Per Anhalter durch … den Bauernprotest

Eine Traktorreportage
Donnerstag, 11. Januar 2024, 12.25 Uhr. Die Bauern kommen nach Frankfurt, ins „Städtsche“. Über die Senckenberganlage rollen unaufhörlich Traktoren auf die Ludwig-Erhard-Anlage zu, wo um 13 Uhr eine Kundgebung stattfinden soll.

Die Kolonne wird auf die Theodor-Heuss-Allee geleitet, um dann über den Katharinenkreisel zurück in Richtung Messe zu rollen. Es ist laut, das Hupen und Sirenengeheul wird von den Glasfassaden der Gebäude zurückgeworfen und vermischt sich mit dem eisigen Wind.


Drumherum ein paar staunende Zuschauer, Mütter mit Kindern, kleine und große Jungs mit leuchtenden Augen. So viele Traktoren hat die Stadt noch nie gesehen. Während die Straßen verstopft sind, ist es auf den Bürgersteigen nicht wirklich voll. Die eher zufälligen gekommenen Passanten lesen die zum Teil amüsanten Transparente an den Traktoren, winken und dokumentieren das Geschehen mit ihren Handys.

Bei anderen Demonstrationen könnte man zumindest an den Straßenrändern miteinander ins Gespräch kommen, wenn man wollte. Hier beschränkt sich die Kommunikation auf Winken und hochgestreckte Daumen.


Ich will mehr erfahren. Kurz entschlossen postiere ich mich gut sichtbar am Straßenrand und strecke den Daumen hoch. Ich will aber nicht Zustimmung äußern, ich will mitgenommen werden! Zunächst bekomme ich nur hochgestreckte Daumen als Antwort. Bis dann ein Demonstrant meine Geste richtig deutet und mich zu sich an den Traktor winkt. Ich klettere hinein. Traktorfahren in der City: Ein urbaner Kindheitstraum erfüllt sich. Aber darum geht es nicht.


Stadt-Land-Wirtschaft-Flucht

Mein Ziel ist das direkte Gespräch mit einem Landwirt. Dieser hier kommt sogar aus dem Stadtgebiet Frankfurt. Der Mann ist vielleicht Mitte 40, und erst später merke ich, dass wir uns nicht einmal richtig einander vorgestellt haben. Er ist Landwirt im Nebenerwerb, neben seinem Vollzeitjob, nach Feierabend. Bis Anfang der 1990er-Jahre habe sein Vater Viehzucht betrieben. Heute baut er Getreide, Raps und Kartoffeln an.

Von den 27 Höfen im Frankfurter Stadtgebiet werden nur noch etwa 10 in Vollzeit bewirtschaftet, berichtet er. Der Rest seien Nebenerwerbshöfe. Anders gehe es nicht. Und man helfe sich untereinander aus. Reich werde man damit nicht: Auf seinen 10 ha Fläche erwirtschafte er in guten Jahren einen Gewinn von vielleicht 3000, in schlechten Jahren von 2000 Euro – im Jahr! Das sei ein 13. Monatsgehalt, für das er aber netto zwei bis drei Monate hart zu arbeiten und einen enormen Aufwand zu betreiben habe.


Wenn nun die Diesel-Steuerrückerstattung wegfiele und zudem die Pläne der Regierung umgesetzt würden, künftig auch den seit 1922 existierenden Kfz-Steuervorteil der Landwirte abzuschaffen, würde er von diesem schmalen Gewinn nochmals 800 bis 900 Euro verlieren. Dann würde er wohl aufhören. Und nicht nur er.

Es geht um die Existenz der Kleinen

Ob es bei den Protesten nur um den Diesel gehe, frage ich ihn. Nein, es gehe um die Existenz, lautet die Antwort. Und diese wird aus unterschiedlichen Richtungen gleichzeitig angegriffen. Landwirte im Frankfurter Stadtgebiet würden von der Düngemittelverordnung voll getroffen. Um die urbane Grundwasserqualität zu schützen, dürfe innerhalb der Stadtgrenzen nur 80 Prozent des außerhalb zulässigen Düngers verwendet werden.


Kollegen zwei Orte weiter dürften das volle Programm fahren. Gleichzeitig gäbe es aber in ganz Frankfurt nur zwei Messstellen, sodass letztlich überhaupt nicht verlässlich erhoben werden könne, wie sich die Grundwasserqualität entwickelt. Kopfschütteln. Je unernsthafter die Politik, desto ernster ihre Konsequenzen.

Auch die von der Europäischen Union für alle Höfe ab 10 ha Nutzfläche vorgeschriebene Flächenstilllegung von mindestens 4 Prozent knabbere am Gewinn, so der Landwirt weiter. Für dieses Jahr hatten einige EU-Agrarminister gefordert, diese verbindliche Regelung auszusetzen. Der bündnisgrüne Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir war dagegen.

Aber es sind die in der Haushaltskrise entwickelten Agrardieselpläne, die dem Ganzen die Krone aufsetzen. Es bleibe immer weniger übrig, gleichzeitig aber erhöhten sich die Aufwendungen. Sein Nachbar, der ebenfalls im Konvoi mitfahre, habe seinen Traktor für fünf Jahre geleast. 150.000 Euro könne bei den Margen niemand einfach so auf den Tisch legen. Und was ist, wenn in den fünf Jahren der Gewinn einbricht? Achselzucken.

Ist die soziale Frage „rechts“?

Schweigen auch zur Frage, wie es weitergehen soll. Die Regierung könne man ja nicht von heute auf morgen abwählen. Und wer soll es dann machen? Diejenigen, die es schon in den vielen Jahren davor nicht hinbekommen haben? Ja, es sei wichtig, die Ukraine zu unterstützen, mit Waffen und auch mit Geld.

Aber Deutschland gebe so viel in alle Welt, sodass die Frage schon angebracht sei, ob das alles wichtiger sei als die Bevölkerung hierzulande. Denn es seien ja nicht nur die hiesigen Bauern betroffen. Als er das sagt, reihen sich auf der gegenüberliegenden Straßenseite Abschleppdienste und Lkws laut hupend in den Protestzug ein.


Ob die Bauernproteste von rechts unterwandert würden, will ich wissen. Er habe bislang nichts gesehen. Es habe wohl andernorts kleine Gruppen gegeben, die es fußläufig probiert hätten. Aber das blieben Randerscheinungen. Die werden sicherlich keinen Traktor leihen, um mitzufahren, sagt er und grinst.

Zudem führt die heutige Demonstration durch den Frankfurter Stadtteil Bockenheim, dessen universitäre und linke Tradition sich nicht eben für rechte Fußmärsche eignet. Später lese ich, eine Frau hätte am Rande der Kundgebung Zettel verteilt, auf denen eine Ampel am Galgen zu sehen war. Ein Beleg für eine Unterwanderung?


Über Versuche, die Bauernproteste in den Medien als radikal darzustellen, kann der Vollblut-Feierabendlandwirt nur müde lächeln. Er habe sich zahlreiche Videos von der angeblichen Erstürmung von Robert Habecks Fähre angesehen, u.a. ein 45-minütiges Video, das ohne Unterbrechung die Ereignisse von Ankunft bis zum Ablegen der Fähre dokumentiert. Niemand habe versucht, die Fähre zu stürmen. Die Demonstranten hätten den Anleger erst betreten, als die Fähre losmachte und abgelegte. Es seien wohl eher Robert Habecks eigene Umsturzfantasien, über die geredet werde.

Fernab der Wirklichkeit

Ob er denn Landwirte kenne, die gegen diese Proteste seien, frage ich ihn. Er kenne keinen in der Region, lautet die Antwort. Für all seine Kollegen seien die Regierungspläne eine existenzielle Bedrohung. Man verstehe auch gar nicht, wie die Politik zu den immer wieder verbreiteten Durchschnittseinkommen der Landwirte komme. Man habe sich kürzlich zusammengesetzt, die Zahlen auf den Tisch gepackt und festgestellt: Das ist eine ganz andere Liga.

Vermutlich berechne die Politik bei ihren Statistiken auch Betriebe ein, die über zusätzliche Gewinnquellen verfügen, wie etwa aus der Produktion von Biogas, u.a. aus kommunalen Abfällen. Mit der Wirklichkeit reiner Landwirte in dieser Region hätten diese Zahlen nichts zu tun.


Mittlerweile stehen wir etwa 200 Meter vom Ort der abschließenden Kundgebung entfernt im Proteststau. Ich bedanke mich und klettere vom Traktor herunter. Er gibt mir die Hand und bedankt sich für das Interesse und die Solidarität.

Die abschließende Kundgebung spare ich mir. Nach dieser Fahrt per Anhalter durch den Bauernprotest habe ich keine Lust auf politischen Reden. Mir ist zwar saukalt, dennoch könnte ich diese Art von heißer Luft jetzt gerade nicht ertragen. Es war gerade so angenehm unpolitisch, unaufgeregt, sachlich und konkret. So geht Wider(ver)stand.

Fotos: Matthias Heitmann