„Enhanced Games“: Lasst die Gedankenspiele beginnen!

Mann, Muskeln, Fitnessstudio, Sixpack

30.07.2023 – „Freiheit für Athleten statt Reichtum für Funktionäre!“ Mit derart aufrührerischen Forderungen will Aron d’Souza die Welt des Leistungssports revolutionieren. Die von ihm geplanten „Enhanced Games“ sollen Sportler von leistungsfremden Regulierungen befreien.

„Alles, was anders ist, ist gut.“ Mit diesem Satz fasst der zynische TV-Wetteransager Phil Connors in der Filmkomödie „Und täglich grüßt das Murmeltier“ seine in einer nahezu unendlichen Zeitschleife verlaufende Verwandlung zu einem liebenden und zuversichtlichen Menschen zusammen, an deren Ende dann tatsächlich ein neuer, „anderer“ Tag anbricht.

Alles, was anders ist, ist gut – das könnte man auch hoffen, wenn man die Entwicklung des globalen Geschäfts namens „Spitzensport“ betrachtet. Denn dieses scheint langsam, aber beständig auf einen Kipppunkt zuzusteuern: Während das Sportbusiness unter der eigenhändig aufgetürmten moralischen Last ächzt und stöhnt, werden gleichzeitig alle Anstandsregeln von Bescheidenheit, Rücksicht und Respekt mit Füßen getreten – wohlgemerkt nicht von Sportlern, sondern von den Vertretern der großen Sportverbände.

Während erstere Askese, materielle Armut, harte Arbeit und gnadenlose Wettbewerbsorientierung unter rigiden Überwachungsregimen und strikten Verhaltenskodizes vorleben, genießen die letzteren Entertainmentreisen in luxuriösen Privatjets, mafiose Korruption und maßlose Kungelei mit Mächtigen der Welt. Das globale olympische Dorf ist nicht nur eine Zweiklassengesellschaft, es ist auch verlogen bis unters Dach.

Strikte Wertemanifestationen
Und nicht nur das: Die Athleten haben dem stetigen Wechsel der Lieblings-Wertemanifestationen strikt Folge zu leisten. Von radikaler medizinischer Sauberkeit des Trainingsbetriebs, in dem schon ein falsches Schmerzmittel Medaillen und Karrieren kosten kann, bis zu verordneten Friedens-, Solidaritäts-, Antidiskriminierungs-, Klimaschutz-, Drogenbekämpfungs- und Gesundheitskampagnen.

Die Karren, vor die sich Spitzensportler aller Klassen, Nationen und Geschlechter spannen lassen müssen, um den Verbänden und auch der moralingetränkten (Ver-)Öffentlichkeit nicht übel aufzustoßen, sind vielfältig. Während so mancher Athlet sicherlich schon einmal den Überblick verloren hat, wessen er gerade in der Schweigeminute zu gedenken hat, schält sich die globale Sportfunktionärskaste immer nachhaltiger aus dem engen ethischen Korsett, in das sie ihr Fußvolk zwängt.

Dass sich die Granden von FIFA, IOC und anderen Weltsportverbänden in punkto Aufrichtigkeit und sportlicher Vorbildeignung disqualifizieren, ist keine kontroverse Aussage. Auch nicht, dass sich hinter den größten moralischen Vorsätzen jede Menge menschlicher Erbärmlichkeiten verstecken lassen.

Interessant ist aber, wie gut diese Verbandsvertreter sich von der schnöden Realität abkapseln und dennoch zugleich als Speerspitze einer friedlichen Zukunftsbewegung posieren können. IOC-Präsident Thomas Bach und FIFA-Chef Gianni Infantino haben sich ja nicht von außen an die Spitze ihrer Verbände geputscht – sie sind aus diesen heraus in ihre Funktionen gelangt, auch unter Wohlwollen und Mitwirkung einflussreicher politischer Eliten.

Scheinheiligkeit auf Weltniveau
Wenn sich die Politik kritisch über die schöne neue Sportverbändewelt und deren fortschreitende Putinisierung und Verscheichung äußert, erleben wir Scheinheiligkeit auf Weltniveau. Schließlich ist es die Politik selbst, die den Leistungssport als sozialpolitische Umerziehungswerkstatt und als öffentlichkeitswirksame Plattform für ihre jeweiligen Agenden nutzt und ihn über die Jahre so weit entkernt hat, dass die feindliche Übernahme durch schwergewichtige und machtsüchtige Selbstinszenierer kein Hexenwerk, sondern eine Frage der Zeit war.

Wie stark diese Entkernung bereits fortgeschritten ist, zeigt sich an den immer wieder aufflammenden Diskussionen darüber, ob das im Sport noch gepflegte Leistungsstreben nicht selbst ein Anachronismus sei, den es „wegzusporteln“ gelte wie die Pfunde des letzten Winters. In immer mehr Schulen ist dies bereits Praxis: „Wettbewerbe“, in denen Kinder einst Respektzeigen, faires Gewinnen und würdevolles Verlieren lernen konnten, gelten heute als entwicklungsschädigend und verschwinden langsam aus dem ohnehin immer trister werdenden Schulalltag.

Dass sich der Spitzensport durch diese Selbstverleugnung selbst den Boden unter den Füßen wegzieht, sollte nicht überraschen. Der leistungsorientierte Nachwuchs fehlt und wird auch nicht so schnell nachwachsen, wenn Leistungsstreben als „asozial“ und „narzisstisch“ gebrandmarkt wird.

Hinzu fluten weitere aktuelle Trends den Sport: von der Gesundheitsfixierung, die Sport zu einer medizinischen Notwendigkeit zu degradieren droht, über die bereits erwähnte Pädagogisierung bis hin zur Genderdebatte, die nicht nur Unterschiede zwischen Geschlechtern umdefiniert, sondern sie auf aberwitzige Art und Weise aus dem Sport herausdefiniert. Mit fatalen Konsequenzen: Anstatt natürliche Unterschiede respektieren und lieben zu lernen, werden sie verleugnet und zugeschüttet – mit moralischen Totschlagargumenten, oder schlicht mit Hormonen.

Olympische Spiele neu erfinden
Angesichts dieser seltsamen Gemengelage mag vielleicht nicht alles, was anders ist, auch auf Anhieb gut sein. Aber es ist gut, dass etwas anderes angeboten wird, über das nachgedacht und diskutiert werden kann, wie zum Beispiel über den australischen Unternehmer, Juristen und Investor Aron d’Souza. Mit den von ihm geplanten „Enhanced Games“ – zu Deutsch „verbesserte Spiele“ – will er eine internationale Sportveranstaltung etablieren, die mit allem bricht, was das IOC als „seine olympischen Werte“ preist.

D’Souza will die Olympischen Spiele neu erfinden – oder eher: Er will zu ihrem eigentlichen Kern zurückkehren. Weg vom modernen Hochglanz-Gigantismus zu Lasten von Steuerzahlern, heraus aus der korrupten Verbändewelt und der Bevormundung und finanziellen Ausbeutung der individuellen Athleten.

Allein mit diesem Ansinnen würde d’Souza bei vielen Menschen offene Türen einrennen. Doch er geht noch weiter: Er kritisiert auch die allgegenwärtige Kritik am athletischen Leistungsstreben und die wissenschaftsfeindliche Verteufelung bewusst herbeigerührter physischer Leistungssteigerung im Wettkampfsport. Seine „Enhanced Games“ sollen ein Festival menschlicher Leistungsbereitschaft und des Grenzenverschiebens werden. Athleten sollen ihre Körper auch unter Zuhilfenahme von medizinisch-wissenschaftlichem Sachverstand und jenseits aller Doping-Verbotslisten so optimieren können, wie es ihnen gefällt.

„Wir glauben, dass die Wissenschaft die Menschheit – und den Sport – besser und fairer macht“, ist auf der Website der Enhanced Games zu lesen. Die britische Zeitung The Guardian zitiert d’Souza unmissverständlich: „Menschen, die erwachsen sind und ihre freie und informierte Zustimmung gegeben haben, sollten mit ihrem Körper machen können, was sie wollen.“

Doping-Verbote: Ausdruck des Zeitgeists
An diesem Punkt steigen die zeitgeistkonformen Empörungskulturschaffenden natürlich aus, schließlich gelten ihnen Sauberkeit, Natürlichkeit und Gesundheit des Sports als unverzichtbare Stützen der moralischen Ordnung. Man stelle sich nur vor, jemand würde das ursprüngliche olympische Motto „Höher, schneller, weiter“ tatsächlich ernstnehmen wollen! Betrachtet man jedoch die Tatsache, dass der Dopingbegriff auf ähnlich moralischen und zeitgeistigen Kategorien basiert, so macht es Sinn, diesen auch einmal grundsätzlich zu hinterfragen.

Das wird heute nur noch selten getan, in der Regel genügt der Verweis auf die offiziellen Verbotslisten der Anti-Doping-Agenturen, um die Frage, was Doping denn sei, zu beantworten. Bei genauerer Betrachtung ist das so natürlich nicht ausreichend: Einen Straftatbestand wie „Diebstahl“ kann man auch nicht über den Umweg einer Liste von Gegenständen definieren, die man nicht wegnehmen darf. Es bedarf der klar definierten abstrakten Kategorie „Eigentum“, um es vor Diebstahl zu schützen.

Eine solche Klarheit fehlt beim Konstrukt „Doping“, daran ändert auch keine Dopingliste und kein Anti-Doping-Gesetz der Welt etwas. Zahlreiche Ersatzgründe wie Gesundheitsschutz, Athletenschutz, Chancengleichheit und Fairness, mit denen Doping-Verbote gerne verbandelt werden, entpuppen sich schnell als moralischer Treibsand.

Im Leistungssport ging es nie um Gesundheit; er ist auch nicht natürlich; erwachsene Athleten sollten über ihren Selbstschutz selbst bestimmen; athletische Chancengleichheit gab es nie und würde die Idee des Wettbewerbs ad absurdum führen; Fairness bezieht sich auf die Befolgung der reinen Wettkampfregeln und schließt explizit alle anderen Lebensbereiche aus, weshalb Athleten sich auch nicht in diesen Bereichen, sondern einzig hinsichtlich ihres sportlichen Verhaltens im Wettkampf als Vorbilder eignen.

„Alles, was anders ist, ist gut“
Zerpflückt man das moralische Mäntelchen namens Doping, so bleibt nicht viel übrig, was gegen medizinisch professionelle und selbstbestimmte Optimierung von Athletenkörpern spricht – zumal die Praxis durch Verbote in klinisch fragwürdige quasi-kriminelle Hinterzimmer gedrängt wird, während gleichzeitig ähnliche Praktiken der Leistungssteigerung in der gesellschaftlichen Lebenswirklichkeit nicht nur voll akzeptiert sind, sondern es auch schon immer waren.

Es ist nachvollziehbar, wenn Aron d’Souza seine Kritik am Verbänderegime und an der Politisierung des Weltsports mit einer Ablehnung des Dopingbegriffs koppelt und sich die Befreiung der Athleten von allen möglichen Fesseln auf die Fahnen schreibt. Frei nach dem Motto „Alles, was anders ist, ist gut“ werden hier Türen geöffnet, die von den (sport-)politischen Obrigkeiten als quasireligiöse Tabuzonen verschlossen gehalten werden.

D’Souza trifft einen Nerv
Der Veranstaltungsort der Enhanced Games Ende 2024 steht noch nicht endgültig fest, wohl aber deren Finanzierung, die Vergütung der Athleten und die Disziplinen, in denen konkurriert werden soll. Zunächst will man sich auf Leichtathletik, Schwimmen, Turnen, Gewichtheben und Kampfsport konzentrieren. Mannschafts- und Ballsportarten sind erst einmal außen vor. Noch sind es wenige bekannte (ehemalige) Leistungssportler, die sich hinter die Idee der „Enhanced Games“ stellen. Die öffentliche Erregung, die d’Souza für seine Idee erntet, offenbart aber, dass er einen Nerv trifft.

Es wird spannend sein zu beobachten, wie d‘Souza mit den Herausforderungen umgehen und auch noch einige offene Fragen beantworten wird. Denn wenn erwachsene Athleten tatsächlich, wie es in den Statuten des Unternehmens steht, ihre Körper unter medizinischer Aufsicht nach Gutdünken optimieren können sollen, wie soll dann unterklassigen Leichtgewichtsboxern oder Schwimmern überzeugend erklärt werden, dass eine Geschlechtsumwandlung zwar vielleicht ihre physische Leistungsfähigkeit und damit ihre Siegeschancen erhöht, aber dennoch unfair gegenüber Frauen ist?

Hier scheint die Ideenentwicklung noch nicht ganz abgeschlossen zu sein. Aber damit haben wir ja in den letzten Jahren umzugehen gelernt, ohne dass allein deswegen Pläne automatisch disqualifiziert worden wären. Also: Lasst die Gedankenspiele beginnen!

Dieser Artikel ist am 30.07.2023 auf Cicero Online erschienen