„SP(R)D: Sozialdemokratische Public Relations Deutschland“

Über die Inszenierung einer zukünftigen Regierungspartei.

Möglicherweise wird die Bundesrepublik Deutschland ab Herbst 1998 von einer Partei regiert, die im traditionellen Sinne keine mehr ist. Sie wird womöglich einen Kanzler haben, der weder durch Intellekt noch durch persönlichen Charme besticht, aber dafür etwas von modernem, anglo-sächsischem Wahlkampf versteht. Über die neumodische Inszenierung des sozialdemokratischen Wahlkampfs wird landauf, landab gestritten. Genüßlich ließen sich Spiegel wie F.A.Z. die SPD-interne Diskussion auf der Zunge zergehen, mit welchem Prozentsatz (ob mit 75 oder mit 98 Prozent) die Wahl des Kanzlerkandidaten auf dem SPD-Parteitag für die Menschen am glaubwürdigsten sei. Einerseits passen solche inszenierten Auftritte zur allgemeinen Inhaltsleere der Parteien, die weder Programme noch beeindruckende Kandidaten aufzuweisen haben. Andererseits verschwinden in einer so verstandenen Partei die Möglichkeiten zur Beteiligung der Bürger am politischen Prozeß – und damit die Grundlage der Demokratie.

Wenn weder eine dynamische Partei noch ein aussagekräftiges Programm vorhanden sind, um die sich ein Wahlkampf ranken könnte, müssen beide erfunden und inszeniert werden. Der Bundesgeschäftsführer der SPD, Franz Müntefering, nennt dieses Vorhaben “Professionalisierung des Umgangs mit den Medien”, oder auch einfach “Werben, Verkaufen und Inszenieren”. Der Parteitag der SPD im April dieses Jahres wurde zum Musterbeispiel einer neuen, nach amerikanischem und englischem Vorbild inszenierten Schauveranstaltung. Minutiös geplant vom “Einzug der Gladiatoren mit Marschmusik” bis zur genau festgelegten Länge des Beifalls für Gerhard Schröder ließ die Versammlung keinen Platz für das, was eigentlich ein Parteitag sein sollte. Die Diskussion über das Wahlprogramm erschöpfte sich nach einer Viertelstunde, denn, so bekundete Parteisprecher Michael Donnermeyer, es gehe hier vor allem “um die 15 Millionen Fernsehzuschauer”. Sozialdemokraten alten Typs mußten sich angesichts dieser Dauerwerbesendung schon wundern, und Parteivize Wolfgang Thierse erkannte: “Wir sind alle nur stolze Statisten.” (Spiegel 17/98)

Währenddessen rühmte Schröder seine Partei ob ihrer noch nie dagewesenen Geschlossenheit und Einigkeit im Kampf um die Regierungsmacht. Noch vor wenigen Jahren galt völlige Einigkeit innerhalb einer Volkspartei standhaften SPD-Genossen noch als Zeichen für politische Leere und autoritäre Parteiführung, für die es nur ein Kürzel geben konnte: CDU. Heute werden inhaltliche Auseinandersetzungen innerhalb der Konkurrenzparteien – sei es in der CDU oder bei den Grünen – in der SPD-Wahlkampfzentrale als Beweis für Zerfall und Regierungsunfähigkeit angeprangert. Nicht ganz zu Unrecht mokierte sich die CDU darüber, daß sich die SPD mit ihrem Parteitag zu einem wahren Kanzlerwahlverein aufzuschwingen versuchte. Der jüngste Landesparteitag der Schröderschen Niedersachsen-SPD im Juni zeigte, wie weit diese Bemühungen bereits gediehen sind: Er nahm das Zugunglück von Eschede ein paar Tage zuvor zum Anlaß, den Landesparteitag auf die Verabschiedung der Landesliste zu begrenzen. In fast schon stalinistisch anmutender Einmütigkeit erfolgte die “Abstimmung”, und nach nur einer Stunde und ohne jede inhaltliche Diskussion über Strategien des Wahlkampfes wurde die Versammlung geschlossen. Bei aller Betroffenheit: Ist eine Partei, die knapp vier Monate vor der anvisierten Regierungsübernahme keinen Diskussionsbedarf hat überhaupt existent?

Für die Partei als Diskussions- und Mitwirkungsort bedeutet die medienwirksame Inszenierung von Politik das Ende. Die traditionellen Strukturen der demokratischen Mitbestimmung werden für die “Partei neuen Typs” zu einem Hemmschuh. Nicht nur die vehemente Aufforderung zum Stillhalten und zur inhaltlichen Geschlossenheit, auch der Wahlkampf selbst machen dies deutlich. Während in der Vergangenheit engagierte Parteimitglieder das Näherrücken eines Wahltages als Aufforderung verstanden, selbst auf die Straße zu gehen und das Volk mit Argumenten zu umwerben, gehören nach Ansicht führender SPD-Strategen solche Wahlwerbungskonzepte der Vergangenheit an. Heute vertrauen sie lieber auf Werbe- und PR-Profis, wie z.B. den Kreativchef der Hamburger Agentur KNSK/BBDO, Detmar Karpinski. Daß die Parteien kreative Berater von außen benötigen, um überhaupt noch Aussagen zu fällen, beschrieb Müntefering in einem Interview der Medienzeitschrift Horizont:„Zum Beispiel bei unserem Slogan ‘Wir sind bereit’. Darauf wären wir als Politiker nie gekommen. KNSK/BBDO hat uns dieses Motto zu einem Zeitpunkt vorgeschlagen, als wir große Schwierigkeiten damit hatten, ‘Wir sind bereit’ nach außen zu kommunizieren, im März 1996. (…) Und plötzlich, Ende vergangenen Jahres zum Parteitag in Hannover, trat dann plötzlich dieses ‘Wir sind bereit’ in den Mittelpunkt. Alle haben es gelesen und gesagt: Das stimmt.“ (Horizont, 18/98)

Karpinski spielt die Rolle seiner Agentur herunter: sie sei nur “Erfüllungsgehilfe” der Parteiführung. Dennoch hat das Engagement der Agentur das parteipolitische Alltagsgeschäft verändert. An gewählten Gremien und Strukturen vorbei werden in dieser neuen Liaison Wahlkampfstrategien und -taktiken diskutiert und entschieden. Dies habe dafür gesorgt, daß die als “ein bißchen verstaubt und von gestern” geltende Partei sich binnen weniger Monate modernisieren konnte. Müntefering, der die Fäden des Wahlkampfzirkus der SPD in der Hand hält, steht zu dieser “Inszenierung von Partei und Politik”. Seine Mitarbeiter hätten sich sowohl in den USA bei Clintons New Democrats als auch bei New Labour über Technik und Taktik des “modernen Wahlkampfes” informiert und deren Erfahrungen in die “neue SPD” eingebracht.
Karpinski berichtet, seine einzigen Ansprechpartner seien Franz Müntefering und dessen Büroleiter Matthias Machnig gewesen. „Das, was wir in den letzten eineinhalb Jahren gemacht haben, wäre nicht durchsetzbar gewesen, wenn wir mit den üblichen Parteigremien hätten agieren müssen“, betont er.

Mit Parteidemokratie haben diese Entwicklungen nichts mehr gemein. Die Vorstellung, demnächst von Wahlkampfexperten, professionellen Werbeagenturen und Soap-Opera-Statisten regiert zu werden, macht den angepriesenen Politikwechsel zu einem Alptraum.

Erschienen in Novo35, Juli 1998)