03.05.2020 – In der Krise ist die Öffentlichkeit mehr als sonst auf die mediale Berichterstattung angewiesen. Dabei scheinen die Medien jedoch Schwierigkeiten zu haben, ihre Rolle zu definieren. Schlimmer noch, sie scheuen Zweifel und Dissens.
Heute, am 3. Mai 2020, ist der Welttag der Pressefreiheit. Da schaut die Öffentlichkeit regelmäßig auf die Krisenregionen der Welt: Sie konstatiert Zensur und Unterdrückung in Afrika und im Nahen Osten, bemängelt aber auch schlechte Arbeitsbedingungen von Journalisten in der „freien Welt“. Doch in diesem Jahr ist alles irgendwie anders. Die ganze Welt fühlt sich an wie ein einziger Krisenherd.
Gleichzeitig klebt die Bevölkerung förmlich an den Lippen von Journalisten, Politikern und Virologen und hofft auf die Verkündung positiver Nachrichten. Sind globale Krisen nicht doch eher Hoch-Zeiten für Medien? Ich bin zwar selbst als freier Journalist Teil der „Medien“, habe aber trotzdem bei der Berichterstattung zur Corona-Krise ein seltsames Gefühl im Magen. Nicht falsch verstehen: Die Meinungsfreiheit in Deutschland ist in Corona-Zeiten nicht von oben eingeschränkt worden.
Journalisten haben hierzulande Arbeitsbedingungen wie im letzten Jahr auch. Und dennoch scheint es, als hätten große Teile der Medienwelt Schwierigkeiten damit, in der Krise ihre Rolle zu definieren. Sie pendeln zwischen dem Lippenlesen auf Regierungspressekonferenzen und dem Suchen nach skandalträchtigen Politikerlügen oder -fehltritten hin und her, mit oder ohne Mundschutz.
Mediale Selbstzweifel
Wir haben ein Problem mit der Meinungsfreiheit. Doch das Problem kommt nicht von außen. Es wurzelt in einem in Medienkreisen seit Langem verbreiteten Zweifel daran, was die eigene Rolle und Aufgabe sein soll. Definiert wird die Rolle der Medien klassischerweise durch ihr Verhältnis zu und den richtigen Abstand von den Mächtigen. Seltener thematisiert wird der Umstand, dass das Verhältnis der Medien zu den sie nutzenden Menschen mindestens ebenso wichtig ist. Und dieses Verhältnis ist gestört!
Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass es „die Medien“ und „die Journalisten“ nicht gibt. Interessant ist aber, dass sich im Zusammenhang mit der Corona-Krise dennoch der Eindruck verfestigt, es gäbe da einen elitären Club, den ein besonderes Selbstverständnis eint. Als ich vor über 30 Jahren zaghaft mit dem Zeitunglesen begann, war mir bewusst, dass ich eine Büchse der Pandora öffne.
Ich spürte schnell, dass Medien nicht die Aufgabe haben, Fakten mundgerecht zu präsentieren, vielmehr erwarten sie, dass man sich durchkämpft. Zeitunglesen war für mich anspruchsvoller Konfrontationsunterricht, denn oft erfuhr ich Sachen, die ich eigentlich gar nicht wissen oder so nicht sehen wollte. Mein Horizont wurde zwangserweitert, und durch das Lesen verschiedener Zeitungen übte ich mich darin, unterschiedliche Standpunkte zu unterscheiden und mich selbst zu positionieren.
Breit, flach und für alle: Medien im Sturzflug
Es ist diese Freiheit des Lesers, Hörers, Zuschauers, des Publikums, die im Zentrum der Meinungsfreiheit steht. Dass ein Redakteur einer Zeitung oder ein TV-Kommentator nicht schreiben oder sagen kann, was und wie er es will, ist kein Problem, solange der Konsument die Freiheit hat, aus unterschiedlichen Medien mit unterschiedlichen Inhalten frei auszuwählen.
Diesem Selbstverständnis folgend war auch immer klar, dass eine „linke“ Zeitung das Weltgeschehen anders interpretiert als eine „rechte“. Doch im Laufe der Jahre sind diese einst eindeutigen Unterscheidungen unschärfer geworden, was nicht nur an der Politik liegt, sondern auch am modernen Anspruch von Medien, sich „an alle“ zu wenden.
Journalimus als Serviceleistung
Diese Ausweitung kam in Wirklichkeit jedoch einem Qualitätsverlust gleich: Medien verloren an Profil wie auch an journalistischem Tiefgang, sie schworen dem parteipolitischen Partisanenkampf ab und entdeckten Themenbereiche, von denen sie sich eine stabilere und auch leichter zu unterhaltende Konsumentenbindung versprachen. Heute verzichten viele Medien großflächig auf hintergründige und aufwendige Erläuterungen, weil sie befürchten, ihr Publikum könnte oder wollte ihnen nicht folgen.
Auch hart konfrontiert werden soll nur in kleinen Dosen, denn die Konkurrenz ist ja nur einen Klick entfernt. Als wichtig gilt es in der Redaktionskonferenz auch, Konsumenten einen direkten Mehrwert zu liefern. Im modernen Journalismus spielt der Leitgedanke der nützlichen Serviceleistung sowie der konkreten Handlungsempfehlung eine große Rolle. Der Auftrag liegt nicht mehr in der Befähigung der Medienkonsumenten, selbst frei Entscheidungen zu treffen, sondern darin, ihnen bei der Entscheidungsfindung beiseite zu stehen oder bestenfalls diese Entscheidung sogar vorzuformulieren.
Journalisten sind keine Politaktivisten
Diese Form der informierenden Sedierung der Bevölkerung hat Konsequenzen für die Demokratie. Die antrainierte Bequemlichkeit des Publikums führt dazu, dass sich Medien selbst als politische Akteure verstehen und die verwaiste Rolle des „Souveräns“ einnehmen.
Deutlich wird dies nicht zuletzt im Gebaren prominenter Journalisten, Politiker nicht mehr mit kritischen Fragen, sondern mit eigenen Handlungsaufforderungen zu konfrontieren, ganz so, als seien sie die Anwälte der zum Schweigen verdonnerten Öffentlichkeit. Dieses Selbstverständnis ist ein Grund dafür, dass immer mehr Menschen den Eindruck haben, „die Medien“ verfolgten ihre eigene Agenda. Wenn ich mir die TV-Berichterstattung zu Corona anschaue, fühle ich mich immer wieder an die alten Telekolleg-Sendungen erinnert, in denen mathematische Zusammenhänge immer und immer wieder erklärt, ja fast schon eingebläut wurden.
Hashtags mit dem Aufruf, gefälligst daheim zu bleiben, sorgen für zusätzliches ethisches Hintergrundrauschen. News-TV hat heute den Auftrag, mir die Welt auf eine eindeutige Weise zu erklären. Doch dieses Ansinnen ist übergriffig. Medien sollen zur freien Willensbildung beitragen und nicht sie ausrichten oder managen. Indem sie dies dennoch tun, degradieren sie Bürger zu erziehungsbedürftigen Schülern.
Die Angst vor Zweifel und Dissens
Besonders deutlich sichtbar wird dieser „selbsterteilte Lehrauftrag“, wenn naturwissenschaftliche Sachverhalte kommuniziert werden. Hier changiert die mediale Aufbereitung zwischen Erklär-Fernsehen à la „Sendung mit der Maus“ und reinen Verkündungssendungen, in denen ein Wissenschaftler über einer Gruppe von Politikern und Journalisten thront, die um die Verarbeitung des Fachwissens in Politik streitet. Zwei streitende Virologen in einer Sendung bekommen wir hingegen nicht zu sehen.
Scheinbar scheuen sich viele Medien davor, Zweifel an „der Wissenschaft“ zu schüren. Dabei wird verkannt, dass Bürger gar keine Virologen sein müssen, um naturwissenschaftliche Interpretationen und deren Umsetzung in Politik bewerten zu können. Wenn es sich Medien zur Aufgabe machen, Zweifel zu unterbinden, dann üben sie selbst Zensur aus – und zwar an der Meinungsfreiheit der Menschen! Eine ähnliche Geisteshaltung zeigt sich im Umgang mit Abweichlern.
Nahezu jedes Medium, das nicht auf den Grundkonsens einschwenkt, wird in die Nähe von hetzenden Verschwörern gerückt. Sicherlich können gerade in Zeiten der Verunsicherung Verschwörungstheorien und horrende Falschmeldungen großen Schaden anrichten. Doch die Annahme, dass dies von medialen, staatlichen oder privatwirtschaftlichen Aufsehern unterbunden werden sollte, unterstellt Medienkonsumenten, sie seien unfähig, selbst zu entscheiden, was sie lesen, hören oder sehen. Diese Haltung ist gefährlicher für die Meinungsfreiheit als alle Verschwörungstheorien zusammen.
Meinungsfreiheit ist Meinungsbildungsfreiheit
Tatsächlich sind die zunehmend kontroversen Diskussionen ein Lebenszeichen der Demokratie. Sie zeigen, dass viele Menschen auch in Krisenzeiten nicht bereit sind, sich entmündigen zu lassen. Indem sie Widersprüche und Falschaussagen diskutieren, zwingen sie die Experten dazu, ihre Positionen besser zu erklären. Aufrechte Wissenschaftler schätzen diese Einmischung und „Erdung“.
Denn in Sachen Alltagsleben sind nicht Virologen die Experten, sondern die Bürger! Am Tag der Pressefreiheit ist es geboten, an die essenzielle und systemrelevante Aufgabe von Medien zu erinnern. Dem Land täte es gut, wenn die dominierenden Medien Meinungsfreiheit wieder so verstehen, wie sie eigentlich gemeint ist: als Meinungsbildungsfreiheit.
Dieser Artikel ist zuerst am 3. Mai 2020 in meiner Kolumne „Schöne Aussicht“ auf Cicero Online erschienen.