Dass dies so ist, hat zwei eng miteinander in Verbindung stehende Gründe: Zum einen kann man erfundene Nachrichten kaum mehr von realen unterscheiden. Dass eine deutsche Familienrichterin Suren des Korans als Grundlage für ein eine deutsche Staatsbürgerin marokkanischer Herkunft betreffendes Familienrechtsurteil heranzieht, wäre früher evtl. als Aprilscherz durchgegangen, wahrscheinlich sogar als ein relativ guter. Dass ein deutscher Ex-Terrorist beim Bundespräsidenten ein Gnadengesuch einreicht und eine Ex-Terroristin keine „Mörderin“ mehr sein, sich auch nicht als solche bezeichnen lassen will und zudem droht, dies mithilfe des „Schweinesystems“ gerichtlich durchzusetzen, grenzt ebenfalls an scherzhafte Absurdität. Ebenso übrigens aber auch die öffentliche Debatte darüber, ob und wie sich jemand Gnade „verdienen“ könne, so wie in der Talksendung „Maybrit Illner“ geschehen.
Dass Gnade als die „schöne Schwester der Willkür“ gerade darauf basiert, dass sie trotzdem und gerade demjenigen gewährt wird, der vor der Macht des sie Gewährenden zu Kreuze kriecht und mit seinem Betteln die eigene Unterlegenheit und der eigene Niederlage eingesteht, ging im Eifer der „ernsthaften“ Debatte vollständig unter. Dass sich in der selben Runde obendrein Hessens Ministerpräsident Roland Koch allen Ernstes darüber echauffierte, dass der Intendant des Berliner Ensembles, Claus Peymann, es wagte, den Bundespräsidenten beim Nachnamen („der Köhler“) zu nennen, belegte ein weiteres Mal, wie ernstzunehmend die Bedrohung, der sich der Aprilscherz ausgesetzt sieht, tatsächlich ist.
Zum anderen ist es aber auch so, dass es aufgrund der um sich greifenden Absurdität politischer Ereignisse immer schwerer fällt, Nachrichten überhaupt noch Glauben zu schenken – oder eben auch nicht. Der Aprilscherz verpufft, wenn alles der Lächerlichkeit preisgegeben wird und gleichzeitig jede Lächerlichkeit unterschiedslos ernsthaft aufgearbeitet wird. Es ist auffällig, dass mit der Zunahme der Lächerlichkeit die Ernsthaftigkeit, mit der das Lächerliche diskutiert wird, ins Unermessliche steigt. Selbst wenn es also gelingt, etwas als tatsächlich „lächerlich“ zu erkennen, verbietet es das von globaler humaner Kollektivschuldigkeit getriebene Menschengewissen, die entstellende Fratze des Lächelns auch nur anzudeuten.
Mit einer ähnlich düsteren Zukunftsperspektive haben neben dem Aprilscherz auch andere Phänomene zu kämpfen, das „Sommerloch“ etwa. Als „Sommerloch“ wurde früher die Zeit genannt, in der sich politisch wenig regte, da die Granden in Urlaub weilten, was in der Regel politische Hinterbänkler auf den Plan rief, um mit mehr oder minder sinnvollen und zumeist spektakulären Aussagen für sich die Werbetrommel zu rühren. In den Zeitungsredaktionen griff man diese Statements nur zu gerne auf, was zum Schlüpfen zahlreicher „Enten“ führte. Doch auch dies geschieht in dieser Form kaum noch, oder eher: Dem Zeitungsleser drängt sich der Verdacht auf, als habe das Sommerloch seine jahreszeitliche Bindung vollends eingebüßt und sich mittlerweile auf das ganz Jahr ausgeweitet.
Man könnte aber auch anders herum argumentieren: Ein Loch beschreibt eine begrenzte Fläche, deren Grund deutlich niedriger liegt als die sie umgebenden Fläche, das „Normale“ ist mithin auf einem deutlich höheren Niveau, wodurch überhaupt erst ein „Loch“ möglich wird. Wenn dieses „deutlich höhere Niveau“ jedoch nicht existiert, steht es schlecht um die Existenz von Löchern. Dem Sommerloch geht es also an den Kragen – nicht nur wegen des Klimawandels, sondern auch wegen des Verlustes der Fähigkeit von Politikern, sich nicht wie Hinterbänkler aufzuführen.
Was bleibt ohne Aprilscherz und Sommerloch? Eine eingeebnete und zugleich bodenlose Monokultur, die zwischen ernstgenommener Lächerlichkeit und lächerlicher Ernsthaftigkeit, aber insgesamt weit unter Normal Null, changiert, und zwar so sanft, dass wir nicht geweckt werden. An nasse Füße müssen wir uns gewöhnen. Schlafen Sie gut.