Optimismus in Zeiten des Selbstzweifels und einsamen Weltschmerzes.
Optimist oder Pessimist? Die Wahl trifft jeder für sich selbst. Matthias Heitmann hat beides ausprobiert. Für ihn ist klar: Optimist zu sein ist bereichernder.
Interview von Simone Leicht in der NZZ-Verlagsbeilage zum Swiss Economic Forum vom 22.5.2019
Herr Heitmann, in den News hören wir täglich von Kriegen, Katastrophen und Skandalen. Wie kann man da noch optimistisch sein?
Nur weil wir Krisen sehen, heisst das nicht, dass wir sie nicht lösen können. Der zentrale Unterschied zwischen Optimisten und Pessimisten liegt nicht in der Beschreibung der Gegenwart, sondern in der Bewertung der Zukunftsaussichten. Ist Optimismus lernbar? Wir können uns bewusst machen, dass Neugier eine positive menschliche Eigenschaft ist. Leider ist die moderne Gesellschaft viel zu wenig gierig auf wirklich Neues. Darunter leiden unsere geistige Offenheit und Beweglichkeit. Wenn wir wieder neugieriger werden auf die Welt und sie besser verstehen, dann wird sie uns auch besser gefallen.
Was stimmt Sie optimistisch?
Nie haben so viele Menschen besser, länger, gesünder, gebildeter, selbstbestimmter und in friedlicheren Lebensumständen gelebt als heute. Das macht zwar das bestehende Leid fast noch unerträglicher. Aber es zeigt auch, dass die Welt daran gewöhnt ist, Schritt für Schritt besser zu werden.
Sie sprechen von «guten Gründen» für positives Denken und wollen Optimismus mit dem Verstand herbeiführen. Ist Optimismus nicht vielmehr ein Empfinden und dem Verstand unzugänglich?
Fakten allein machen weder glücklich noch optimistisch. Was zählt, ist der Rahmen, in dem man sie bewertet. Es geht um die ganz persönliche Haltung gegenüber der Welt, den Menschen und sich selbst. Das aktuelle Gesellschaftsklima bevorzugt Pessimisten, denn es betont düstere Zukunftsaussichten und das Misstrauen gegenüber guten Nachrichten. Dadurch verengt sich der Erwartungshorizont, und das tut keiner Gesellschaft gut.
Sie sind überzeugt, dass wir mehr Optimismus brauchen und missionieren dafür. Was treibt Sie an?
Wir alle verändern die Welt durch unser Denken und Handeln – ganz gleich, ob als Optimist oder als Pessimist. Es ist eine völlig freie Entscheidung, das eine oder das andere zu sein. Ich habe beides ausprobiert und für mich die Erfahrung gemacht, dass es spannender und erfüllender ist, sich selbst und anderen mehr zuzutrauen, anstatt in Angst und Selbstmitleid zu ertrinken.
Sie nennen Ihre Ideenlandschaft «Zeitgeisterjagd». Warum sind Sie auf der Jagd nach dem Zeitgeist oder Zeitgeistern?
Der Zeitgeist ist wie ein «Bug», der sich in unserem gesellschaftlichen Rechenzentrum eingenistet hat und es lähmt. Die Zeitgeisterjagd will diese Bugs aus Köpfen, Unternehmen und Organisationen vertreiben, verstopfte Gedankengänge freibekommen und neue öffnen.
Was zeichnet den aktuellen Zeitgeist aus?
Die heutige Gesellschaft ist von Selbstzweifeln und Misanthropie durchzogen. Das war Ende des 19. Jahrhunderts ähnlich, jedoch war der damalige Fatalismus auch ein Freifahrtschein in die unendliche Leichtigkeit des Seins; der Weltschmerz wurde gemeinschaftlich gefeiert und getanzt. Im Gegensatz dazu besticht der moderne Zeitgeist durch eine ausgeprägte Lust und Freiheitsfeindlichkeit; der Weltschmerz wird still und einsam und klimaneutral erlitten.
Können Sie ein Beispiel nennen, wie sich dieses Denken in der Wirtschaft negativ auswirkt?
Wenn Menschen weder sich noch anderen viel zutrauen, dann gibt es auch kaum Freiräume für Erfinder, Gründer und Innovationsgeist. Zahlreiche Branchen und Forschungszweige bekommen das schmerzhaft zu spüren. Wenn es ausserdem als vernünftig gilt, das Heil besser in der Bewahrung des Istzustandes zu suchen, dann hat dies Konsequenzen für den ganzen Standort.
Die Digitalisierung ist die grösste gesellschaftliche Umwälzung seit der Industrialisierung. Das weckt Ängste. Wie begegnen Sie diesen?
So dynamisch sich Technologien auch entwickeln, so auffällig statisch sind die Ängste, die damit verbunden werden. Zumeist steht der Verlust der menschlichen Rolle und der Kontrolle im Zentrum. Deutlich zu machen, dass diese Ängste viel älter sind als die Digitalisierung selbst, ist ein erster Schritt zur Versachlichung der Debatte. Auch wenn es heute oft anders gesehen wird: Ich halte Angst und Panik für keine guten Ratgeber.
Sie beziehen künstliche Intelligenz in Ihr aktuelles Bühnenprogramm mit ein. Wie das?
In meinem Programm «Karla-Ingeborg auf Zeitgeisterjagd» interagiere ich mit einer künstlichen Intelligenz auf der Bühne. Im Gegensatz zu ihren digitalen Schwestern ist «Karla-Ingeborg» neugierig auf die Widersprüchlichkeiten menschlichen Denkens. So entwickeln sich skurrile, aber auch tiefsinnige Dialoge, und am Ende bekommt «KI», was wir alle gelegentlich brauchen: ein humanistisches Update für die eigene Grundeinstellung.
Was beabsichtigen Sie damit?
Der Zeitgeist verliert seinen Einfluss, so bald wir anfangen, ihn zu hinterfragen. Beim Lachen senken wir zudem unsere Schutzschilde und öffnen uns neuen Denkweisen. Daher bietet sich das kabarettistische Format an, um auf Zeitgeisterjagd zu gehen.
Das Interview von Simone Leicht ist am 22. Mai 2019 in der NZZ- Verlagsbeilage zum Swiss Economic Forum vom 22.5.2019 erschienen