Merkel bei Trump: Berichterstattung auf „Bachelor“-Niveau

Angela Merkels Besuch bei Donald Trump wurde in den Medien hauptsächlich als Aufeinandertreffen von unterschiedlichen Charakteren beschrieben. Dieser Gefühls-Journalismus aber befördert den politischen Niedergang, den er eigentlich verhindern sollte.


Wie war der Händedruck? Hat er ihr fast die Hand zerdrückt? Mögen sich die beiden? Kann das etwas werden? Aber warum wirkten sie so verkrampft? Warum hat er so grimmig geguckt, während sie sich freundlich zu ihm herüber beugte? Lässt er sie kalt abblitzen? Nein, die Rede ist nicht vom „Bachelor“, auch wenn man das meinen könnte. Es geht um die Berichterstattung über den ersten Besuch von Bundeskanzlerin Angela Merkel beim Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika, Donald Trump.

Mich erinnerte die mediale Aufbereitung dieses Treffens stark an Gespräche über die Kuppelshow, die man morgens in der Straßenbahn hören kann. Und mir wurde mit einem Schlag klar, warum ich solche Sendungen meide: Klatsch und Tratsch langweilen mich zu Tode, auch die damit einhergehenden Spekulationen und psychologischen Ferndiagnosen, und gerade dann, wenn es um Politiker geht. Zugegeben, Trump und Merkel haben es Journalisten nicht leicht gemacht: Beide neigen ohnehin nicht eben zu Tiefgang. Nach Tagen der bemühten Vorberichterstattung verlängerte auch noch ein Schneesturm an der US-Ostküste das mediale Vorspiel. Drei weitere Tage musste das Thema bespielt und am Köcheln gehalten werden, ohne dass wirklich etwas passierte.

Spekulationen, Ratschläge, Banalitäten

Irgendwann sind alle inhaltlichen und relevanten Themen, die es im Umfeld eines ersten Aufeinandertreffens zweier bedeutender Politiker zu erörtern gilt, hinlänglich beleuchtet und analysiert. Dann schießen die Vermutungen und Spekulationen ins Kraut, und die Zeit der guten Ratschläge bricht an: Roland Nelles fragte sich stellvertretend für viele in seinem Artikel im Spiegel: „Wie werden sie miteinander umgehen, wird er [Trump] ihre [Merkels] Hand zerdrücken, so wie beim japanischen Regierungschef? Wird sie ihn über die Werte der westlichen Demokratie belehren? … Die eigentlich wichtige Frage lautet: Droht eine Eiszeit zwischen den alten Verbündeten Washington und Berlin?“ Über Trump weiß Nelles zu berichten, dieser lerne gerade „schmerzhaft, was es wirklich heißt, im Oval Office zu sitzen“ und dies sei für ihn „kein Spaß“. Aha.

Nelles Kollege Philipp Wittrock setzt nur wenige Tage später eine als Artikel getarnte Bewerbung als psychologisch geschulter Kanzlerinnenberater auf: „Würden Journalisten sie [Merkel] danach [Trumps Mauerbau] fragen, kann sie auf ihre persönliche Biografie und ihre Flüchtlingspolitik verweisen. Die wiederum hatte Trump in der Vergangenheit regelmäßig scharf verurteilt. Aber die Kanzlerin will nicht nachtragend sein.“ Wittrock weiß nicht nur, was Merkel nicht will, sondern auch, wie sie das Gespräch mit Trump und mit den eigenen Kollegen lenken kann: „Den Muslim Ban [gemeint ist das von Trump angestrengte Einreiseverbot für Menschen aus einigen muslimischen Länder] aber könnte sie ausklammern. Das schützt sie nicht vor Fragen beim Auftritt vor der Presse. Merkel wird für diesen Fall gewappnet sein – und ihre Kritik diplomatisch verpackt bekräftigen.“ Merkel bereitet sich also professionell auf ihre Arbeit vor. Gut zu wissen.

Die „Vertratschung“ schadet der Demokratie

Man könnte es sich nun leicht machen und einfach damit fortfahren, sich über den Niveauverlust und die zunehmende „Vertratschung“ des politischen Journalismus zu amüsieren oder zu ärgern. Dieses Phänomen ist kein Neues und auch keineswegs auf bestimmte Medienprodukte zu reduzieren. Es ist typisch und auch stilbildend für die Ära der Alternativlosigkeit, dass insgesamt mehr auf persönliche Regungen, Gestik und Mimik geachtet wird. In der aktuellen Politikberichterstattung gilt es als sehr relevant, ob das politische Führungspersonal gut miteinander auskommt oder ob manche zu narzisstisch sind, um diplomatischen Gepflogenheiten zu genügen.

Im Vorfeld des USA-Besuchs der Kanzlerin war viel darüber zu lesen, wie gut sie im Umgang mit schwierigen Charakteren sei. So informierte uns etwa Zeit Online darüber, dass Merkel das „cowboyhafte Auftreten“ von George W. Bush genauso wenig gefiel wie die „ständigen Eskapaden“ von Silvio Berlusconi oder das „präpotente Gehabe“ von Nicolas Sarkozy. Von Merkel sei zudem bekannt, erinnert Nelles im Spiegel, „dass sie großspurige Macho-Männer wie Trump nur begrenzt ausstehen kann“.

Trivialisierung der Politik

Für Angela-Merkel-Fans oder Hobby-Psychologen mögen derlei Erzeugnisse moderner Hofberichterstattung relevant und befriedigend sein. Wer sich indes kein Stück dafür interessiert, auf welchen Männertyp die Kanzlerin abfährt, dem wird klar, welche Konsequenzen diese „Vertratschung“ des Journalismus langfristig auf unser demokratisches Gemeinwesen hat. Da wäre zum einen die systematische Trivialisierung von großer Politik, in der Inhalte und Interessen zugunsten von Intrigen und Integrität in den Hintergrund gerückt werden.

Gleichzeitig aber offenbart die mediale Aufbereitung des Merkel-Besuchs bei Trump noch ein anderes Problem: Die Fixierung auf Persönlichkeiten und Charaktereigenschaften reduziert den überaus vielschichtigen Prozess des Niedergangs von demokratischer Politikkultur auf das schlechte Benehmen oder die Psyche von Leuten wie Donald Trump. Während dieser aufgrund miserabler Sympathiewerte in den Keller rast, steigt Merkel quasi über Nacht und ohne eigenes Zutun aus der Tiefe der Antipathie auf in den Olymp der Weltpolitik.

Angst vor Konflikt und Veränderung

Die scharfe persönliche Kontrastierung – in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung war gar von „Feuer und Wasser“ zu lesen – führt zu einer Überhöhung der Gegenspielerin des „Anti-Christen“: Schon gilt Merkel als moralische Führungsinstanz Europas sowie als letzte Hoffnungsträgerin, Retterin und einzige verbleibende Führerin der westlichen Welt, die Trump noch Paroli bieten könne. Diese Form der pseudo-politischen Polarisierung ist typisch für Zeiten, in denen alten Gewissheiten an Integrationskraft verlieren und ein ideeller wie moralischer Grundkonsens plötzlich infrage gestellt wird. In der bewusst oberflächlich bleibenden Zuspitzung suchen die Vertreter der alten Konsensära Zuflucht, letztlich darauf hoffend, dass die verbreitete Angst vor Dissens, Konflikt und Veränderung ihnen die Menschen am Ende doch wieder zutreibt.

So ist es auch zu erklären, warum die Politik ihrer eigenen inhaltlichen Entleerung sogar noch Vorschub leistet: Das Fehlen von attraktiven Perspektiven und schlüssigen Strategien im Umgang mit Akteuren, die auf die eine oder andere Weise den Status quo herausfordern, zeigt sich in der Krisenhaftigkeit von Politik auf nahezu allen Kanälen. Vor diesem Hintergrund erscheint die Fokussierung auf grundlegende Eigenschaften wie Anständigkeit, Höflichkeit und diplomatische Zurückhaltung sowie eine an Konturlosigkeit grenzende Anpassungsfähigkeit als geeignet, um den Mangel an erfolgversprechenden Ersatzstrategien im Umgang mit Herausforderungen zu überdecken. Merkel gelingt dies gut: Sie hält sich bedeckt, sagt wenig und auch wenig von Belang und überlässt es lieber anderen, unangenehm aufzufallen und sich um Kopf und Kragen zu reden.

Sehnsucht nach Inhalt und Niveau

Auch während ihres Besuchs bei Donald Trump ist Angela Merkel dieser Linie treu geblieben. Das gilt ebenso für Trump. Eine Rose hat sie von ihm nicht bekommen. Miteinander geredet haben sie trotzdem. Einen Handchirurgen brauchte sie anschließend nicht aufsuchen. In seinem Kampf gegen große Teile der US-Medienlandschaft hat Trump erneut gepunktet: Während des Fototermins mit der Kanzlerin wurde er von Fotografen aufgefordert, ihr die Hand zu schütteln. Er aber ignorierte diese Aufforderung. Bei jedem Tanzbären hätte man diese Verweigerungshaltung sympathisch gefunden. Bei Trump war jedoch auch das wieder ein Politikum und Beleg für seine politische Untauglichkeit.

Positiv bleibt festzuhalten: Mit dem Ende des Primats der Alternativlosigkeit und dem langsamen Auftauen der über Jahrzehnte tiefgefrorenen politischen Landschaft schwindet die Bereitschaft, sich mit oberflächlichen Übereinstimmungen und halbseidenen Erklärungen und Kompromissen zufrieden zu geben. Die zunehmende Popularität von sich als Querulanten und Fundamentaloppositionelle inszenierenden Anti-Politikern zeigt, dass die Menschen mit dem aktuellen inhaltlichen Angebot unzufrieden sind und nach anderen Antworten suchen. Noch dürfte es den etablierten Playern wie Merkel gelingen, sich gegenüber ihren ungehobelten Herausforderern neuen Typs zu behaupten. Doch es dürfte nur eine Frage der Zeit zu sein, bis sich neue politische Strömungen entwickeln, die mehr zu bieten haben als alte Konzepte, alte Ängste, alte Lösungen – und einen seltsamen Händedruck.

Dieser Artikel ist am 19.3.17 in meiner Kolumne „Schöne Aussicht“ auf Cicero Online erschienen