Ungebrochen optimistisch

Geschäftsmann, Möglich, Unmöglich

Ein Gespräch von Adrian Tavaszi von der Mannheimer Abendakademie mit dem Journalisten und Kabarettisten Matthias Heitmann.

Matthias Heitmann, ich nehme Sie seit einigen Jahren wahr als eine kritische, aber optimistische Stimme. Derzeit erleben wir dramatische Entwicklungen, und das Schlimmste scheint uns noch bevorzustehen. Woher nehmen Sie Ihren ungebrochenen Optimismus?

Wir haben die Krise sicherlich noch nicht überstanden, auch wenn es nun erste Anzeichen dafür gibt, dass in Deutschland die Kurve der Neuinfizierten langsam etwas abflacht. In vielen anderen Teilen der Welt ist das aber noch nicht der Fall. Wo es auf jeden Fall auch in Deutschland noch dramatischer werden wird, ist der gesellschaftliche und wirtschaftliche Bereich der Krise.

Was aber auch immer auf uns zukommt: Mit der Verfügbarkeit von Optimismus hat das nichts zu tun. Viele Menschen sehen Optimismus als eine begrenzte Ressource. Ich halte das für ein Missverständnis. Optimismus speist sich nicht so sehr aus der Analyse der gegenwärtigen Situation, sondern daraus, wie man sich als Mensch selbst gegenüber der Zukunft einstellt und die Zukunftsaussichten bewertet. Wenn man Optimismus immer an der Gegenwart festmachen würde, gäbe es in Krisenzeiten keine Zuversicht. Dabei sind genau dies die Zeiten, in denen Menschen sehr viel Kreativität entwickeln und die Grundlagen legen für eine bessere Zukunft.

Optimismus ist für mich eine Haltung, für die sich jeder Mensch frei entscheiden kann. Ich muss mir dafür nicht die Welt schönreden, sondern ich muss über die Zukunft nachdenken und schauen, welche Wege es gibt, diese positiv zu beeinflussen. Wenn man sein Denken darauf richtet, lässt man relativ automatisch das sehr pessimistische Denken hinter sich.

Unsere Politik ist seit Jahren im Krisenmodus: Ökologische Krise, soziale Krise, moralische Krise, Krise der Demokratie. Jetzt aber haben wir eine echte Krise. Inwiefern ist die aktuelle Krise neu?

Was die Corona-Krise auszeichnet ist, dass sie sehr konkret ist und sich in einer hohen Geschwindigkeit entwickelt. Einerseits werden wir als Individuen ausgebremst, sozusagen „entschleunigt“. Andererseits entwickelt die Gesellschaft in dieser Krise eine unglaubliche Geschwindigkeit, was Veränderungen angeht, Maßnahmen, die ergriffen werden, aber auch Lernkurven, die wir erleben. Hier erfahren wir eine sehr große Beschleunigung. Unser Umgang mit dieser Krise unterscheidet sich nicht so sehr von unserem Umgang mit anderen Krisen.

Auch auf die in der Frage angesprochenen Krisen reagieren wir mit Ängsten, Emotionen, die teilweise auch ins Hysterische abgleiten. Unsere Mechanismen, mit der aktuellen Krise umzugehen, sind nicht neu oder anders. Woher sollten auch neue kommen? Umdenken ist ein Prozess, der nicht von heute auf morgen geht.

 Sie sind ja pathologischen Entwicklungen in unserer Gesellschaft seit Jahren auf der Spur. Welche Verhaltensweisen sind denn im Moment konstruktiv, welche als kontraproduktiv?

Ich glaube, die Verhaltens- und Denkweisen, die im normalen Leben kontraproduktiv sind, sind es auch jetzt. Die teilweise sehr passive Herangehensweise an Probleme, dass wir uns sehr schnell als machtlose Opfer begreifen, die Geschwindigkeit, mit der wir Ängste entwickeln, das alles ist aus meiner Sicht eher kontraproduktiv. Das gilt aber auch für die Häme gegenüber Menschen, die die Ängste fühlen, ich erinnere an die Diskussionen über Hamsterkäufer. Natürlich ist deren Verhalten nicht sinnvoll, aber man muss die Menschen deswegen nicht beschimpfen, man sollte eher Mechanismen finden, um den gesunden Menschenverstand wieder einzuschalten. Man merkt jetzt aber, dass das langsam geschieht und sich die Stimmung ein wenig beruhigt.

Wir werden ja in Krisensituationen nicht plötzlich zu anderen Menschen. Krisensituationen bringen bestehende menschliche Eigenschaften besonders hervor. Die Corona-Krise hat sehr viel Zynismus und Menschenverachtung zutage befördert, aber auch sehr viel Bereitschaft, einander zu helfen. In dieser intensiven Zeit kann man menschliche Charaktereigenschaften sehr schnell erkennen: Ist jemand empathisch oder zynisch, will jemand aktiv anpacken, ist jemand solidarisch? Aber auch: Wie schnell ist jemand bereit, Freiheitsrechte aufzugeben? Wer bleibt skeptisch? Wer ist unkritisch und begrüßt kritiklos die Maßnahmen und fordert Gehorsam? Wir bekommen all dies wie unter einem Brennglas präsentiert. Aber letztlich treffen wir die Verhaltensweisen an, die wir auch sonst sehen.

Haben Sie den Eindruck, dass sich die Themenschwerpunkt in der öffentlichen Diskussion verschieben? Kommt da mehr Bodenhaftung und Erdung hinein?

Ja, manche Diskussion, die wir noch vor wenigen Wochen als zentral für unser Überleben eingestuft hätten, führen wir heute so nicht mehr. Stattdessen reden wir über die Ausstattung von Krankenhäusern, die Stabilität des Gesundheitssystems oder über medizinische Fragen. Diese Veränderungen sind spannend und auch positiv: Da diese Krise im Vergleich zu vielen anderen, über die wir in den letzten Jahren diskutiert haben, sehr konkret ist, führen wir auch konkretere Diskussionen.

Derzeit fliegt viel ideologischer Ballast aus dem Fenster, weil wir näher an der Wirklichkeit sind. Natürlich werden aber auch alte tiefsitzende und gelernte Ängste und politische Tagesordnungen in die aktuelle Krise hineinprojiziert. Aber grundsätzlich sind wir momentan sehr gesellschaftlich orientiert und diskutieren, wie wir Missstände künftig minimieren können. Das ist durchaus auch produktiv und kreativ.

Wie beurteilen Sie den Beitrag der Medien in dieser Krise?

Auch hier kann man feststellen, dass die Medien sich nicht grundlegend verändert haben. Natürlich kommt ihnen eine besondere Rolle zu, die Menschen hängen an den Lippen der Experten. Gleichzeitig verengen sich aber auch Diskussionsräume. Aber auch das ist kein neuer Trend, er spitzt sich nur zu. Ich würde gerne einmal eine Diskussion sehen, in der zwei Virologen mit unterschiedlichen Einschätzungen miteinander debattieren. Das sieht man leider kaum – vielleicht, weil man davon ausgeht, dass das Publikum das nicht versteht.  Doch genau hier wäre es interessant, ein wenig mehr Pluralität zu haben.

Warum gibt es diese Pluralität gerade jetzt nicht?

Wir sind als Gesellschaft insgesamt der Ansicht, dass Wissenschaft eine gute Sache und ein solides Fundament für Entscheidungen darstellt. Das sehe ich auch so. Dennoch ist aber Wissenschaft nicht besonders gut geeignet, um feststehende Dogmen zu entwickeln, denn sie verändert sich fortlaufend. Gerade in so einem dynamischen Prozess wie dem aktuellen, in dem die Analyse dieses Virus noch nicht sehr weit fortgeschritten ist, ist Wissenschaft noch viel weniger dazu geeignet.

Gleichzeitig ist aber wohl die Befürchtung groß, dass politische Maßnahmen, die auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse ergriffen wurden, stärker infrage gestellt werden. Man hat Angst davor, die Autorität der Wissenschaft zu untergraben, weil man dadurch die eigene politische Autorität untergräbt.

Sie sprechen von einer steilen Lernkurve, die wir durchmachen. Was lernen wir in der Krise?

Ich glaube, dass wir im persönlichen Bereich ganz viel lernen: nicht nur den Umgang mit Videokonferenzen oder Homeschooling, sondern man rechnet aus, wie viele Rolle Klopapier man in drei Monaten braucht, das habe ich früher nicht gewusst. Aber Spaß beiseite: Not macht erfinderisch. Wir leben mit Einschränkungen, wir wollen uns zwar damit nicht wirklich langfristig abfinden, und wir arbeiten drumherum und versuchen, möglichst viel alte Normalität beizubehalten.

Aber wir denken auch über vieles neu und anders nach. Für viele Arbeitnehmer wird das Homeoffice plötzlich zu einer vorstellbaren Option, die vorher als ausgeschlossen galt. Andere sehnen sich danach, endlich wieder ins Büro gehen zu können. Da verändern sich Sichtweisen. Auf gesellschaftlicher Ebene lernen wir viel über konkrete Missstände und wie wir sie evtl. verändern können. Und ich glaube, dass derzeit ganz viele Menschen ihre Nachbarn kennenlernen, die sie vorher gar nicht kannten.

Sie beschreiben, dass die erste Reaktion der Gesellschaft auf die Krise von lähmender Angst geprägt war. Nehmen Sie hier eine Entspannung wahr?

Entspannung nicht, aber ich glaube, dass sich die Anspannung auf andere Bereiche und Themen überträgt und wir dadurch eine etwas balanciertere Gesamtschau erhalten. Was ganz langsam verschwindet, ist die haltlose und sehr irrationale Hysterie, die Debatten werden lösungsorientierter. Man diskutiert über Masken und was sie bringen könnten. Wir reden über wirtschaftliche Folgen der Krise, was passiert mit Kleinunternehmern etc. Hier werden wir keine Entspannung erleben, denn diese gesellschaftliche Dimension der Krise kommt erst noch richtig bei den Menschen an. Aber die Diskussion verändert sich, und die Angst ist möglicherweise nicht mehr ganz so lähmend wie noch vor ein paar Wochen.

 

Sie hegen die Hoffnung, dass die Krise neue Ideen zum Vorschein bringt. Welche Ideen würden Sie sich wünschen?

Eine Krise bringt erst einmal keinerlei neue Ideen auf. Es liegt an uns, etwas aus dieser veränderten Situation zu machen. Wir lernen viel, wir verändern Prioritäten, wir bekommen ein anderes Bild der Wirklichkeit. Und vielleicht füllen wir auch Ideen, die wir schon hatten und glaubten, verstanden zu haben, mit neuen Inhalten.

Ich nehme mal das Beispiel „Globalisierung“: Viele sehen die Corona-Krise als negativen Nebeneffekt der Globalisierung. Wenn ich mir aber anschaue, dass im Moment rund um den Globus und rund um die Uhr Wissenschaftler daran arbeiten, ein Mittel gegen dieses Virus zu entwickeln, dann ist das für mich ein positiver Aspekt der Globalisierung. Ich denke, wir sollten die Globalisierung gerade nicht zurückdrehen, sondern sie klüger gestalten und die Idee ernster nehmen. Wie können wir in einer globalisierten Welt sicherstellen, dass wir künftig besser mit Medizintechnik versorgt sind? Wie können wir Warenströme anders organisieren? Müssen wir vielleicht, um Globalisierung klüger zu gestalten, wieder dahin kommen, dass wir dezentraler produzieren? Wie muss künftig produziert werden? Das sind Themen, die wir mit Leben füllen können und die uns in Zukunft beschäftigen werden.

Und vielleicht führt die Krise auch dazu, dass wir den Menschen wieder ein bisschen anders sehen. Wir Menschen sind nämlich nicht nur die Klopapierräuber aus dem Supermarkt oder nicht nur willfährig Opfer, sondern wir erleben, dass Menschen kreativ und empathisch sind. Der Mensch ist eben nicht nur Zerstörer, sondern auch Retter.

Wie erleben Sie die Krise in Ihrem persönlichen Umfeld? Was hat sich für Sie verändert?

Ökonomisch ist meine Lage prekär, wie sie es bei vielen Freiberuflern der Fall ist. Auch ich unterwerfe mich den Beschränkungen, was mir sehr schwerfällt, und ich möchte mich auch nicht wirklich damit arrangieren. Vielleicht hilft mir mein Optimismus dabei, mit der Krise anders umzugehen. Ich versuche jedenfalls, meinen Optimismus mit anderen Menschen zu teilen und Ihnen zu zeigen, dass man für die Zukunft nicht schwarzsehen muss.

Herr Heitmann, ich danke Ihnen sehr für dieses Gespräch.

Das Gespräch als Videopodcast hier

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