Textfassung meines Impulsvortrages im Rahmen der Jubiläumsveranstaltung „10 Jahre BioInnovationsZentrum Dresden“ am 23. Mai 2014. (Video)
Wir feiern heute das BioInnovationszentrum Dresden. Zu Recht, wie ich finde. Kurz zu meiner Person: Mein Name ist Matthias Heitmann, ich bin freier Autor und Redner und komme aus Frankfurt am Main. Ich bin weder Naturwissenschaftler noch Unternehmer noch Politiker – aber vielleicht bin ich ja gerade deshalb an dieser Stelle der Richtige, um zu gratulieren.
Denn sogar einem Nicht-Wissenschaftler und Nicht-Unternehmer wie mir ist klar: Solche Zentren, Brücken, Integrationspunkte oder Schnittstellen sind enorm wichtig – für die Region und ihre Menschen, aber auch weit darüber hinaus. Wie wichtig sie sind, merkt man schon in den Schnittstellen selbst: Es tut sich viel, es funktioniert viel und auch gut, aber es knirscht auch, manche Dinge dauern länger als geplant, sind komplizierter als erhofft, vieles muss abgestimmt, eingeübt und auch manchmal erlitten und verworfen werden, um dann doch zu funktionieren.
Die wirkliche Bedeutung solcher Brücken wird einem aber erst dann deutlich, wenn man sich von ihnen wegbewegt. Steht man auf einer Brücke, hat man zumeist das Gefühl, dass die beiden Ufer doch sehr nahe beieinander liegen. Aber erst, wenn man sie verlässt und einem die Größe der Länder bewusst wird, die mit der Brücke verbunden sind, erkennt man ihre eigentliche Bedeutung – oder dann, wenn die Brücke wegen Bauarbeiten gesperrt ist.
An Brücken stoßen Regionen, Länder, Kontinente oder sogar Welten aufeinander, zwischen denen es ansonsten keine direkten Verbindungen gibt. Dies gilt vielleicht sogar insbesondere für die Welt der Wissenschaften und die Welt der Wirtschaft und der Gesellschaft. Auf jeder Seite des Grabens herrscht häufig Unverständnis für die jeweils andere Seite. Und nicht nur Unverständnis, sondern manchmal auch Misstrauen oder das Gefühl, selbst nicht verstanden und wertgeschätzt zu werden. Während die Gebiete rund um die Brücke noch am ehesten direkt von den Synergien profitieren, nimmt die Fremdheit in den jeweiligen Landesinneren immer weiter zu.
Im Alltag gibt es zwischen der Welt der modernen Wissenschaften und dem Rest der Welt nur wenige Berührungspunkte. Für die meisten Menschen soll die Wissenschaft nicht Wissen schaffen, sondern Neues und Besseres liefern. Wirtschaft und Politik treten mit ähnlichen Anforderungen gegenüber der Wissenschaft auf. Für Forscher ist genau dieses Liefern-Sollen manchmal ein Problem. Denn nicht immer lässt sich neu geschaffenes Wissen direkt in Innovationen umsetzen.
Integrationspunkte wie das BioInnovationszentrum Dresden sollen Wissenschaftler bei diesem Spagat unterstützen und ihnen den Weg in die andere Welt, sozusagen auf die Benutzeroberfläche, ermöglichen. Das ist sicherlich mühsam und bestimmt auch nicht immer von Erfolg gekrönt, und wenn doch, dann zumeist nur punktuell.
„Mehr ist aber auch nicht zu erwarten“, könnte man nun sagen. Aber halt: Sind nicht gerade Wissenschaftler diejenigen, die immer weiter hinterfragen, um immer näher an den Kern der Dinge zu gelangen? Geht es nicht darum, gerade auch das zu hinterfragen, was uns heute noch als richtig und alternativlos erscheint?
So könnte man zum Beispiel fragen:
Was ist es genau, was diese Welten eigentlich trennt? Sprechen sie einfach nur unterschiedliche Sprachen, oder reden sie auch inhaltlich aneinander vorbei? Bedarf es nur eines Dolmetschers, oder ist hier mehr gefragt, um für eine bessere „Integration“ zu sorgen? Man könnte aber auch fragen:
Und sind es überhaupt zwei Welten, die hier aufeinanderprallen? Sind es vielleicht sogar drei? Oder gar nur eine?
Ich möchte mich zunächst dem zweiten Fragenkomplex widmen.
Für den Moment würde ich sagen, dass wir eher von drei Welten ausgehen sollten: Denn so weit, wie die Welt der Wissenschaften von der Welt des Wirtschaftens entfernt zu sein scheint, so groß wirkt auch die Distanz zwischen diesen beiden Welten und der Gesellschaft. Ich würde jedenfalls kein Geld darauf setzen, dass Biotechnologen und Genforscher in der öffentlichen Beliebtheitsskala weit vor Unternehmern rangieren. Beiden wird von vornherein mit Skepsis begegnet, bei keinem der beiden wird davon ausgegangen, dass er zum Wohle der Menschen handelt. Tatsächlich sind Wissenschaftsskepsis und Technikfeindlichkeit, was ihre Verbreitung angeht, durchaus mit der Skepsis gegenüber Unternehmern und deren Streben nach Wachstum zu vergleichen.
Die Entfremdung ist groß, aber sie funktioniert auch in die entgegengesetzte Richtung: Die Wirtschaft fühlt sich nämlich von der Gesellschaft häufig ebenso unverstanden – und sie gerät zunehmend in Selbstzweifel.
Ganz offensichtlich fällt es Unternehmen zunehmend schwer, ihre eigene positive Rolle in der Gesellschaft auf Basis ihres Wirtschaftens zu kommunizieren. Hier sind die Verständigungsschwierigkeiten mittlerweile so groß, dass allein schon das Betonen von Wachstum als Unternehmensziel in der Öffentlichkeit Anlass für Kritik bietet. Ich denke, dass dieser unternehmerische Selbstzweifel einer der Gründe ist, warum Corporate Social Responsibility-Programme in den letzten Jahren so populär geworden sind. Es scheint vielen Unternehmern leichter zu fallen, jenseits ihres Wirtschaftens etwas Gutes für die Welt zu tun, als ihr eigenes unternehmerisches Handeln als etwas Positives darzustellen.
Wie sind die Wirtschafts- und Technologieskepsis zu erklären?
Hierzu ist schon viel Erhellendes und wahrscheinlich noch viel mehr Vernebelndes gesagt und geschrieben worden. Aber möglicherweise überrascht Sie meine Antwort trotzdem. Aber deswegen bin ich ja hier: Meiner Ansicht nach handelt es sich bei den beobachteten Phänomenen nämlich nicht einfach nur um Wirtschafts- und Technologieskepsis! Mit Sicherheit haben die treuen Kunden von Bio-Supermärkten nichts dagegen, wenn ihre bevorzugte Marktkette weiter wächst und expandiert. Sie finden es bestimmt nicht schlecht, wenn sie, wie der Comedian Johann König einmal höchst unterhaltsam ausführte, mit ihrem Porsche Cayenne nicht mehr ganz so weit fahren müssen, um ökologisch einzukaufen. Aber auch in Bereichen wie der Energieproduktion oder der Kommunikation wünschen sich sehr viele Menschen neue Technologien und innovative Methoden.
Es ist also keine generelle Wirtschafts- und Technologieskepsis, mit der wir es zu tun haben – das Problem liegt tiefer: Und ja, dieses Problem hängt auch mit dem Selbstbild der drei Welten und mit ihrer Weltenfremdheit zusammen.
In einem Punkt sind sich die drei Sphären Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft nämlich sehr ähnlich: Sie sind alle vom modernen Zeitgeist geprägt. Dieser Zeitgeist zeichnet sich dadurch aus, dass er den Menschen und der Menschheit insgesamt nur wenig zutraut. Wenn überhaupt, dann wertschätzt dieser Zeitgeist lediglich Innovationen, die den Fußabdruck des Menschen auf dieser Erde auf ein Minimum reduzieren. Der Welt den eigenen Stempel aufdrücken zu wollen, klingt wie von gestern und ist ultra-retro. Heute geht es vorrangig darum, sich möglichst unbemerkt vom Planeten zu schleichen – der ja ohnehin nur von unseren Kindern geborgt sein soll, wie uns immer wieder ins Gewissen geredet wird.
Dieses dem Zeitgeist zugrunde liegenden grundlegende Misstrauen gegenüber menschlichen Absichten und menschlichen Fähigkeiten lähmt alle drei Welten gleichermaßen. Und genau diese Lähmung lässt die drei Welten immer weiter auseinanderdriften. Mehr noch: Es ist der Verlust der umfassenden menschlichen Perspektive, der überhaupt erst den Eindruck entstehen lässt, dass die drei hermetisch voneinander abgeriegelt und Lichtjahre voneinander entfernt sind!
Dieses Auseinanderdriften der Welten führt beispielsweise dazu, dass heute immer weniger Wissenschaftler und Gelehrte überhaupt den Anspruch haben, sich auch zu Fragestellungen zu äußern, die jenseits ihrer eigenen Welt liegen. Erklärt wird dies häufig mit der fortschreitenden Spezialisierung und der immer komplizierter werdenden wissenschaftlichen Materie, mit der man es als Wissenschaftler heute zu tun habe.
Das mag auf den ersten Blick logisch klingen. Andererseits kann man den großen Wissenschaftlern der letzten Jahrhunderte nicht gerade unterstellen, sie hätten sich nur mit Banalitäten auseinandergesetzt und deswegen noch Zeit und Muße gehabt, sich auch öffentlich zu äußern. Albert Einsteins Weltruhm basiert nicht nur auf seinen wissenschaftlichen Erkenntnissen. Er hat auch keineswegs sein Wissen gewinnbringend in ein Wirtschaftsunternehmen eingebracht. Sein Ruhm basiert darauf, dass er auch in vielen anderen Bereichen zu Hause war – in Bereichen, die wir heute als getrennte Welten wahrnehmen. Er war eben nicht nur Wissenschaftler, er war auch Bürger – er war Mensch und als solcher in aller Welt zu Hause.
Ähnliches gilt für Albert Schweitzer: Von Hause aus war er zunächst Philosoph und Theologe, bevor er anschließend Medizin studierte, um sich schließlich auch gesellschaftlich zu engagieren, zunächst als Missionarsarzt in Afrika, später auch als Warner vor dem Atomkrieg. Auch er war also das, was man heute einen Grenzgänger oder Quereinsteiger nennen würde. Man könnte aber auch sagen: Er war ein handelnde Mensch, ein politisches Subjekt mit einer ganzheitlichen Perspektive.
Und nur zur Erinnerung: Der Amerikaner Norman Borlaug, seines Zeichens „Vater der grünen Revolution“, der in diesem Jahr 100 Jahre alt geworden wäre, bekam 1970 nicht etwa einen wissenschaftlichen Nobelpreis, sondern, wie Albert Schweitzer auch, den Friedensnobelpreis! Angesichts der heutigen Popularität von Naturwissenschaften ist so etwas kaum mehr vorstellbar! Wäre das kein Anreiz?
Aber es ist nicht nur die Wissenschaft, in der der Blick über den eigenen Tellerrand auf die anderen Welten häufig zu kurz kommt. Auch die Welt der Wirtschaft, ihrer Marktakteure und ihrer eigenen Analysten sind vom Zeitgeist des Misstrauens umnebelt. Die mittlerweile fast durchgängig akzeptierte Sichtweise, die Wirtschafts- und Finanzkrise sei durch menschliche Gier verursacht worden, ist ein Beleg für die Allgegenwart der Misanthropie. War es nicht gerade das Streben nach einer besseren Welt, nach Wachstum, nach „mehr“, und ja, auch nach „höher, schneller und weiter“, das die Menschen auszeichnete und sie dazu befähigte, Natur in Kultur umzuwandeln?
Wie soll die Begeisterung der einfachen Bürger für wissenschaftliche Potenziale, wirtschaftliche Innovationen und gesellschaftliche Großprojekte entfacht werden, wenn wir täglich zu hören bekommen, wie klein, unwissend, machtlos und therapiebedürftig wir alle sind? Wie soll Forschung wertgeschätzt werden, wenn sie sich selbst nicht von der bleiernen Schwere des misanthropischen Zeitgeists befreien kann? Wie soll ein positives Verhältnis zum Wirtschaften entstehen, wenn Unternehmer ihren eigenen Überlebensinstinkt für problematisch halten?
Und woher soll bei normalen Leuten die Selbstsicherheit kommen, dass Menschen etwas erreichen und zum Positiven wenden können, wenn gerade das, was den Menschen so besonders macht – das Wissen-Wollen und das Verändern-Können – gerade auch in unseren sogenannten Leistungseliten so ambivalent gesehen wird?
Ich denke, dass wir alle, egal, in welcher Welt wir zu Hause sind, wieder damit anfangen müssen, die jeweils anderen Welten stärker wertzuschätzen, uns mehr für sie zu interessieren und mit ihnen zu vernetzen, ihre Relevanz für uns anzuerkennen und dafür zu sorgen, dass sie sich erfolgreich entwickeln.
Konkret bedeutet das: Wissenschaftler sollten anerkennen, dass es nicht nur wichtig ist, ökonomisches Handwerkszeug zu erlernen, sondern dass es ebenso in ihrem eigenen Interesse ist, in der Öffentlichkeit die Bedeutung von Wissen und Forschen zu erklären und dafür zu streiten – und zwar so, dass es jeder versteht.
Unternehmer sollten sich wieder stärker darauf besinnen, dass Wissenschaft und Bildung Schutzräume benötigen, die nicht dem Primat von Effizienz und Effektivität zu unterwerfen sind. Und sie sollten dabei gleichzeitig den Mut haben, das Streben nach Veränderung und nach Wachstum in der Öffentlichkeit als zivilisatorischen Motor zu benennen.
Wenn Wissenschaft und Wirtschaft so offen und direkt auf die Menschen zugehen, ohne Misstrauen, Angst und Geringschätzung, dann wird sich auch hier das Klima Schritt für Schritt aufhellen. Derzeit blockieren sich die einzelnen Welten häufig selbst und verharren in ihrer sie selbst beschränkenden Selbstsicht. Wird diese Blockade überwunden, können Synergien in einer ganz neuen Größenordnung entstehen.
Meine Vision von den Schnittstellen der Zukunft ist, dass sie noch viel stärker zu Plattformen werden, in denen nicht nur Wissenschaftler zu Unternehmern werden, sondern auch Unternehmer lernen, Grundlagenforschung zu schätzen. Beide zusammen werden im direkten Kontakt mit den Bürgern auch lernen können, meinungsbildende und verantwortungsbewusste gesellschaftliche Akteure zu werden. Gleichzeitig können sie so unter den Menschen die Akzeptanz und die Aufgeschlossenheit für Wissenschaft und Wirtschaft stärken. Das ist meine Vision für die wirklich wichtigen Schnittstellen der Zukunft. Ich habe den Eindruck, dass das BioInnovationszentrum Dresden auf einem guten Weg in diese Richtung ist, und ich wünsche Ihnen allen dafür viel Kraft und Ausdauer.
Erlauben Sie mir noch einen letzten Kommentar dazu: Als Zeitgeisterjäger, der gerne provoziert und die Komfortzonen des Mainstreams verlässt, weiß ich, dass das alles nicht ohne Konflikte gehen wird. Aber anstatt diese zu scheuen, bitte ich Sie, genau diese Konflikte zu suchen. Streiten Sie in der Öffentlichkeit für die Biotechnologie, egal ob grün, rot, blau, gestreift oder kariert! Brechen Sie Lanzen für moderne Technologien, denn Sie brechen damit eine Lanze für die Menschheit. Das ist Ihr Job! Niemand sonst kann das so überzeugend wie Sie. So können Sie dazu beitragen, das Bewusstsein dafür zu schaffen, dass Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft in Wirklichkeit eben nicht drei voneinander getrennte Welten sind, sondern eine.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.