Mein Problem mit Frauenfußball

Seit Kindesbeinen bin ich leidenschaftlicher Fußballfan, und ich spiele auch heute noch aktiv in einer Freizeitmannschaft. Schon immer habe ich gerne mit oder gegen Fußballerinnen gespielt. Seit der Schulzeit weiß ich, dass Mädchen und Frauen durchaus gut Fußballspielen können und dies mit großer Inbrunst tun. Woher also, frage ich mich, rühren eigentlich meine Vorbehalte gegen die Frauen-WM 2011 und den Frauenfußball?

An der Qualität des Frauenfußballs kann meine Abneigung nicht wirklich liegen – wäre dem so, dürfte ich selbst nie wieder einen Bolzplatz betreten. Zudem muss man objektiv anerkennen, dass die Lernkurve im Frauenfußball sehr steil ist und das Spiel in den letzten Jahren sehr viel besser, schneller, technisch reifer und athletischer geworden ist. Das WM-Eröffnungsspiel der deutschen Nationalmannschaft gegen Kanada empfand ich als durchaus unterhaltsam – sieht man von der Chancenverwertung ab. Aber als gebürtiger Frankfurter und Eintracht-Fan weiß ich nur zu gut, dass sowohl schlechter Fußball als auch das Verballern von Großchancen kein Frauenmonopol ist.

Was den Frauenfußball tatsächlich auszeichnet, ist nicht die Spielgeschwindigkeit oder die technische Qualität, sondern das vergleichsweise körperlose Spiel. Frauenfußball gilt daher vielen als ästhetischer und fairer, und manch einer zieht ihn daher dem Männerfußball vor. Ich bezweifle jedoch, dass man mit diesem „Kompliment“ den Fußball spielenden Frauen Recht geschehen lässt: Die meisten würden sich dagegen verwehren, nur „Mädchenfußball“ zu spielen oder ihren Sport mit weniger Einsatz und Kampf zu betreiben.

Dennoch fällt auf, dass Verwarnungen, gelbe Karten oder gar die im Männerfußball beliebte „Rudelbildung“ im Frauenfußball deutlich seltener zu sehen sind – ein Umstand, der dem Frauenfußball den Ruf eingebracht hat, fairer und weniger verbissen zu sein. Auf der Website des Sportmagazins Kicker werden interessanterweise gelbe Karten in der Frauen-Bundesliga statistisch überhaupt nicht festgehalten. Es ist allerdings anzunehmen, dass sich dies angesichts der fortschreitenden Professionalisierung des Frauenfußballs verändern wird. Mit einem Blick auf prominente Frauen in unterschiedlichsten Positionen in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft verweigere ich jedenfalls der Annahme, dass Frauen grundsätzlich fairer und gerechter sind, die Gefolgschaft.

Kurz gesagt: Meine Antipathie gegen die Frauen-WM hat eher wenig mit Frauenfußball an sich und noch weniger mit Fußball spielenden Frauen zu tun. Wahrscheinlich ist es der weit verbreitete Ruf des Frauenfußballs, fairer, weniger körperbetont und fanatisch zu sein, den freudig zu beklatschen ich mich weigere. Nicht, dass ich ein Freund des unschönen Gemetzels auf dem grünen Rasen wäre. Aber die Vorstellung, dass Männerfußball künftig ähnlich friedlich sein soll, wie es dem Frauenfußball heute (wahrscheinlich fälschlicherweise) attestiert wird, treibt mir die Zornesröte ins Gesicht. Für mich gehören neben dem Teamgedanken eben auch Kampf, Risikobereitschaft, Leidenschaft, Leidensbereitschaft und das Bis-an-die-Grenzen-Gehen zu den Attributen und Werten, die Fußball für mich attraktiv machen – sowohl als Sport als auch als Sinnbild menschlicher Grundeinstellungen.

Zahlreiche dieser Werte werden im Allgemeinen als „typisch männlich“ und negativ bezeichnet – und sind heute auf dem Rückzug: Risikobereitschaft gilt als verantwortungslos, große Leidenschaft als Vorstufe zum blinden Fanatismus, und das Grenzen-Testen als sinn- und zweckloses Aufbegehren gegen vernünftige Selbstbeschränkungen und rationale Sachzwänge. Im Gegensatz zu diesen Werten werden Attribute wie Balance halten, gezügelte Emotionalität, Sensibilität und Rücksichtnahme, Sicherheitsstreben und die Bereitschaft zurückzustecken, als modern, positiv und „weiblich“ eingestuft. Sie passen in eine Gesellschaft, in der Risikovermeidung und Zurückhaltung als nachhaltige Werte der Zukunft gepriesen und nahezu alle Formen des vorbehaltlosen und robusten Eintretens für konkrete Überzeugungen und Ziele als veraltetes Interessendenken kritisiert werden. Innerhalb dieses Zeitgeistes, der durch zweifelndes Suchen nach Kompromissen und Notlösungen geprägt ist, erscheint mutiges und ambitioniertes Erkämpfen von Zielen als nicht zeitgemäß, ja sogar als potenziell gefährlich, weil unruhestiftend.

Es ist diese angestrebte Verhinderung von Unruhe und Instabilität, aber auch von Leidenschaft und unbedingtem (Sieges-)Willen, die weite Teile unserer modernen Kultur prägt. Das, was es zu verhindern gilt, wird sehr häufig mit „männlichen“ Attributen in Verbindung gebracht, während die genannten, klassisch „weiblichen“ Stereotype große Popularität genießen. Und obwohl es sich hier eigentlich um geschlechterübergreifende Wertvorstellungen und Ansichten handelt – als ob es keine Draufgängerinnen oder männliche Warmduscher gäbe –, werden sie Männern und Frauen zugewiesen, oder besser: übergestülpt.

Es ist also nicht der Umstand, dass Frauen Fußball spielen, der mir Bauchschmerzen bereitet, sondern die Tatsache, dass die mit Frauen und dem Frauenfußball verbundenen Werte in die Offensive gehen und Gefahr laufen, den Fußball sowohl als Sport als auch als kulturelles Massenphänomen zu „entmannen“. Anzeichen für diesen Trend gibt es zuhauf: Auf dem Platz zeugen die Regelveränderungen der letzten Jahrzehnte von dem gezielten Versuch, Emotionalität zu zügeln und Aggressivität zu bändigen mit dem Ziel, das Spiel „familienfreundlicher“, sprich: friedlicher und weniger draufgängerisch zu machen. Neben dem Platz springt die Tendenz, Fußballfans mithilfe drakonischer Strafmaßnahmen zu politisch korrektem Verhalten zu erziehen und auch hier Emotionalität systematisch zu verhindern, ins Auge. Immer häufiger wird das offensichtliche Fehlverhalten einzelner Fans oder kleiner Gruppen genutzt, um den (Männer-)Fußball in seiner Gesamtheit als „Bühne gewaltbereiter Proleten“ zu diffamieren.

Nicht umsonst unterstreicht der DFB, dass die von ihm ausgerichtete Frauen-WM „anders“ sein solle, nämlich: „ein Familienfest“. Damit wird nicht nur fälschlicherweise suggeriert, dass die Weltmeisterschaften von 2006 und 2010 nicht „familientauglich“ gewesen seien, sondern auch, dass es vor allen Dingen die erhöhte Präsenz von Frauen und Kindern in Fußballstadien und Fanmeilen sei, die ein solches Klima „gegen die traditionell männliche Fankultur“ durchsetzen könne. Dass dieses vermeintlich „familienfreundliche“ Klima mit einem enormen Aufgebot an Überwachungs- und Sicherheitstechnologien und -personal „sichergestellt“ wird, erklärt sich von selbst.

Von der traditionellen Gewissheit, dass das Fußballstadion der einzige Ort sei, an dem Erwachsene nicht nur hemmungslos weinen, sondern auch das Wort „Wichser“ schreien können, so oft und so laut sie wollen, ohne die geringste Aufmerksamkeit zu erregen, wie es Nick Hornby in seinem Roman „Ballfieber“ liebevoll schildert, entfernen wir uns immer mehr. Der „familienfreundliche Fußball“, dessen Reinform offensichtlich der Frauenfußball darstellen soll, läutet nicht nur den Rückzug des kämpferischen Fußballsports zugunsten eines sauberen, aber auch emotionslosen Abziehbildes ein. Er bereitet gleichzeitig den Niedergang des kulturellen Phänomens Fußball als einem der letzten Refugien von Freiheit und emotionaler Ausgelassenheit in einer ansonsten immer stärker geregelten und kontrollierten Gesellschaft vor.

Das Tragische an dieser Entwicklung ist, dass auch die Fußball liebenden und spielenden Frauen, die sich gerade anlässlich der Frauen-Fußball-WM auf dem Weg zur völligen Gleichberechtigung wähnen, unter den Folgen dieser zunehmenden politische korrekten Säuberung der Fußballkultur leiden werden. Während es im Männerfußball (noch) traditionelle und gewachsene kulturelle Segmentierungen sowie inoffizielle Strukturen und Prägungen gibt, die der Entwicklung hin zu einem keimfreien und geruchsneutralen Fußball zuwiderlaufen, existieren diese in der noch jungen Massensportart Frauenfußball nur in Ansätzen. Dieser Umstand macht den Frauenfußball zu einem jungfräulichen Spiel- und Experimentierfeld für moderne Überwachungs-, Kontroll-, Erziehungs- und Anti-Emotions-Ideologien, unter denen am Ende alle zu leiden haben werden: Frauen wie Männer, Mädchen wie Jungs.

 

Dieser Artikel erschien am 29.6.2011 auf der Website von Novo Argumente. Ebenfalls mit diesem Thema beschäftigten sich mein Beitrag „The trouble with the Women’s World Cup“ vom 30.6.2011 auf Spiked Online sowie „Männerdeckung“ auf der Website von „The European“ vom 8.7.2011.