Trump und seine Gegner: Politische Amnesie und hysterische Paranoia


Donald Trump findet sich seit Wochen im Kreuzfeuer des Establishments wieder. Das dürfte ihn wenig stören, denn wer Trump für alles dämonisiert, verdreht die Realität und macht ihn dadurch politisch stärker.


Die Debatte über die ersten zwei Wochen der Präsidentschaft von Donald Trump hat etwas Gespenstisches an sich: Während die einen schon vom „Hitler im Weißen Haus“ sprechen und den Untergang der westlichen Demokratie befürchten, sprechen andere von einer politischen Wiedergeburt, ganz so, als habe man soeben die erste kommunistische Diktatur auf amerikanischem Boden überwunden.

Daran, dass Trump einen Epochenwechsel ausgelöst hat, besteht für Freund und Feind kein Zweifel. Und genau hier liegt das Missverständnis. Die Vorstellung, dass Donald Trump in den nächsten vier Jahren Präsident der USA sein wird, ist zwar schwer zu ertragen, weil sich unter ihm einige negative politische Trends weiter verstärken werden. Doch noch schlimmer als Trump sind die hysterischen und völlig hilflosen Reaktionen seiner politischen Gegner. Sie zeigen, dass dieser „Anti-Politiker“ ihnen viel ähnlicher ist, als sie wahrhaben wollen.

Meinungsunterdrückung ist keine Erfindung von Trump

Trump-Gegner kritisieren, dass der neue Präsident sich einen Krieg mit der liberalen Presse liefert und androht, brutal gegen Andersdenkende vorzugehen. Vielfach werden hier Vergleiche zu den Nazis und deren Politik der Gleichschaltung gezogen. Dabei ist der Impuls, abweichende Meinungen zu unterdrücken und zu verbieten, nun wahrhaftig keine Erfindung von Trump, gehört er mittlerweile zum politisch-korrekten Mainstream sowie zum „progressiven“ Politik-Code – gerade auch in den Medienkreisen, die sich nun angegriffen fühlen.

Donald Trump erinnert mit seinen infantil-wütenden und unberechenbaren Attacken auf die „bösen Menschen in den Medien“ stark an die heutigen Jungstudenten der „Generation Schneeflocke“, die ihre Universitäten zu sicheren und kontroversefreien Schutzzonen umgestalten wollen – notfalls mit Gewalt. In seiner unbeholfen wirkenden Dünnhäutigkeit sieht sich Trump selbst, wie auch sein Land, als ein von Feinden umzingeltes, missbrauchtes und ausgebeutetes Opfer, das nun mit absolutem Misstrauen auf alles reagiert, was ihm anders und fremd, sprich gefährlich erscheint.

Auf Kritik reagiert er daher nicht mit Argumenten, sondern mit aggressiven Twitter-Tiraden und der Ankündigung, Gegner selbst dann mundtot zu machen, wenn diese das Recht auf ihrer Seite haben. In diesem Abwehrmodus braucht man nicht mehr als 140 Zeichen, um den eigenen Standpunkt zu formulieren. „America first“ ist kein selbstbewusstes nationalistisches Signal, sondern ein bockiges und verärgert-weinerliches „Lasst mich endlich in Ruhe, oder ich haue zurück!“ Diese egozentrische und paranoide Haltung offenbart, wie sehr Trump selbst die weitverbreitete westliche Opferkultur internalisiert hat. Er ist damit keineswegs auf dem Weg in die Vergangenheit, sondern ziemlich nah dran am heutigen Zeitgeist. Die liberale Intelligenzija macht weltweit Stimmung gegen diesen so befremdlichen Präsidenten und ignoriert dabei, dass er nur ein verzerrtes Spiegelbild ihrer selbst ist.

Trump-Stilisierung führt zur Geschichtsumschreibung

In diesem neu erwachten Anti-Trump-Eifer wird jede Möglichkeit ergriffen, um den neuen Antichristen im Weißen Haus zu dämonisieren. Dass mit dieser Stilisierung Trumps zum „schlechtesten US-Präsidenten aller Zeiten“ gleichzeitig unliebsame Erinnerungen an die eigene Geschichte ausgemerzt werden, ist weit mehr als ein nur ein zufälliger Nebeneffekt. Tatsächlich ist dies die Kernmotivation des gerade abgewählten politischen Establishments. Daher ist auch eine Versachlichung der Auseinandersetzung von ebendieser Seite nicht zu erwarten.

Die Logik ist einfach: Wenn Trump nach zwei Wochen gegenüber seinen Vorgängern im Rennen um die goldene Zitrone der US-amerikanischen Politik bereits uneinholbar vorne liegt, was sagt das dann aus über deren Politik in der Vergangenheit? Wenn Hiroshima, Nagasaki, Vietnam, Kambodscha, Afghanistan, Irak, Libyen durch eine Handvoll zweifelhafter und zum Teil dummer Dekrete ausgestochen werden können, dann kann das alles nicht so wild gewesen sein, oder? Die abgehalfterte US-Elite versucht, sich im Kampf gegen Trump selbst aus dem eigenen Sumpf zu ziehen.

So ist es zu erklären, dass die ehemalige US-Außenministerin und US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen, Madeleine Albright, das von Trump verfügte angebliche „Einreiseverbot für Muslime“ öffentlich und lautstark kritisierte. Zur Erinnerung: Genau diese Dame hat 1996 den Tod von einer halben Million irakischer Kinder infolge westlicher Sanktionen und Bombardierungen öffentlich als akzeptabel verteidigt. Offenbar ist es weniger schlimm, wenn Demokraten Muslime töten, als wenn Trump Muslime nicht einreisen lässt.

Dämonisierung und Realitätsausblendung

Die Dämonisierung von Donald Trump bedient sich auch offensichtlicher Realitätsausblendungen – was aber letztlich nur ihm nutzen dürfte. Entspannt kann er behaupten, den Bau der Mauer an der Grenze zu Mexiko voranzutreiben. Seine Gegner werden sich nicht trauen, ihm hier den Wind aus den Segeln zu nehmen – dabei wäre dies einfach und notwendig. Denn tatsächlich haben seit 1993 unter Bill Clinton alle Präsidenten an eben dieser mittlerweile bereits etwa 1000 Kilometer langen Grenzsicherung gebaut – freilich ohne dies permanent zum Thema zu machen. Die 7000 Toten, die es seit 1998 an der Grenze gab, hat nicht Trump auf dem Gewissen, sondern unter anderem Friedensnobelpreisträger Barack Obama.

Ähnlich zu bewerten ist die Ankündigung, die US-amerikanische Antimigrationspolitik zu verschärfen. Dazu müsste er Obama vom Abschiebe-Thron stoßen, während seiner Präsidentschaft wurden mehr illegale Einwanderer aus den USA abgeschoben als jemals zuvor. Und auch das Einreiseverbot für Menschen aus sieben muslimischen Ländern, das öffentlichkeitswirksam von Trump lanciert wurde, ist ein alter Hut aus Obamas Kleiderschrank. Genau ein solches „Verbot“ wurde im Dezember 2015 unter Obama beschlossen, und zwar für dieselben Länder. Aufschrei? Fehlanzeige.

Das deutlichste Symbol dafür, dass sich die inhaltliche Hilflosigkeit des Anti-Trump-Lagers mit einer politischen Amnesie verbindet, entdeckte ich jüngst in einem Nachrichtenbeitrag über eine Demonstration gegen den neuen Präsidenten. Die Kamera fing einen Demonstranten ein, der ein Plakat hochhielt mit der Aufschrift: „Shut down Guantanamo! Now!“ Ich fragte mich: Was hat Trump damit zu tun?! Das war doch Obamas Versprechen! Wie weit kann der politische Gedächtnisverlust – oder sollte man „Obamnesie“ sagen? – eigentlich gehen, wenn jetzt schon das Versagen des alten Präsidenten kurzerhand dem neuen aufgegeben wird?
Neue US-Regierung spiegelt modernen Zeitgeist wider

Ich bin kein Freund von Trumps Politik. Und es ärgert mich, dass die kopflose Hysterie seiner Gegner ihm in die Karten spielt. Er kann sich als Elitenschreck und harter Hund profilieren – dafür wird er von Millionen Amerikanern geliebt –, ohne dabei viel zu riskieren. Denn anstatt seine Twitterei als Pseudo-Anti-Politik zu entlarven, nimmt man sie für bare Münze und steigt auf deren Niveau ein. Offensichtlich spürt man im Anti-Trump-Lager, dass eine grundsätzliche Kritik an Trump die eigene Verstricktheit in den sich in Trump so herrlich widerspiegelnden politischen Zeitgeist öffentlich zu Tage fördern würde.

Ernsthafter Widerstand gegen Trump kann nicht gemeinsam mit Vertretern und Apologeten der alten politischen Elite geleistet werden. Lässt man sich auf diese politische Verbindung ein, protestiert man mit den Falschen gegen das Falsche und zugunsten der Falschen. Wenn man effektiv gegen Donald Trump und dessen Angriff auf die Meinungsfreiheit vorgehen möchte, reicht es nicht aus, die New York Times zu verteidigen. Echte Meinungsfreiheit hat auch für Breitbart und alle anderen Mainstream-Abtrünnigen zu gelten, ansonsten ist sie keine. Wer Trumps Mauerbau kritisieren will, muss den Mauerbau ab 1993 kritisieren. Wer Trumps antimuslimische Ausbrüche ablehnt, sollte Obamas Politik und die seiner Vorgänger ebenfalls kritisch sehen. Wer an diesen Punkten nicht konsequent ist, hält Trump im Amt.

Die neue US-amerikanische Regierung ist die Zuspitzung des modernen Zeitgeistes: Sie ist irrational, paranoid, unberechenbar, egozentrisch und cholerisch, sie betreibt Politik aus der intellektuellen Froschperspektive und ist als so eine Gefahr für genau die einfachen Bürger, die sie zu vertreten vorgibt. Doch die Rückkehr zur alten Nomenklatura ist keine Alternative, denn diese hat den Sieg von Trump erst ermöglicht. Diese scheinbare Ausweglosigkeit birgt aber den Keim des Neuen: Die Rückgewinnung der Politik durch die Menschen wird sowohl deren historisches Gedächtnis als auch das Entscheidungsvermögen schulen. Die Debatten werden heftiger werden. Andererseits haben wir anderen Leuten beim seichten TV-Polit-Talk lange genug zugesehen, um es selbst besser und anders zu machen.

Dieser Artikel ist am 5.2.16 in meiner zweiwöchentlichen Kolumne „Schöne Aussicht“ auf Cicero Online erschienen.