FreiHeitmanns Befreiungsschlag (19-2022): Raus aus der FIFA!

25.11.2022 – Für einen Austritt aus der FIFA braucht man Eier. Und keine Binden. Und es braucht Leute, die Bock haben auf Fußball. Auf den echten, den dreckigen, den mit fluchenden Fans, mit Bier und Hoffnung, aber ohne Bierhoff, und ohne autokratische Fußball-Weltregierungen.

Eigentlich wollte ich keinen Podcast zur Wok-WM, äh zur Woke WM machen… aber es geht nicht anders. Manches muss einfach raus.

Die Diskussion über die Fifa erinnert an die Debatten über die EU: Man ereifert sich über die Verbotskultur, über die absurden Regularien und über das Fehlen jeglichen Fingerspitzengefühls und demokratischer Mitbestimmung – gleichzeitig sind aber die nationalen Mitgliedsverbände diejenigen, die das Monster überhaupt erst erschaffen haben. Die Fifa ist keineswegs außerirdisch – sie ist das erwartbare Produkt der Art und Weise, wie heute schlagkräftige Organisationen entstehen. Die Verbände, die nun herumjammern, sind nicht nur Teil des Problems, sie sind die Basis des Problems. Und auf nationaler Ebene agieren diese Verbände übrigens fast genauso autoritär und kleinkariert, wie sie es global der Fifa vorwerfen.

Aber mit der Fifa brechen? Die Dänen diskutieren es wohl, aber die großen Verbände trauen sich nicht! Über die Fifa lästern ist doch viel leichter. Und plötzlich fühlen sich der DFB-Präsident Bernd Neuendorf und Oliver Bierhoff wie kleine Wohlfühl-Revoluzzer. Es ist einfach für sie, sie auf Fifa-Chef Infantino schimpfen – und so verlogen: Gerade Leute wie Bierhoff stehen seit Jahrzehnten für die Anpassung des Fußballs an mediale Bedürfnisse, er steht wie kaum ein anderer für diese Verlieblingsschwiegersohnisierung des einstigen Proletensports und für die Einführung der konformistischen Planwirtschaft in der Talentgewinnung. Vor 20 Jahren haben wir im Magazin „Novo“ diesen Trend im Fußball sogar nach ihm benannt: die „Bierhoffisierung des Fußballs“, ein Begriff, der 14 Jahre später vom Spiegel aufgegriffen wurde.

Und heute steht Bierhoff vor den Kameras und beteuert, man könne ihm die Binde wegnehmen, nicht aber seiner Werte. Das ist wohlfrisierte Heuchelei. Bierhoff ärgert sich über die Fifa, weil sie ihn entlarvt hat, weil sie ihm nicht einmal seine Mittelmäßigkeit und angepasste Wokeness durchgehen lassen will. Die böse böse Fifa entreißt ihm nun die Feigenbinde, äh, das Feigenblatt. Ich kann mich gerade nicht entscheiden, was peinlicher ist: diese Binde tragen zu wollen und sie aufzublähen zu einer Widerstandsfahne – oder sich dann verbieten zu lassen, diese zu tragen. Wahrscheinlich würde ich mir vor lauter Scham die Hand vor den Mund halten. All dies ist einen Blutgrätsche gegen den gesunden Menschenverstand – daher würde ich deswegen sagen: glatt rot!

Schamrot könnte man werden, wenn man die Beschimpfungen gegen Katar wirklich ernstnehmen würde. Aber wir wissen ja, dass das eigentlich nur verzweifeltes, moralisches Posing ist. Gerade aus Deutschland. In anderen Ländern ist das Katar-Bashing nicht so ausgeprägt. Ich weiß auch warum. In 2 Jahren findet hier die Fußball-Europameisterschaft statt. Da will man vorher nochmal klarmachen, wie moralisch einwandfrei man selbst ist. Damit dann ja keiner auf die Idee kommt, das gekaufte Sommermärchen von 2006 anzusprechen.

Das war ja damals eine ganz andere Zeit, ganz andere Leute, bis auf – ja genau – Oliver Bierhoff. Der ist so lange beim DFB, dass man fast meinen könnte, er hätte das Wunder von Bern auch schon gekauft. Auch wenn er jetzt Tränen verdrückt wegen des Moralverfalls – wir wissen doch, wie nah er bereits vor dem WM 2006 am Becken gebaut war. Sind eigentlich schon Proteste gegen die EM 2024 in D angemeldet worden? Wegen des gekauften Sommermärchens? Ich fang schon mal an, Protestschilder zu malen und Bälle zu sammeln – die klebe ich dann auf die Autobahn!

Wenigstens die Iraner protestieren, gelle? Ganz toll ist das! Endlich mal Leute, die aus Überzeugung ihre Nationalhymne nicht mitsingen! Super! Alle finden das super, auch beim DFB. Aber nur, solange es nicht die deutsche Nationalhymne ist, die nicht gesungen wird. Was ist das in den letzten Jahren für ein Eklat gewesen! „Die singen ja gar nicht, die bewegen ja nur die Lippen, und nicht mal das! Und dann haben sie auch noch dunkle Hautfarbe! Die identifizieren sich gar nicht mit uns! Und dann heißen sie auch nur die Mannschaft!!“

Und jetzt die schweigenden Iraner. Offensichtlich werden die Deutschen gerade mal wieder daran erinnert, dass man mit den Menschen im Land identifizieren kann, ohne dass das Ganze über den Staat läuft. Dass es überhaut Dinge gibt, die ohne Staat laufen. Nach 3 Coronajahren hierzulande fast nicht vorstellbar. Das schmeckt natürlich nicht jedem.

Es ist interessant zu beobachten, wie sich über die Jahre die Rolle des Sportjournalisten verändert hat. In der Vergangenheit war es so, dass sich um den Sport in der Regel diejenigen Journalisten kümmerten, die entweder nicht für die hohe Weihe des politischen Journalismus geeignet waren oder es nicht so bierernst haben wollten und deshalb lieber in die Unterhaltung gingen.

Doch mit dem Absterben der politischen Ernsthaftigkeit und dem Versanden politischer Tiefgründigkeit änderte sich das Verhältnis zwischen den beiden Welten, bzw. es fand eine Nivellierung statt. Sport, und insbesondere Fußball wurde zu einer Plattform, auf der sich die Politik gerne inszenierte – wo sonst hat man so viele Zuschauer? Daher musste der politische Journalismus ebenfalls beginnen, sich auf dieser Ebene zu bewegen. Es fand eine Vermischung statt mit den früher verschmähten und belächelten Journalistenkollegen vom Spocht.

Heute sind sie kaum noch auseinanderzuhalten, sie moderieren gemeinsam die ÖR-Nachrichtensendungen, und in Sportsendungen hocken Vertreter der ÖR-akzeptierten Zivilgesellschaftund ordnen die Geschehnisse pädagogisch wertvoll ein. Es gibt gar keine Nachrichtensendungen mehr, die sich von Sportsendungen unterscheiden, es ist alles dieselbe Soße. ZDF-Dauer-Spezial oder ARD-Perma-Brennpunkt. Die Moderatoren der Sportsendungen fühlen sich mittlerweile gestört durch die Sportübertragungen, weil sie die Moraldebatten immer wieder abbrechen müssen.

Ich war ja von Anbeginn an ein Anhänger des Brexit und bin es auch heute noch. Weil er ein demokratisches Votum war und aufzeigt, dass Veränderungen sehr wohl möglich sind – auch gegen die eigenen Führungseliten. Politik ist, was wir daraus machen. Das kann auch für den Fußball gelten. Wie wäre es mit einem Ausstieg aus der Fifa-Welt? Einer muss anfangen, um den anderen zu zeigen, dass es möglich ist. Am besten, einige tun sich zusammen und steigen gemeinsam aus.

Zu so einem Schritt braucht man Eier. Und keine Binden. Und es braucht Leute, die Bock haben auf Fußball und die sich den Fußball zurückholen wollen. Den echten. Den dreckigen, den mit fluchenden Fans, mit Bier und Hoffnung, aber ohne Bierhoff, und ohne autokratische Fußball-Weltregierungen. Die Briten haben den Ausstieg aus der EU geschafft – warum sollte nicht auch die Fifa irgendwann hinfällig werden?