FreiHeitmanns Befreiungsschlag: Das „Lockholm“-Syndrom

17.01.2021 Ausgabe 01/21 – Was passiert, wenn die Gesellschaft sich nicht zwischen Locked-In-Syndrom und Stockholm-Syndrom entscheidet und was das mit Handkäs zu tun hat.

Im neuen Jahr konzentrieren wir uns auf das Wichtigste: Vergesst Drogenhändlerinnen, Mörderinnen, Brandstifterinnen – Spaziergängerinnen und Schlittenfahrerinnen sind unser Hauptproblem!

Kleinkriminelle schulen um auf Normalos, weil die sind die neuen Illegalen! Die Kriminalstatistiken zeigen es: Wer sich bereitwillig vom Staat unter Hausarrest stellen lässt, hat ein deutlich geringeres Risiko, Opfer von Einbrüchen zu werden. Wir kennen diese Logik aus dem Gefängnisalltag: Dort wirst Du eher beim Hofgang verprügelt als in der Zelle beraubt. Stay at home rettet Leben.

Kein Wunder, dass die Menschen bei so viel Sicherheit und Geborgenheit auch mal wieder ausbrechen wollen – und sei es nur auf die Landstraße. Im Sommer hieß es ja noch: Geht an die frische Luft! Genau dafür gibt es jetzt einen hinter die Löffel. Ich frage mich immer noch, wo genau das Virus lauert, wenn die Menschen in ihren Autos im Stau stecken. Im Schweinsgalopp zum Hot-Spot durch die Rettungsgasse?

In Frankfurt wird uns jetzt auf Plakaten erklärt, was 1,5 m Abstand bedeutet: nämlich mindestens 20 Handkäs. Jetzt ist auch klar, wie man bei den Ausgangssperren auf die 15 km gekommen ist: Genau! 20.000 Handkäs, das weiß hier jedes Kind.

Und bis es auch alle anderen verstanden haben, wird der Lockdown einfach länger genutzt. Gute Deutsche schmeißen nix weg, solang es noch was taugt. Der Lockdown funktioniert ja noch gut, und ist zudem gut fürs Klima. Recyceln, bis der Arzt kommt– das gilt wahrscheinlich auch für unsere gebrauchte FFP2-Virenburka. Beim Toilettenpapier wäre das ja auch gegangen, zumindest bei dem sechslagigen – wenn‘s was taugt…?

Wer nichts taugt, ist Donald Trump. Sagen mega-mehrheitlich die Deutschen. Die Amerikanerinnen waren sich da ja nicht ganz so sicher, obwohl sie viel näher dran waren. Aber aus der deutschen Adlerperspektive hatte man schon immer den besten Blick, und den lässt man gerne in die Ferne schweifen, vor allem dann, wenn das Versagen doch so nah ist, nämlich sogar vor der eigenen Haustür – *innen.

Innenteressant finde ich in dem Zusammenhang den rasanten Aufstieg der Big Technology-Unternehmen: vom Privatsphären-Saulus zum Demokraten-Paulus. Noch vor Kurzem waren Facebook, Twitter & Co. angeblich verantwortlich dafür, dass Wählerinnen ausgehorcht und manipuliert wurden. Die Wahl von Trump und auch der Brexit galten als Beispiele für den schädlichen Einfluss der Social Media Companies. Und genau denen sollen wir nun applaudieren, weil sie die Accounts von Donald Trump und anderen Querulantinnen stilllegen?

Für Tellerwäscherinnen mag es schwerer geworden sein, Millionärin zu werden. Aber wenn Sie zufällig von Beruf Datenkrake sind, dann haben Sie jetzt größte Chancen, zu einer Demokratiewächterin aufzusteigen. Wie? Einfach die richtigen Seiten löschen, den Rest macht dann einer von Biden. Joes Waschsalon hat bereits geöffnet. Und ich habe die Befürchtung, der wird in Zukunft mehr Schaden an der amerikanischen Demokratie anrichten als alle Randalierer im Capitol zusammen.

Doch zurück zu unseren eigenen Wirrologen: Bei aller Aufregung um den langsam anrollenden Impfstoff lassen wir ein zentrales Problem zumeist außer Acht: Unsere Gesellschaft leidet am Locked-in-Syndrom. Das ist ein Zustand, in dem ein Mensch zwar bei Bewusstsein, aber fast vollständig gelähmt und unfähig ist, sich Gehör zu verschaffen. Kommt Ihnen das bekannt vor? Wir schließen uns selbst ein und beerdigen unser Leben aus Angst vor dem Tod, und das bei vollem Bewusstsein.

Obwohl auch das Bewusstsein bei manchen durch die lange Sippenhaft offensichtlich beeinträchtigt wurde. Je enger die Begrenzungen werden, desto lauter werden Rufe nach noch mehr Regeln. Das riecht für mich arg nach Schweden. Nein, ich meine weder Greta noch die schwedische Corona-Politik. Gemeint ist das Stockholm-Syndrom, bei dem Opfer einer Geiselnahme Sympathien für die Täterin entwickeln. Das scheint um sich zu greifen. Anders ist für mich nicht zu erklären, dass Bayerns Kanzlerin Maggy Söder mit jeder noch so unausgegorene Schutzhaft-Idee ihre Zustimmungswerte weiter nach oben treiben kann.

Richtig schwierig wird es, wenn das Locked-in Syndrom und das Stockholm-Syndrom gleichzeitig auftreten und sich überlagern, gewissermaßen als eine Art Lockholm-Syndrom. Wenn also Menschen vom Leben aussperrt werden und das sogar gut finden und gar nicht mehr zurückwollen. So ähnlich fühlen sich Teile unserer Gesellschaft gerade an: eingeschnürt, ein wenig sediert, und erleichtert, dass man sich nicht mehr bewegen und auch nicht mehr selbst abwägen und entscheiden muss. Und wer sich doch bewegt und an den Fesseln zieht, dem droht der denunziatorische Zorn der schweigenden Lämmer.

Die Welt steckt in einer Corona-Corsage. Meine selige Mutter hat früher Corsage getragen. Sie meinte, damit schlanker auszusehen, ohne aber natürlich schlanker zu sein. Die Corona-Corsage funktioniert ganz ähnlich: Sie lässt manch eine sich sicher und geschützt fühlen, obwohl sie doch in Wahrheit nur gefesselt und geknebelt ist. An diese Sicherheit glauben macht aber weder sicher noch dünner, höchstens dümmer. It‘s time to log out of the lockdown.

Optimismus, Meinungsvielfalt und Nachvornedenken sind  unbezahlbar, aber nicht umsonst. Wenn Ihnen die Zeitgeisterjagd etwas wert ist, übernehmen Sie eine Patenschaft.