Piratenpartei: Politikverdrossenheit zum Wählen

Die wachsende Popularität der Piratenpartei zeigt zweierlei: zum einen, dass sich nicht mehr nur Modernisierungsverlierer zum Protest aufschwingen, und zum anderen, dass auch das altbewährte Motto „Wählen gehen“ den Etablierten nicht mehr aus der Krise hilft.

In der SPD und bei den Grünen geht die Angst um: Wegen des Aufstiegs der Piratenpartei haben beide in Umfragen erstmals seit langem keine eigene Mehrheit mehr. Im repräsentativen Sonntagstrend des Meinungsforschungsinstituts Emnid kamen die Piraten bundesweit auf sieben Prozent, hieß es in einem Bericht der „Bild am Sonntag“. Damit setzt sich der unerwartete Aufschwung der jungen Partei fort: Vor wenigen Wochen hatte sie es bei den Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus erstmals in ein Landesparlament geschafft. Unerwartet deshalb, da niemand, nicht einmal die Piraten selbst, mit einem Überschwappen der Berliner Ergebnisse in den Bund rechnen konnten. Vielmehr scheint es, als würden die nach eigenen Angaben politisch kaum geschulten Piraten von einem Stimmungs-Tsunami überrollt und ins Bewusstsein der Menschen gespült.

Dies passiert in einer Geschwindigkeit, die sie selbst überrascht: In Frankfurt am Main wurden am vorletzten Wochenende am Infostand der hessischen Piratenpartei völlig veraltete Handzettel verteilt, in denen die Bundesregierung u.a. wegen der „Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken“ kritisiert wurde. Offenbar hielt man sich, nachdem es zwei Jahre nach dem Zwei-Prozent-Achtungserfolg bei den letzten Bundestagswahlen zuletzt doch arg still um die selbst erklärte Bürgerrechtspartei des 21. Jahrhunderts geworden war, selbst bereits für ähnlich überholt. Gerade diese offensichtliche politische Unbedarftheit ist es, die der Piratenpartei Sympathien in der Bevölkerung beschert. Schon am Berliner Wahlabend wurde hingegen deutlich, dass es den etablierten Parteien von schwarz über rot bis grün schwerfällt, sich ähnlich wohlwollend zu äußern. Man tat es zwar, um sich einerseits „erwachsen“ von den jungen Internet-Rebellen abzuheben und andererseits selbst doch nicht allzu unsympathisch zu wirken. So richtig glaubwürdig wirkte das aufmunternde Lächeln jedoch nicht, insbesondere nicht bei den Grünen.

Tatsächliche Gründe zur Freude liefert der Piratenerfolg für die Parteien auch nicht. Während gelegentliche Erfolge rechtsradikaler Gruppierungen mittlerweile zu einer erklärbaren und für eigene politische Ziele nutzbaren Routine geworden sind, kann das Ergebnis der Piratenpartei nicht als dumpfer Denkzettel von Modernisierungsverlierern gedeutet werden. Die Anhänger der neuen Partei sind alles andere als das, sie sind hochgebildet sowie technologie- und internetaffin. Und vor allem: Sie sind jung und in der Lage, unter Ihresgleichen in den Metropolen des Landes Punkte zu sammeln. Sie vertreten gewissermaßen die künftige Elite der High-Tech-Nation. Dass man auch diese nicht mehr erreichen kann, muss den Parteistrategen Kopfzerbrechen bereiten.

Doch noch in einer anderen Hinsicht ist der Erfolg der Piraten ein Schlag ins Kontor der Etablierten. Er zeigt, dass die etablierte Politik künftig mehr tun muss, als die Menschen gebetsmühlenartig und inhaltsleer einfach nur dazu zu animieren, zur Wahl zu gehen. In Berlin haben die Piraten 21.000 Nichtwähler zurück an die Wahlurnen gebracht und dafür gesorgt, dass die Wahlbeteiligung erstmals seit Jahren wieder leicht anstieg. Eben dieses neue Zur-Wahl-Gehen könnte Rot-Grün im Bund die Mehrheit rauben. Das eherne Gesetz, demzufolge eine hohe Wahlbeteiligung automatisch die etablierten Parteien stärkt, ist also nunmehr Geschichte.

Die Versteinerung der Parteien wird daher künftig noch sichtbarer werden. Es könnte die historische Mission der Piraten sein, sicherzustellen, dass die weit verbreitete Verdrossenheit mit diesen Apparaten bald auch innerhalb der Parlamente nicht mehr auszublenden ist. Zu mehr dürfte es nicht reichen, denn um den Kurs der Politik zu ändern, müssten sie eine Ahnung haben, wohin die Reise gehen soll. Daran hapert es jedoch grundlegend, weshalb alles eher auf ein orientierungsloses Wellenreiten hindeutet. Eine langfristige Überlebensstrategie ist dies nicht, denn: Solche Parteien gibt es schon zur Genüge.

Dieser Artikel ist zuerst am 05.10.2011 bei NovoArgumente erschienen.