Entpören Sie sich!

Argument, Zorn, Wütend, Konflikt

12.1.2020 – Empörung ist kein Ersatz für Politik, auch wenn sie sich so nennt. Emotionalisierung und Personalisierung verhindern, dass Politik sich erneuern kann. Dabei wäre genau das im Augenblick dringend erforderlich.

Kennen Sie das? Nach ein paar ruhigen Tagen über Weihnachten ohne allzu viele schlechte Nachrichten (ok, da war die Helene-Fischer-Show, aber die blende ich aus) möchte man sich wieder in die aktuelle Nachrichtenlage einfinden. Doch das ist schwieriger als gedacht, denn Nachrichten in Reinform tauchen ja kaum mehr auf. Was man sieht, sind die Empörungswellen und wie diese schäumend an den Ufern des Mainstreams aufrollen, um sich sofort wieder zurückzuziehen und der nächsten Welle Platz zu machen.

Und die Wellen folgen einander ohne Unterlass. Das Jahr hat kaum begonnen, da fällt es schon schwer, den Überblick zu behalten, denn: Die Auslöser dieser Wellen sind immer seltener ausformulierte Inhalte tatsächlicher Debatten, sondern sie agieren nur noch als Schlagwortgeber. Es sind also oft nur wenige Informationen, die darüber entscheiden, ob und wenn ja wie stark man als Einzelner nun in die eine Empörung einsteigt, während man eine andere vorbeiziehen lässt. Man kann ja schließlich nicht auf jeden Zug aufspringen. In der Regel wählt man eine gewisse politische Richtung oder einen bestimmten Themenbereich, dessen Erregung man aufgreift. Doch selbst diese oberflächliche Entscheidung wird zunehmend schwieriger, denn ob eine Welle nun gefühlt eher „von links“ oder „von rechts“ kommt, ist kaum noch zu unterscheiden.

Viel Lärm um viel zu wenig
Als „rechte“ Empörungswellen gelten gemeinhin all jene, die sich durch fast allergische Reaktionen auf Personen wie Greta Thunberg, Angela Merkel, Heiko Maas, Annalena Baerbock und Robert Habeck oder auf Schlüsselbegriffe wie Feinstaub, Tempolimit, Veganer, divers-sexuelle Menschen, Migranten und auf Straftäter auszeichnen, deren Nationalität in der Berichterstattung nicht erwähnt wird. Ebenso gereizt reagieren sie auf Kritik an der AfD sowie auf Satire im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, sofern sie das eigene Weltbild attackiert. Hinzu kommen vermeintliche Panikattacken wegen immer neuer Flüchtlingsströme, Steuererhöhungen und der unaufhaltsam voranschreitenden globalen Mullah-Verschwörung, die uns angeblich alle versklaven wird.

Als „links“ werden Empörungswellen eingestuft, die eher durch Naturgewalten wie den Klimawandel, Donald Trump, Boris Johnson oder Dieter Nuhr ausgelöst werden, durch Nazis hinter jeder Häuserecke, durch planetenmordende Dieselfahrer, Fleisch-Fetischisten und durch alte weiße Männer, die Kinder und Jugendliche lieber auf der Schulbank als auf den Straßen sähen. Angereichert werden diese Wellen durch die entsprechend selektierte Weltsicht: Alles brennt vor Hitze, gleichzeitig ersaufen alle im polaren Schmelzwasser, und wenn wir nicht an Umweltverpestung, Online-Mobbing oder medialer Reizüberflutung sterben, dann nächste Woche im Dritten Weltkrieg, und zwar nicht durch iranische, sondern durch amerikanische Bomben.

Empörung ist antipolitisch
Ohne Empörung geht nichts mehr. Und wer sich nicht empört, gilt als naiver und gefährlicher Verharmloser, egal von was. Und da dieser Druck, gefälligst mitzuereifern, so stark ist, ist die Empörung mittlerweile an die Stelle des Engagements getreten. Die Aufregung an den Gestaden des Mainstreams gilt als Indiz für dessen Vielfalt, Aufgewühlt- und Wildheit. Die öffentlichen Erregungszustände werden interpretiert als Folge einer tiefen Spaltung der Gesellschaft entlang altbekannter politischer Trennlinien. Nach langen Jahren der politischen Alternativlosigkeit vermischt sich hier die Furcht vor einer stärkeren Polarisierung mit dem Wunsch nach grundlegenden Veränderungen.

Beide, sowohl die Furcht als auch der Wunsch, sind aber eher unbegründet. Denn obgleich viel Getöse die politische Landschaft aufwühlt, so ist die Empörung doch überaus volatil, haltlos und oberflächlich. Viel spannender und auch entscheidender sind nicht die vermeintlich extremen Gegensätze, sondern deren Gemeinsamkeiten. Sie nutzen Inhalte als Sprungbretter in die emotionalisierte Polit-Arena der Empörungskultur. Hier duelliert man sich dann mit alten und hohlen Phrasen und großer Klappe, jedoch fast ohne ernstzunehmende Substanz. Was allein zählt, ist die Macht des Augenblicks, der kurzfristige Imagegewinn und das Spektakel, das nur solange hält wie der Schaum vor den Mündern der Aufgepeitschten.

Intolerant aus Angst
Die Empörungskultur hat zwar verschiedene Ausprägungen, sie ist aber im Kern eben gerade weder links noch rechts. Tatsächlich ist sie das Resultat des völligen Einsturzes von ehemals „rechten“ und „linken“ Visionen und Weltbildern. Wir haben es nicht mit einem politischen Verdrängungskampf zu tun, in dem eine dynamische politische Kraft Veränderungen einfordert. Wir sehen heute eher die Implosion der alten Politik. Was übrigbleibt in ihren Ruinen, sind Wehleidigkeit und Opferhaltung und daraus resultierend desorientierte Paranoia und Hass gegenüber Abweichlern. Auf diesem Niveau angekommen, sind politisches Erbe und ideologische Herkunft faktisch irrelevant.

Die Empörungskultur zeigt weder nach rechts noch nach links, sie weist den Weg zurück in Zeiten, in denen es rechts und links als politische Parameter noch gar nicht gab, sondern die Meinung von Hetzern, Ketzern, Predigern, Aufwieglern und Abergläubigen gemacht wurde. Sie ist gewissermaßen voraufklärerisch, sie tarnt sich je nach Vorliebe als identitär und individualistisch, zugleich als globalisiert, kultursensibel und umweltbewusst. Und sie ist alles andere als vielfältig, denn sie straft jede Abweichung sofort und unwiderrufbar mit Exkommunizierung. Diese „emotionale Demokratie“ ist keine, denn sie nimmt politischen Dissens persönlich und verneint die Möglichkeit, dass Menschen unterschiedlicher Meinung sein können, ohne sich die Schädel einzuschlagen.

Aufgeregt aus Ruinen
Diese Empörungsspirale kennt kein natürliches Ende. Und es ist auch kein Privileg religiös motivierter Empörung, die eigene Position mit Gewalt durchzusetzen. Fünf Jahre nach dem islamistischen Attentat auf die Redaktion des französischen Satiremagazins „Charlie Hebdo“ ist klar: Unsere Gesellschaft ist seitdem keineswegs weniger emotional geworden, im Gegenteil. Ihre Paranoia gegenüber Abweichlern nimmt so beständig zu wie die Bereitschaft, vor Intoleranz einzuknicken.

Was sind die Ursachen für das Erstarken dieser Empörungskultur? Sie ist eine Folge des jahrelangen Fehlens ernsthafter politischer Alternativen und des daraus resultierenden argumentativen Wettstreitens. Die „GroKo der Alternativlosigkeit“, die seit vielen Jahren immer mehr Menschen in die Politikverdrossenheit vertrieb, hat dazu geführt, dass Menschen die Rolle von politischer Debatte und Argumentation geringschätzen. In der Alltagskultur ist derlei kaum noch vorhanden. Insofern ist es kein Wunder, dass nun, wo dieser Konsens immer mehr zerbröselt, die Gesellschaft darauf nicht mit einer politisch aufgeklärten Haltung reagiert, sondern emotional und panisch.

Was hilft: Luftholen und nachdenken
Das Positive daran: Die alten politischen Parameter „links“ und „rechts“ existieren tatsächlich nur noch als Ballons. Je mehr heiße Luft hineingeblasen wird, desto mehr verlieren sie an Bodenhaftung. Unsere Empörungskultur macht deutlich, wie wenig Relevanz diese alten Kategorien noch haben. Wir sollten die Größe der Ballons nicht mit deren Bedeutung verwechseln, sondern immer und wo es eben geht, mit Nadelstichen die Luft herauslassen, um sie auf ihre wahre Größe herunterzuholen.

Empörung ist kein Ersatz für Politik, auch wenn sie sich so nennt. Emotionalisierung und Personalisierung verhindern, dass Politik sich erneuert. Mich interessiert nicht mehr, ob sich jemand links oder rechts nennt. Mich interessiert, wie ruhig und rational jemand in einer Debatte seinen Standpunkt vertritt. Nur von denen ist tatsächlich Substanzielles, Konkretes und Kontroverses zu erwarten. Genug der oberflächlichen Empörung, es ist Zeit für Entpörung!

DIeser Artikel ist am 12.1.2020 in meiner Kolumne „Schöne Aussicht“ auf Cicero Online erschienen.