Zuversicht ist aufmüpfig

Möglich, Unmöglich, Möglichkeit, Option

In einer Gesellschaft, in der jede Woche ein neuer Weltuntergang heraufbeschworen wird, um die Erwartungshaltung der Menschen in Bodennähe zu halten, ist Zuversicht nicht nur eine Rarität, sondern gefährlich für das stagnierende Gleichgewicht. Daher ist der Optimist ein Feind des Zeitgeists.

Ich bin ein grundsätzlich optimistischer Mensch. In den Augen mancher Zeitgenossen macht mich das verdächtig. Optimistische Grundhaltungen sind nicht nur selten geworden, im Gegensatz zu anderen vom Aussterben bedrohten Lebensarten scheinen sie gesellschaftlich auch gar nicht mehr wirklich erwünscht zu sein. Optimisten gelten als blauäugige Realitätsverdreher und als Weltmeister im Wegschauen und Verdrängen. „Wie kann angesichts der Zustände in der Welt jemand mit klarem Verstand auch nur in Ansätzen zuversichtlich sein?“ So in etwa klingt der als Frage gefasste, aber oft unausgesprochen bleibende Vorwurf an denjenigen, der nicht im Jammertal der Wirklichkeit versinken will.

In vielen Bereichen des Lebens sollen Vielfalt und Buntheit das neue Stereotyp bilden. Nicht so bei der Laune. Wer nicht ängstlich um sich blickt, wer nicht grundsätzlich vorsichtig ist und nicht möglichst wenig von sich und seinen Mitmenschen erwartet, den treffen die leicht verstörten Blicke eben dieser Verstörten, Vorsichtigen und Ängstlichen. Fast erscheinen Missmut und niedrige Erwartungen als die Gebote elf und zwölf des bewusst lebenden Menschen. Warum ist das so?

Optimismus ist Kopfsache
Um den Optimismus ranken sich viele Missverständnisse. Ein zentrales basiert auf der Annahme, es müsse alles gut sein, damit auch künftig alles gut sein könne. Doch dies ist ein Irrtum: Wo steht geschrieben, dass wir nur dann eine positive Zukunft erhoffen dürfen, wenn schon die Gegenwart gut ist? Wäre dem so, würde in der Krise die Hoffnung auf Besserung aussterben. Dabei sind es gerade die guten Zeiten, in denen nicht selten die Angst vor etwaigen Verschlechterungen der Lage überhand nimmt.

Ob jemand eher ein Optimist oder ein Pessimist ist, hat wenig mit den Umständen zu tun, in denen er lebt. Reiche Menschen sind weder grundsätzlich optimistischer noch pessimistischer als arme Menschen. Der zentrale Unterschied zwischen optimistischen und pessimistischen Menschen liegt nicht so sehr in ihrer Wahrnehmung der Gegenwart, sondern in ihrer Bewertung der Zukunftsaussichten.

Der Zeitgeist bevorzugt Pessimisten
Als soziale Wesen sind wir allesamt den Einflüssen des Zeitgeists ausgesetzt. Jeder nimmt diese Einflüsse zwar anders wahr und geht anders mit ihnen um. Häufig sind persönliche Haltungen zu bestimmten Themen aus anderen Ansichten ableitbar, sie ergeben manchmal eine kohärente Ideenlandschaft: Ich versichere Ihnen, dass Sie nur wenige Veganer finden werden, die sich aktiv für Atomkraft einsetzen. Obwohl beide Themen nichts direkt miteinander zu tun haben, so sind sie doch eingebettet in Grundüberzeugungen, die wiederum bestimmte Haltungen zu anderen Fragen wahrscheinlich machen.

Wenn aber tatsächlich jeder Mensch selbst darüber entscheidet, welche Standpunkte er einnimmt, warum halten sich dann Optimisten und Pessimisten nicht die Waage? Für mich liegt die Antwort auf der Hand: Der moderne Zeitgeist bevorzugt Pessimisten. Er betont düstere Zukunftsaussichten und schürt Misstrauen gegenüber guten Nachrichten. Dies ist nicht nur der medialen Suche nach Sensationen und Skandalen geschuldet – denn selbst diese könnten ja auch zu optimistischen Interpretationen führen. Es kommt ein anderer wichtiger Faktor hinzu: Pessimismus lädt häufig zu Passivität ein.

Ohne Optimismus keine Freiheit
Wer trotz des Zeitgeists optimistisch sein will, stößt unweigerlich auf Widerstände. Denn Zuversicht ist nur möglich, wenn man hohe Erwartungen an Mensch und Zukunft hat. Dazu braucht es aber Vertrauen in die menschliche Entwicklungsfähigkeit und in die Menschheit insgesamt – und das Fehlen genau dieses Vertrauens macht den modernen Zeitgeist aus. Optimismus ist aber ohne den Glauben an die Menschen kaum vorstellbar.

Der Pessimist braucht darüber so gar nicht nachzudenken: Da seiner Ansicht nach die Dinge ohnehin eher schlechter als besser werden, muss er auch nicht für Freiheit eintreten. Nicht selten interpretiert er Freiheit sogar als zusätzliche Bedrohung und deren Beschneidung als eine sinnvolle Zukunftsstrategie, um das Schlimmste eventuell doch noch zu vermeiden. Optimistisches Denken kann sich immer dann entwickeln, wenn die Entwicklungsfähigkeit der Menschen vorausgesetzt wird. Es ist die persönliche Nähe oder Distanz zu dieser humanistischen Grundüberzeugung, die letztlich darüber entscheidet, ob jemand tendenziell optimistisch oder pessimistisch eingestellt ist. Diese Einstellung ist für mich persönlich wichtiger als die, ob sich ein Mensch als eher „links“ oder „rechts“ oder „religiös“ oder als was auch immer versteht.

Die Freude, im Gegenwind nach oben zu steigen
Wir alle verändern die Welt durch unser Denken und Handeln – ganz gleich, ob nun als Optimist oder als Pessimist. Ich habe beide Seiten selbst ausprobiert und für mich die Erfahrung gemacht, dass es spannender und erfüllender ist, sich selbst und anderen mehr zuzutrauen, anstatt in Angst und Selbstmitleid zu ertrinken. Das Schöne ist: Es ist unsere völlig freie Entscheidung, ob wir Optimisten sein wollen. Der Pessimist hält nicht einmal diese Entscheidung für frei, sondern für zwingend und alternativlos. Deswegen sind ihm die Zuversichtlichen instinktiv ein Dorn im Auge.

Der Optimist hingegen weiß, dass er gegen den Strom schwimmt. Er benötigt gute Gründe für Optimismus und eine innere Robustheit, um im Ringen mit dem Zeitgeist nicht weggerissen zu werden. Das ist nicht immer leicht. Aber zugleich macht es glücklicher und zufriedener. Wahrscheinlich gibt es in unseren Zeiten kaum etwas Aufmüpfigeres, als optimistisch zu sein. Optimisten leben in einer schöneren Welt – nicht, weil sie Hässlichkeit ausblenden, sondern weil sie im Jetzt den Beginn einer womöglich besseren Zukunft sehen und sich dafür einsetzen und darauf freuen können. Genießen Sie diese Freude und entdecken Sie, wie schön es ist, im Gegenwind nach oben zu steigen.

Dieser Artikel ist zuerst am 12.5.2019 in der Kolumne „Schöne Aussicht“ auf Cicero Online erschienen.