Der (Pech)-Stein des Anstoßes

Der Anti-Doping-Lobby ist im Fall Pechstein ein großer Wurf gelungen.

(Erschienen in: NovoArgumente, Nr. 104, 1-2 2010)

Bislang sahen sich die Verfechter eines dopingfreien Sports zuweilen mit der Tatsache konfrontiert, dass die Zusammenstellung der als verboten geltenden Substanzen und Methoden zur physischen Leistungssteigerung als unschlüssig, intransparent und für den Sportler kaum nachvollziehbar kritisiert wurde. Dennoch war diese von der Welt Anti-Doping Agentur WADA aufgestellte Positivliste das einzige Mittel, um Doping überhaupt nach außen als eine stimmige Kategorie und somit auch als einen rechtsrelevanten Tatbestand zu verkaufen.

Nach dem CAS-Urteil gegen die deutsche Eisschnellläuferin Claudia Pechstein vom November scheinen für die Anti-Doping-Krieger einfachere Zeiten anzubrechen. Denn mit der Positivliste müssen sie jetzt nicht mehr argumentieren. Pechstein wurde mit einer Sperre belegt, obwohl ihr kein Doping nachgewiesen werden konnte. In der sogenannten „indirekten Beweisführung“ wurde argumentiert, die Blutwerte der Olympiasiegerin seien „unnatürlich“ und nur mit Doping zu erklären. Spannend dürfte es werden, wenn einmal genauer hinterfragt wird, was im Zeitalter des modernen Leistungssports, der „von Natur aus“ mit Natur wenig am Hut hat, unter „unnatürlich“ zu verstehen ist.

Das moralische Gedankengebäude, dem der Begriff „Doping“ gewissermaßen als ein das wacklige Fundament stabilisierende Dach aufgesetzt wird, entlarvt sich selbst: Was geschieht, wenn „unnatürliche“ körperliche Eigenschaften, wie auch immer definiert, sowohl mit „legalen“ als auch mit als illegal geltenden Mitteln erreicht werden können? Die Antwort liegt auf der Hand: Eigentlich muss eine haarkleine Beschreibung des menschlichen Körpers zur Grundlage von Legalität erstellt werden, denn was das Pechstein-Urteil tatsächlich bedeutet, ist, dass nicht mehr der Weg zu einer bestimmten körperlichen Eigenschaft, aus der eine bestimmte Leistungsfähigkeit erwächst, bewertet wird, sondern die Leistungsfähigkeit an und für sich.

Der Umkehrschluss macht die Absurdität der CAS-Entscheidung noch deutlicher: Wenn ein Sportler verbotene Substanzen einnimmt, seine Leistungsfähigkeit aber dennoch unterhalb der als „unnatürlich“ definierten Werte bleibt, müsste er eigentlich als ungedopt gelten. Angesichts des ins Rollen gebrachten Steins können wir nur gespannt und atemlos auf die neuen absurden Geschichten warten, die die nahende Winter-Olympiade schreiben wird. Pechstein hatte Pech, aber sie wird nicht die Letzte sein.