Es ist überstanden. Der weltumspannende Konzert-Marathon „Live Earth“ zur Rettung des Weltklimas ist Geschichte. Nicht vorbei ist hingegen der unerträgliche Missionsgeist tumber Kulturschaffender, ratloser Politiker und sogenannter VIPs, die meinen, sich und uns in immer kürzer werdenden Abständen vor jeden noch so morschen Moral-Karren spannen zu müssen.
Kaum ein Jahr ist vergangen, als die Pop-Größen unserer Welt mit „Live 8“ erfolgreich die Armut bekämpften. Nun bedurfte es eines noch größeren Aufhängers, um das apolaklyptische Momentum aufrecht zu erhalten. Zum Glück wandelt sich das Klima. Das tut es zwar immer schon – worauf uns die von den Wikingern stammende Bezeichnung der heute mit Schnee und Eis fast vollständig bedeckten Insel Grönland (altnordisch für „Grünland“) freundlich hinweist –, dies tat aber der Zuversicht und der Euphorie, eine noch unantastbarere Sau gefunden zu haben, die man durch das globale Dorf treiben kann, keinen Abbruch.
Nun haben wir also singend und feiernd auch dieses Problem gelöst. Welche Steigerung kann es nun noch geben? Ein interplanetares Festival zur Ausrottung der widernatürlichen und das Gleichgewicht unseres Sonnensystems störenden Spezies Mensch – mit simultanen Rockkonzerten auf der Weltraumstation ISS, auf dem Mond und auf dem dritten Saturnring? Das wäre der logische nächste Schritt. Denn wir sollten nicht so erd- und menschzentriert sein: Da ja alles mit allem zusammenhängt, leiden natürlich auch die Außerirdischen unter uns – unabhängig davon, ob wir deren Existenz bewiesen haben oder nicht. (Wir können ja nicht so tun, als gäbe es sie nicht, bloß, weil wir sie in unserer Beschränkheit nicht entdecken können.) Wenn wir die noch an Bord holen, sind wir mehr als nur ein paar Milliarden – und Al Gore, Bono und Herbert Grönemeyer müssten nicht länger ihre wirkliche Herkunft verheimlichen. Vielleicht wären dann auch Elvis Presley, Kurt Cobain, Sid Vicious und Mozart wieder mit von der Partie.
Dass Al Gore nicht von dieser Welt ist, durften wir schon lange vermuten. Zunächst versuchte er sich – ganz irdisch – als Kandidat für die US-amerikanische Präsidentschaft, scheiterte aber, wie er bis heute meint, an der menschlichen Unfähigkeit, auch nur einfachste Rechenaufgaben wie etwa das Zusammenzählen von Wählerstimmen durchzuführen. Durch menschliches Versagen um die Früchte seiner Arbeit gebracht, ist er seither als globaler Moral-Unternehmer in Sachen Umweltschutz unterwegs. Die Jagd nach Wählerstimmen hat er erfolgreich durch Kinokartenverkaufen sowie das Um-sich-Scharen von Öko-Jüngern ersetzt. Wenn er nicht gerade in seinem energiefressenden Eigenheim sitzt, jettet er um den bedrohten Planeten, labt sich an der Verdrossenheit der Menschen mit sich selbst und beglückt sie in ihrer Ausweglosigkeit mit seiner heiligen Mission: dem Krieg gegen den Klimaterror, und die Klimaterroristen, das sind wir. Freikaufen konnten wir uns nur, wenn wir brav Tickets für „Live Earth“ gekauft und ihm zudem das Versprechen gegeben haben, uns seinem Kreuzzug gegen den Klimakiller Mensch anzuschließen.
Dass selbsternannte Weltenretter wie Gore, Geldof oder Bono (oder hierzulande Grönemeyer) heute größere Glaubwürdigkeit genießen als diejenigen, die wir alle paar Jahre amtlich damit beauftragen, unsere Welt besser zu machen, zeigt, mit welch schierer Oberflächlichkeit und grenzenloser Naivität, aber gleichzeitig auch beängstigender Passivität wir heute auf das angeblich „dringendste Problem unserer Zeit“ reagieren. Der quasi-religiöse Zuspruch, der Missionaren dieser Güte zu teil wird, ist aber nicht nur durch die Unbeliebtheit unserer Politiker zu erklären. Er ist vielmehr ein Abfallprodukt des Verwesungsprozesses einer ehemals auf rationale und auf konstruktive Problemlösung ausgerichteten politischen Kultur.
Das Paradoxe an der Entwicklung ist: Je größer das Problem erscheint, desto inhaltsleerer fallen unsere Reaktionen aus. Ging es bei „Live 8“ immerhin noch rhetorisch darum, für die ärmsten Länder der Welt einen Schuldenerlass zu erreichen – der zwar bereits ausgehandelt war, den Ländern jedoch keinen Cent zur Lösung ihrer Probleme in die Taschen spülte –, so sind die Forderungen, die „Live Earth“ postulierte, von einer peinlichen Nichtigkeit, die kaum noch zu übertrumpfen ist. Die Organisatoren des Weltrettungs-Spektakels haben ein „Global Warming Survival Handbook“ herausgebracht, in dem in 77 „Essentials“ gelistet sind, die wir zur Verhinderung der „globalen Klimakatastrophe“ zu verinnerlichen haben.
Wahrhaftig Umstürzlerisches und jede Menge Sprengstoff beinhaltet dieser von David de Rothschild, einem Umweltaktivisten und Mitglied der seit Menschengedenken für Querdenkertum und Altruismus bekannten französischen Bankerfamilie, verfassten Klima-Revolutions-Guide: Essential 20 fordert uns auf, bei unangenehmer Kühle im Wohnzimmer einen Pullover überzustreifen, anstatt die Heizung aufzudrehen. Acht Essentials später heißt es, wir sollten Tomaten selbst züchten, anstatt sie teuer einzukaufen. Dass damit zahlreiche Tomatenbauern in den Ruin getrieben werden, sollte angesichts der globalen Mission getrost in Kauf genommen werden. Ansonsten ist es um dem Gemeinsinn im Handbuch nicht so schlecht bestellt, dies belegt Essential 12: Veranstalten Sie Partys, denn man kann auch Bewusstsein schaffen, wenn man gemeinsam das Glas auf die gute alte Mutter Erde erhebt. Selten war die Grenze zwischen Bewusstseinsbildung und Bewusstlosigkeit so fließend.
Letzten Endes können wir froh darüber sein, dass wir uns auf den Klimawandel mit relativ einfachen – und vor allen Dingen: bereits existierenden – Mitteln einstellen können. In unserer untergangszentrierten Bewusstlosigkeit wären wir als Gesellschaft nur schwer in der Lage, unter Zeitdruck innovative Konzepte zu entwickeln. Zum Glück lässt sich das Wissen um technische Errungenschaften nicht ganz so leicht auslöschen: Den Deichbau haben wir bereits erfunden, Bewässerungsanlagen ebenso, und auch Gentechnik und Atomkraft bieten viele Möglichkeiten, unsere Lebensgrundlagen bei sich verändernden Umweltbedingungen zu sichern. Wenn wir uns nur dazu durchringen würden, nicht in Selbstgeißelung zu erstarren und stattdessen die zahlreichen Schein-Heiligen, Öko-Talibans und Globetrottel zum Teufel zu jagen, die unsere Hirne vernebeln, dann könnten wir die offensichtlich jeder Schamgrenzen beraubte globale Pop- und VIP-Elite wieder in ihrer (Fernseh-)Anstalten einsperren und uns auf einen hoffentlich warmen Sommer und eines Tages auch darüber freuen, dass Grönland seinen Namen wieder zu Recht trägt.