Der Fall Matussek: Journalismus in einer durchgeknallten Welt

Nach den Anschlägen von Paris liegen die Nerven blank – offenbar auch in den Chefredaktionen deutscher Tageszeitungen.

Nach den Anschlägen von Paris liegen die Nerven blank – offenbar auch in den Chefredaktionen deutscher Tageszeitungen. Anstatt gerade jetzt die Freiheit – und gerade auch die Meinungsfreiheit – offensiv zu verteidigen, geschieht das Gegenteil: Die „Welt“ setzt ihren Kolumnisten Matthias Matussek nach einem Streit über einen harmlosen Facebook-Eintrag vor die Tür.

„Welt“-Kolumnist Matthias Matussek hatte unmittelbar nach den Anschlägen in Paris folgenden Eintrag auf Facebook veröffentlicht: „Ich schätze mal, der Terror von Paris wird auch unsere Debatten über offene Grenzen und eine Viertelmillion unregistrierter junger islamischer Männer im Lande in eine ganz neue frische Richtung bewegen.“ Am Ende dieses Eintrags stand ein Smiley. Matusseks Chefredakteur und Welt-Chef Jan-Eric Peters distanzierte sich daraufhin im Namen der Zeitung und verurteilte das Posting als „durchgeknallt“. Heute eskalierte dieser Disput, und die „Welt“ trennte sich mit sofortiger Wirkung von Matussek.

Kann es sein, dass Menschen für dieselbe Meinungsfreiheit ihr Leben riskieren, die andere wegen eines Facebok-Eintrags samt Smiley (!) mit Füßen treten? Wir reden immer von „Stärke zeigen“ und von „Selbstbewusstsein“ – aber ein dem Wortlaut nach so harmloses Facebook-Posting mit Smiley führt schon zu einem solchen Eklat? Mann Mann Mann, was für eine durchgeknallte Welt!

Es ist schon ein vielsagender Schritt, wenn ein angesehener Journalist wie Peters als Chefredakteur einer angesehenen Tageszeitung, die in der Vergangenheit immer wieder mal kontroverse Artikel publizierte (wofür ich sie schätze), so einen Facebook-Eintrag wie den von Matussek meint, öffentlich als „durchgeknallt“ bezeichnen zu müssen.

Ob bei dem Rauswurf Matusseks für längere Zeit gepflegte Animositäten eine Rolle spielten, ist mir hier völlig egal. Wäre dies tatsächlich der Fall, so hätte man hier einen Akt der Meinungsfreiheit instrumentalisiert, um andere Süppchen zu kochen. Ich finde, gerade jetzt müssen wir aber, was Meinungsfreiheit angeht, ein dickeres Fell haben. Das gilt auch für Journalisten, und auch für Chefredakteure.

Dieser Kommentar ist am 17.11.2015 in der BFT Bürgerzeitung  und am 18.11.2015 bei der „Achse des Guten“ erschienen.

 

Am 24.11.2015 widmete sich ein gewisser „Groucho“ in der Online-Community der Zeitung „Freitag“ ausgiebig wutschäumend und gallespuckend dem Fall Matussek sowie meinem Artikel dazu („Matussek nicht mehr bei DIE WELT, Skandal!“). Dieses Recht sei ihm von Herzen gegönnt.

In Erinnerung wird bei mir der Beitrag bleiben wegen des folgenden Satzes, in dem der Autor seine Sichtweise zum Thema Pressefreiheit prägnant auf den Punkt bringt:

„Die Pressefreiheit ist die Freiheit von ca. 200 Zeitungsfabrikanten, ihr Geld so einzusetzen, dass daraus mehr werde, oder/und dass deren Meinung Geltung gewinnt.“

Interessant ist die deutlich sichtbare Verengung und die Tatsache, dass in der konzipierten „Pressefreiheit“ die Leserschaft hier überhaupt keine Rolle mehr spielt – wenn überhaupt, dann implizit als Geldvermehrer, eine Lebensform, die in Grimms Märchen nicht ganz zufällig ein Esel ist.

Das erklärt vielleicht auch den arroganten Stil des Textes. Aber gut, es ist Freitag, und es ist „der Freitag“, und ich möchte „Groucho“ nicht weiter in seiner eigenen freitäglichen Pressefreiheit stören.