NPD-Verbotsverfahren: Mit Granaten auf tote Würmer schießen

16-03-04 NPD-Verbotsverfahren

In dieser Woche ist etwas Seltenes passiert: Deutsche Leitmedien verschiedenster Couleur haben für ihre Artikel zum selben Sachverhalt den wortgleichen Titel verwendet. Wenn so etwas passiert, dann weiß man: Es geschieht Staatstragendes, Weltbewegendes, Zukunftsentscheidendes. Oder es handelt sich um einen prominenten Todesfall. Worum ging es diese Woche? Um das Verbotsverfahren gegen eine bereits verwesende Partei? Im Ernst?

Doch, das ist ernst gemeint. Frankfurter Allgemeine Zeitung , Focus und Der Spiegel titelten am 2. März 2016 in fast schon erleichtert klingenden Worten: „NPD-Verbotsverfahren scheitert nicht an V-Leuten“. Ähnlich las es sich auch in der Bild oder auf der Website der Tagesschau. Ich musste wirklich schmunzeln. Traut sich keiner der sonst gelegentlich kreativen Titelschreiber an dieses Thema heran? Oder versteckt man sich hinter den hohen Ansprüchen des Gerichtsjournalismus?

Nein, die freiwillige Gleichschaltung im Titel hat eher etwas Sakrales, Eindringliches, und zugleich Ängstliches. Man ist fast schon stolz darauf, die gleiche Haltung zu vertreten. Keiner will den gerichtsfesten Wortlaut verlassen, keiner traut sich, in der Titelzeile einen anderen Blickwinkel einzunehmen. Man merkt, wie den Anhängern wie offenbar auch den sich staatstragend wähnenden professionellen Beobachtern des NPD-Verbotsverfahrens der Arsch auf Grundeis geht: Nichts wäre schlimmer als wieder in dieselbe Falle zu tappen, aus der man schon beim ersten Mal nicht unbeschädigt herausgekommen ist.

Immerhin hatte man ja 2003 schon einmal versucht, diese Partei zu verbieten. Damals scheiterte man daran, dass die NPD bis in die Parteispitze hinein von Vertrauensmännern des Verfassungsschutzes durchsetzt war. Das Bundesverfassungsgericht konnte damals vor lauter V-Leuten nicht sicher sagen, was an der Partei nun typisch NPD und was staatlich organisiert war. Eine extrem peinliche Geschichte, die in ihrer Peinlichkeit eigentlich nur noch davon übertroffen wird, dass sich heute die führende deutsche Medienlandschaft unisono darüber freut, dass das Verfahren nicht wieder aus demselben Grund scheitert.

Das eigentlich Interessante an der sehr wackeligen Neuauflage des Verbotsverfahrens ist aber ein ganz anderer Aspekt: Das NPD-Verbotsverfahren mag nach dem Abzug der V-Männer funktionieren. Von der NPD selbst kann man das aber nicht sagen. Wer und wo ist denn die NPD? Sind damit die traurigen Gestalten gemeint, die auf Pegida-Märschen inkognito mitlaufen und versuchen, Leute abzuwerben? Wohin denn abwerben? Die Partei ist kaum noch existent, und zudem ist sie fast pleite. Einen solchen Trümmerhaufen zur existenzbedrohenden Gefahr für die Republik aufzublasen, ist wirklich weltfremd. Es wird deutlich: Die Angst vor dem erneuten Scheitern des NPD-Verbotsverfahrens ist viel realer als die Angst vor der NPD.

Viele mögen in Bezug auf die gegenwärtige Schwäche der NPD darauf hinweisen, dass man im Umgang mit dem Rechtsextremismus eben den Anfängen wehren müsse. Aber genau in dieser Hinsicht kann dieses Prinzip in einem freiheitlichen Rechtsstaat nicht angewandt werden. Eher gilt es in die entgegengesetzte Richtung, und zwar gegen eine zu weit reichende Macht des Staates: Solange nicht die staatsgefährdende Wirklichkeit einer Organisation zweifelsfrei belegt ist, muss, was den staatlichen Hang zur Verbotspolitik betrifft, den Anfängen gewehrt und das Recht auf Meinungs- und Vereinigungsfreiheit verteidigt werden!

Doch langsam traut man sich aus der Deckung und äußert zumindest schüchtern und scheinbar überrascht die Vermutung, dass der ganze Hype um die NPD möglkicherweise übertrieben sei und mit ihrer Wirkung herzlich wenig zu tun habe. Helen Bubrowskis Artikel „Selbstdemontage vor Gericht“ aus der F.A.Z. vom 3. März 2016 dokumentiert die traurige Realität der angeblich akutesten Staatsbedrohung. Die NPD, so schreibt Bubrowski, „demaskiert sich am dritten Verhandlungstag selbst – allerdings weniger als gefährliche Partei, denn als schlecht organisierter Haufen von Männern, die nicht besonders schnell im Kopf sind und sich auch nicht gut vorbereitet haben.“ Derlei bedauernswerte Auftritte bieten zwar Anlass für Häme und Kopfschütteln. Allerdings sollte man sich gut überlegen, wer hier eigentlich bedauernswert ist: die angeblichen Staatsfeinde oder der Staat mitsamt seiner Öffentlichkeit, die sich angesichts solcher Feinde gemeinschaftlich in die Hosen machen.

Der Chefredakteur des Berliner Tagesspiegels, Stephan-Andres Cassdorff, legt in seiner Übersicht „Morgenlage Politik“ am 4. März 2016 den Finger in die Wunde: „Ist die [NPD] nicht zu klein und zu schwach, um sie jetzt doch noch verbieten zu müssen? … Wenn die NPD jetzt wirklich verboten werden soll, gerichtsfest, dann muss ihre Gefährlichkeit zweifelsfrei geklärt sein. Sonst, nicht wahr, müsste ja gelten: im Zweifel für den Angeklagten. Das würde die NPD am Ende womöglich doch wieder größer und stärker machen, als sie ist. Was nach dem Vorlauf ganz schlecht wäre.“

Tatsächlich fällt es den Vertretern der Bundespolitik zunehmend schwer, ernsthafte Gründe für ihre Forderung nach einem Verbot der Partei zu liefern. Lediglich im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern ist die Partei derzeit vertreten – ohne dort allerdings in irgendeiner Weise ernstgenommen zu werden. In Verfassungsschutzkreisen spricht man im Zusammenhang mit der NPD landauf landab auch eher von Mitgliederschwund, desolaten Finanzen sowie von Niedergang und weitgehender Inaktivität als von einer wachsenden staatsgefährdenden Bedrohung.

Peinlich wird der Ausgang dieser Posse ohnehin werden: Denn wenn das Bundesverfassungsgericht zu der Ansicht kommt, dass von der nationaldemokratischen Parteiruine keine staatsgefährdende Bedrohung ausgeht, dann ist das für die Politik noch peinlicher als der Abbruch des Verfahrens vor 13 Jahren. Sollte das Gericht jedoch zu dem Schluss gelangen, dass ein Haufen offensichtlich dysfunktionaler und funktionsloser Funktionäre einer fast vergessenen Führer-Partei eine ernste Bedrohung für diese Republik darstellen, dann sollte spätestens jedem klar werden: Mit dem derzeitigen Berliner Angsthasenaufgebot kann einem angst und bange werden.

 Dieser Artikel erschien zuerst am 04.03.16 in der BFT Bürgerzeitung.