Meinungsfreiheit des amerikanischen PEN-Zentrums verliehen werden. Doch mehrere englischsprachige Schriftsteller, darunter Rachel Kushner und Francine Prose aus den USA, der Kanadier Michael Ondaatje, der Britin Taiye Selasi, der Nigerianer Teju Cole und der Australier Peter Carey, haben angekündigt, die Gala zu boykottieren, da sie die antireligiöse Stoßrichtung von „Charlie Hebdo“ ablehnen.

„Charlie Hebdo“, war da nicht was? Richtig, Millionen von Menschen solidarisierten sich in aller Welt mit dem am 7. Januar von islamistischen Terroristen angegriffenen Satiremagazin. „Je suis Charlie“ lautete der Slogan, der um die Welt ging. Dass nur wenige Wochen nach den Anschlägen von Paris nunmehr zahlreiche Schriftsteller die Verleihung des Meinungsfreiheitspreises an „Charlie Hebdo“ mit dem Verweis ablehnen, sie stimmten mit den Inhalten des Magazins nicht überein, offenbart, dass der Anschlag im Westen leider nicht zu einer klärenden Debatte über Freiheit und Toleranz geführt hat. Dies ist umso bitterer, als dass genau dies bereits an den weltweiten Protesten gegen Gewalt bereits sichtbar war. „Je suis Charlie“ war von Anbeginn an eben kein Slogan, mit dem die Freiheit Andersdenkender verteidigt wurde.

Am 9. Januar schrieb ich in meinem Artikel „’Je ne suis pas Charlie‘ – und gerade deshalb für die absolute Pressefreiheit!“, dass die Redefreiheit … auch für ihre Feinde [gilt], … auch für die Regenbogenpresse, die sogenannte „Lügenpresse“ und für Pornoblättchen. Man muss sich mit den Meinungen nicht identifizieren, deren Existenzrecht man verteidigt.“ Der Artikel ist vier Monate alt, dennoch ist er heute noch lesbar.