Von der „Anti-Partei“ zur Staatspartei

31 Jahre nach ihrer Gründung könnten die Grünen erstmals den Ministerpräsidenten eines Landes stellen.

„Die Grünen“ wurden am 13. Januar 1980 in Karlsruhe gegründet. Ihre Wurzeln liegen in einem breiten Spektrum verschiedenster politischer Strömungen: Neben Vertretern der Ökologie-, der Anti-Atomkraft-, der Friedens- und der Frauenbewegung reichte die Bandbreite von Mitgliedern kommunistischer Splitterorganisationen über bäuerliche Aktivisten bis hin zu ehemaligen CDU-Mitgliedern sowie wert- und rechtskonservativen Gruppierungen.

Was diese seltsame Mischung einte, war die Ablehnung der „zerstörerischen Industrie- und Konsumgesellschaft“, die von den Linken als „kapitalistisch“ und von den Konservativen als „modernistisch“ gebrandmarkt wurde. Während sich viele Linke frustriert vom Klassenkampf lossagten und hofften, ihrem Ziel der Systemveränderung durch das Spielen der „grünen Karte“ neues Leben einhauchen zu können, setzten konservative Gruppierungen darauf, mit dem Thema „Ökologie“ ihren anti-modernen und romantischen Naturansichten einen neuen Schub zu verleihen.

Auch nach dem Ausscheiden einiger rechter Gruppierungen blieb die, wie Mitbegründerin Petra Kelly sie bezeichnete, „Anti-Parteien-Partei“ im klassischen Sinne wertkonservativ, wenngleich ihr buntes, unkonventionelles Erscheinungsbild sowie die Überreste linkssozialistischer Rhetorik zumindest in den Anfangsjahren eine Aura des alternativen Aufbruchs verbreitete. 1983 zogen die „Grünen“ in den Bundestag und 1985 in Hessen erstmals als Juniorpartner der SPD in eine Landesregierung ein. Überrollt von der deutschen Wiedervereinigung scheiterte die Partei bei den Bundestagswahlen 1990 an der Fünf-Prozent-Hürde, die sie 1994 nach der Fusion mit dem ostdeutschen „Bündnis `90“ sowie nach quälenden inhaltlichen Debatten und zahlreichen Austritten prominenter linker Grüner aber wieder übersprang.

Mit der Bildung der rot-grünen Bundesregierung 1998 und der Ernennung von Joschka Fischer zum Bundesaußenminister und Vizekanzler war „Bündnis 90 / Die Grünen“, wie die Partei seit 1993 heißt, endgültig im etablierten Parteienspektrum angekommen. Ihre pazifistischen Wurzeln haben die Grünen spätestens während ihrer Regierungszeit endgültig gekappt: Gerade unter dem rot-grünen Außenminister Joschka Fischer wurde die Teilnahme an zahlreichen Militärinterventionen forciert. Auch die ursprüngliche Skepsis gegenüber der Marktwirtschaft wich dem Streben nach einer „ökologischen Marktwirtschaft“. Geblieben sind hingegen die Skepsis gegenüber technologischem Fortschritt und die Ablehnung von Großprojekten, die sich inzwischen auch in allen anderen deutschen Parteien verbreitet haben. Den Kern der grünen Wählerschaft bildet das arrivierte städtische, aber auch für Verunsicherung und Ängste sehr empfängliche Bildungsbürgertum. Seit 2005 ist die Partei im Bundestag wieder in der Opposition und zumindest auf kommunaler und auf Länderebene nicht mehr ausschließlich auf rot-grüne Bündnisse ausgerichtet: Seit 2009 regiert sie an der Seite von CDU und FDP im Saarland und bis vor kurzem in einer schwarz-grünen Koalition in Hamburg.

In der bis heute grüne Politik prägenden ängstlichen Ablehnung zahlreicher Technologieformen (Atomkraft, grüne Gentechnik, Nanotechnologie), großer Infrastrukturprojekte („Stuttgart 21“) sowie im Imperativ der „Nachhaltigkeit“ und dem Primat des Umweltschutzes spiegelt sich die ur-grüne Skepsis gegenüber der Fähigkeit des Menschen, die Folgen seines Handelns abschätzen und kontrollieren zu können, wider. Die Grünen aber als bloße „Dagegen-Partei“ zu diffamieren, trifft nicht den Kern. Sie verfolgt durchaus eine Linie: Sie steht dafür, den Einfluss, den der Mensch auf seine Umwelt ausüben kann und könnte, zurückzufahren – eine Politik, die angesichts der Potenziale, die in modernen Technologien schlummern, um zentrale Menschheitsprobleme wie Hunger, Krankheiten und Energieknappheit zu lösen, geradezu menschenverachtende Konsequenzen nach sich zieht. Gerade in Zeiten, in denen die Menschheit durch ihr gewachsenes Verständnis besser als jemals zuvor in der Lage ist, gezielt und bewusst in Naturprozesse einzugreifen, um die Verhältnisse auf dem Planeten zu verbessern, betont grünes Denken die Risiken überproportional und missachtet die Chancen. Aus dieser Risikobetonung und der gleichzeitigen Skepsis gegenüber dem Menschen speist sich auch der grüne Kontrollinstinkt, der sich nicht nur auf die Freiheit der Wirtschaft bezieht, sondern auch immer stärker – in wohlmeinend klingende und den Schutz der Menschen vor Bedrohungen betonende Worte gehüllt – in die Privatsphäre des Einzelnen hineinwirkt.

Auch wenn die Betonung von Gefahren und der „Alternativlosigkeit“ uninspirierter und visionsloser Gesellschaftsverwaltung inzwischen zum prägenden Motiv aller Parteien geworden ist, gelang es den Bündnisgrünen, angesichts der AKW-Krise im japanischen Fukushima in der Bevölkerung Glaubwürdigkeit für sich zu reklamieren. Der Wahlerfolg in Baden-Württemberg und die Aussicht darauf, mit Winfried Kretschmann erstmals den Ministerpräsidenten eines Bundeslandes stellen zu können, wird der Partei weiteren Auftrieb geben – gleichzeitig aber auch ihre vermeintliche Authentizität und „Bürgernähe“ auf eine harte Probe stellen. Es wird interessant sein zu beobachten, wie die Partei, die in Zeiten von Fukushima und „Stuttgart 21“ von der Panik- und Wutbürger-Welle gewissermaßen an die Macht gespült wurde, aus dem „grünen Traum“ und sich mit der Tatsache auseinandersetzt, dass man aus Panik weder Energie noch Wohlstand noch Freiheit erzeugen kann.

Dieser Artikel ist am 31.3.11 in leicht gekürzter Fassung in der österreichischen Wochenzeitung „Die Furche“ (www.diefurche.at) erschienen.