FreiHeitmanns Befreiungsschlag (01-2023): Das deutsche Sonderunvermögen

20.01.2023 – Boris Pistorius sei „verwaltungserprobt“, sagte Olaf Scholz – und meinte das als Kompliment. Genau an solchen Formulierungen zeigt sich das Problem deutscher Politik.

Gute Neuigkeiten zum neuen Jahr! Gwen Stefani ist zurück! Zwar…… nicht mit einem neuen Album, aber so etwas braucht man auch nicht, um einen Shitstorm auszulösen und in die Schlagzeilen zu kommen. Es reicht völlig aus, wenn sich eine US-Amerikanerin als Fan der japanischen Kultur zu erkennen gibt und im Überschwang von sich behauptet, sie sei eine Japanerin! Doch es war nicht die Zuneigung zur japanischen Kultur, die den Shitstorm auslöste. Nein, im Gegenteil. Stefanis Satz „Ich bin eine Japanerin“ stelle einen Akt kultureller Aneignung dar! Finden die amerikanischen Kritiker.

Ich halte diese Kritik eher für intellektuelles Harakiri. Dieser Logik folgend hätte man eigentlich auch John F. Kennedy wegen kultureller Aneignung auf dem multikulturellen Scheiterhaufen verbrennen müssen. Er war nie ein Berliner, der alte weiße Lügenbold! Und schon gar keine Berlinerin!

Christine Lambrecht ist auch keine Berlinerin, und nun auch keine Wahl-Berlinerin mehr. Eigentlich wollte sie ja schon nach der letzten Bundestagswahl aus der aktiven Politik aussteigen. Man kann durchaus die Meinung vertreten, dass sie das auch getan hat – nur eben als Bundesverteidigungsministerin. Selten hat die Bezeichnung „entwaffnender Charme“ auf jemanden so gut gepasst wie auf Christine Lambrecht.

Alle haben das gemerkt, nur Wummseskanzler Olaf Scholz nicht. Der hat Frau Lambrecht noch bis vor kurzem als großartige Verteidigungsministerin gelobt. Ihr folgt nun gewissermaßen als Steigerung des Superlativs mit Boris Pistorius einer ins Amt, von dem Scholz sagt, die Soldateska können sich auf ihn freuen. Wäre ich Soldat, würde ich das als Drohung verstehen, noch dazu als eine, der man mehr oder minder unbewaffnet ausgeliefert ist. Was nutzen alle Sondervermögen, wenn sie durch Sonder-Unvermögen wieder ausgeglichen werden?

Und da stand Lambrecht nur am Ende einer langen Schlange. Ihre Vorgängerinnen, zuletzt die Flinten-Uschi und AKK47, haben den Boden bereitet, auf dem Lambrecht nun mit ihren Stöckelschuhen versackt ist. Das Stöckelschuh-Problem dürfte Pistorius nicht haben, was den Grünen wiederum nicht passt. Pistorius hat als niedersächsischer Landespolitiker keine Ahnung von Militär- und internationaler Verteidigungspolitik. Zumindest hier bleibt also die Kontinuität im Amt gewahrt. Dass Scholz aber aus dem Heer der Ahnungslosen nicht eine Frau ausgewählt hat, um die Geschlechterparität der Unwissenheit aufrechtzuerhalten, das stößt den Grünen grün auf.

Nun also Bum-Bum Boris, der Mann, auf den sich die Soldaten freuen können. Und innen. Schließlich war er jahrelang Innenminister. Das muss auch mal reichen. Für Putin allemal. Natürlich wäre es einfacher gewesen, Pistorius hätte vorher zugegeben, dass er sich eigentlich als Frau fühle und schon immer Verteidigungsministerin habe werden wollen. So wäre dann der Öffentlichkeit verborgen geblieben, dass der bald 63-Jährige den Job nur bekam, weil er, ganz Frau, mal wieder zum falschen Zeitpunkt ans Telefon gegangen ist. Immerhin: Im Gegensatz zu seinen Vorgängerinnen hat er jedient.

Zudem sei Pistorius „verwaltungserprobt“, sagt Scholz. Und er meint das als Kompliment! Genau an Formulierungen wie dieser zeigt sich das Problem deutscher Politik. Sie ist in Zeiten, in denen sowohl Inhalte und Ideale als auch die Idee der Führung an sich für altertümlichen Ballast gehalten wurden, zu einer Verwaltung des Hier und Jetzt degeneriert, ohne Zukunftsperspektive, aber auch ohne historische Dimension. Und dafür braucht sie entsprechendes Personal. Krisenverwalter beenden Krisen nicht. Und wer der Öffentlichkeit versucht weißzumachen, die kommenden Herausforderungen mittels verwaltungserprobter Beamter herunterdimmen zu können, der ist weltfremd und gemeingefährlich.

Wohlgemerkt. Die Politik hat in dem Sinne keinen Fachkräftemangel. Da sie sich ja als Jetztzeit-Management versteht, ist sie perfekt ausgestattet mit genau dem Personal, das sie zu benötigen meint. Allerdings sind die Zeiten der geschäftsmäßigen Gesellschaftsverwaltung nunmehr endgültig vorbei. Es bräuchte ein völlig neues Politikverständnis und dementsprechend ganz andere Politiker, ganz andere Charaktere. Doch solche Typen werden seit Jahrzehnten erfolgreich ausgesiebt und in den Parteiapparaten geschreddert.

Das zur Verfügung stehende Personal ist für eine neue Politik ebenso ungeeignet wie – Claas Relotius für den Journalismus. Sie erinnern sich sicher noch, das ist der einstige Spiegel-Redakteur mit der blühenden Fantasie. Der hat nun einen neuen Job: „Ich bin ein Werbetexter.“ Damit ist Relotius claasklar glaubwürdiger als Pistorius. Was für ein Einstand – für beide!

Wo diese neue Politik herkommen soll, ist derzeit nicht wirklich abzusehen. Wer aber hofft, sie würde aus dem alten Machtapparat heraus entstehen, vergeudet Zeit und Energie. Auch die Proteste sind keine Quelle politischer Inspiration, da sie sich letztlich als nur als Antreiber des alten Apparats und als Elitennachwuchs verstehen. Ich kann Ihnen nur raten: Halten Sie sich von all diesen Lagern fern, und bleiben Sie frei im Denken.