Gegen die Helenisierung des Fußballs

Natürlich kann man Helene Fischer mögen. Und natürlich kann man es ablehnen, wenn eine Künstlerin von den Zuschauern während eines Auftritts ausgepfiffen wird. Derlei Meinungsäußerungen jedoch während Liveübertragungen von öffentlichen Veranstaltungen totzuschweigen, käme einer ungleich größeren Unsitte gleich und wäre ähnlich zu werten wie der moralapostolische Versuch, leicht bekleidete Beachvolleyballerinnen mit schwarzen Balken vor voyeuristischen Blicken zu „schützen“.

Möglicherweise sollen wir uns aber an genau derlei Balken – visueller wie auch akustischer Natur – gewöhnen. Und wir wissen aus der Vergangenheit: Diese Balken sind aus demselben Holz geschnitzt wie die Köpfe der Zensoren und die Bretter davor. Das DFB-Pokalfinale von Berlin bot einen ersten Vorgeschmack darauf – nicht wegen des Auftritts der wie üblich offenherzig gekleideten Helene Fischer, sondern wegen des medialen Umgangs mit der laut geäußerten Zuschauerkritik während ihres Auftritts.

Beides zusammen ist Ausdruck der staatstragenden Entrücktheit der Veranstalter und Initiatoren, in diesem Falle also: des Deutschen Fußball Bundes in Zusammenarbeit mit den Fernsehsendern. Diese blendeten zwar keine Balken ein-, wohl aber das Pfeifkonzert aus, so gut es eben ging, und um auch die letzten Reste des Unmuts zu überstrahlen, wurde die Fisch(er)-Konserve hochgedreht.

So kamen die Fernsehzuschauer in den akustischen Genuss eines Auftritts, den vor Ort so niemand erlebte. Böse Geister könnten dies als öffentlich-rechtlich organisierte Fake News bezeichnen. Wohlmeinende könnten aber auch gerade in dieser Peinlichkeit eine Werbung für den Fußball erkennen – wohlgemerkt für den echten Fußball 1.0, den mit der wüsten Beschimpfungs- und Beleidigungskultur, mit jeder Menge alkoholisierter und verschwitzter Zuschauer aus prekären Verhältnissen, und mit der labberigen Bratwurst und der abgestandenen Plörre in der Halbzeitpause.

Dass eine solche Erfahrung gut tun könnte, schien auch Helene Fischer selbst zu spüren. Im Fernsehinterview vor ihrem Auftritt räumte sie ein, dass es für sie eine neue Erfahrung sei, dass ein vollbesetztes Stadion voller Energie ist. Der anschließende Auftritt lehrte sie, dass ein volles Fußballstadion auch anders kann als brav einfach nur wohltemperierte Schlagertexte mitsingen. Es ist wohl genau diese ungebändigte, freie Energie, die bei den Produzenten von sedierender Staatsöffentlichkeit als gefährliche No-Go-Area gilt. Es ist nicht völlig unrealistisch, dass bei kommenden Pokalfinals die Halbzeit-Show mit zweiminütiger Verzögerung ausgestrahlt wird, um rechtzeitig die Außenmikrophone herunterzuregeln.

Dieses Mal hat das noch nicht ganz geklappt, die Pfiffe waren noch zu hören. Vielleicht sollten die deutschen Fernsehsender einfach demnächst einen Praktikanten bei zensurtechnisch erfahrenen Übertragungsspezialisten hospitieren und Erfahrungen sammeln lassen. Alternativ könnte das Halbzeit-Entertainment auch direkt von der Jubelmeile am Brandenburger Tor gesendet werden – was in diesem Jahr wegen des gleichzeitig stattfindenden Kirchentags ein Leichtes gewesen wäre.

Wahrscheinlicher ist es aber, dass demnächst die gerade losgetretene No-Smartphone-Kampagne aus den Schwimmbädern auch in die Stadien herüber schwappt – damit auch über die immer noch so gefährlich-freien und unzensierten Kanäle des „Pöbel-TV“ (Facebook, YouTube, Instagram & Co. ) künftig keine imagebeschmutzende Dokumentation der Realität mehr möglich ist. Denn dort gibt es den Auftritt von Fischer sozusagen „unplugged“ mitsamt der grandiosen Zuschauerreaktion auf die Helenisierung des Fußballs unzensiert zu hören – noch.

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