08.04.2021 – Einigen Medien genügt das Berichterstatten nicht mehr: Sie belehren ihre Leser und gehen auf andersdenkende Kollegen los. Der Demokratie und den Medien selbst täte es gut, wenn Meinungsfreiheit wieder so verstanden würde, wie sie eigentlich gemeint ist – als Meinungsbildungsfreiheit.
Die Corona-Krise geht an die Substanz, sowohl der Gesellschaft insgesamt als auch den einzelnen Menschen. Jeder spürt die Dünnhäutigkeit und Gereiztheit, gepaart mit Ungeduld, Wut, Frustration und realen Ängsten um Leib, Seele und wirtschaftliche Existenz. Gebannt blickt die Öffentlichkeit auf Statistiken, Zahlen und Kurven, für die es immer neuer Interpretationen bedarf. Entsprechend hoch schlagen die Emotionen, wenn es um die Bewertung der Krisenpolitik geht.
Da täte es allen Beteiligten gut, die Lage manchmal ein wenig ruhiger und distanzierter zu betrachten. Verfolgt man aber, wie sich die dominierenden und flächendeckend konsumierten Medien in dieser Gemengelage verhalten, so fällt eines unmittelbar auf: Die einst von anerkannten und bis heute verehrten Vorbildjournalisten praktizierte persönliche Distanzierung vom Objekt der eigenen Berichterstattung ist nahezu gänzlich verschwunden. Dies zwar nicht über Nacht, und auch nicht innerhalb weniger Monate. Dennoch hat der Corona-Krisenmodus diese Entwicklung im Journalismus beschleunigt.
Da die professionelle Distanz zum Geschehen heute häufig als unangebracht und „kalt“ gilt, schwindet auch der Wille und die Fähigkeit, Zusammenhänge auch einmal aus der Vogelperspektive und in der Gesamtschau und kritisch zu betrachten. Da Medien so immer nähe an das unmittelbare Geschehen heranrücken, laufen sie Gefahr, selbst Teil dieses Geschehens zu werden. Gleichzeitig werden diejenigen, die gegen den Strom schwimmen, als unethisch gebrandmarkt und zum Schweigen gebracht. Anders ist der aus der Medienwelt heraus entstehende Drang, sich an missliebigen Journalisten und Medien abzuarbeiten, kaum zu erklären.
Die mediale Selbstzensur kommt in Wellen daher; aktuell trifft sie Kritiker der Corona-Politik wie Boris Reitschuster oder Gunnar Kaiser, deren YouTube-Kanäle (zumindest vorübergehend) gesperrt wurden. Wen die nächste Welle trifft, ist unklar; dass sie kommt, ist hingegen unstrittig. Gut möglich, dass in Zukunft auch Medien zu den Leidtragenden gehören werden, die heute noch schweigen oder laut jubeln. Wer hingegen immer zu den Leittragenden gehört, ist die Öffentlichkeit, denn jede Zensur, selbst die Selbstzensur, schränkt die freie Meinungsbildung ein.
Das Publikum, der demokratische Souverän
Die große Nähe zur Macht macht offensichtlich etwas mit Medien, das ihnen nicht bekommt. Offiziell haben die Mächtigen im Land zwar ihre eigenen Pressesprecher, doch zuweilen hat man das Gefühl, als fühlten sich eigentlich unabhängige Journalisten in der Rolle der Politikverkünder und -vermittler zunehmend wohl. Wenn die Strahlkraft der Macht auf einen Medienapparat trifft, der sich selbst nicht als Gegenspieler, sondern als einflussreicher Mitspieler im politischen Geschäft versteht, dann verändert sich der klassische Bezugspunkt, an dem sich Medien ausrichten: Denn der eigentliche Ansprechpartner war nicht die Riege der Mächtigen, sondern das Publikum, der demokratische Souverän.
Das sich wandelnde Selbstverständnis vieler Medien hat Auswirkungen auf die Art der Berichterstattung. Der Platz an der Sonne (an der Macht) kann schnell verloren gehen. Dieser Druck einerseits und der klassische journalistische Impetus andererseits zerrt an den Journalisten und drängt sie dazu, eindeutig Stellung zu beziehen. Wer seine Karriere nicht gefährden will, tut gut daran, den wärmenden Platz an der Sonne nicht aufzugeben.
Hieraus resultiert für die Gesellschaft ein grundlegendes Problem: Die freie Meinungsbildung wird eingeschränkt, und zwar nicht vorrangig von der Politik, sondern durch die Zweifel vieler Medienvertreter an ihrer eigenen Aufgabe und Rolle. Das Verhältnis zu und der richtige Abstand von den Mächtigen ist nur der eine Aspekt, den es im journalistischen Selbstverständnis zu beachten gilt. Hier wirkten schon immer Zugkräfte, derer man sich erwehren muss. Medien und Menschen gelingt es, diesen Kräften zu widerstehen, wenn sie auf einem gefestigten und inhaltlichen Verhältnis zu ihren Nutzern stehen. Doch genau dieses Verhältnis wird zunehmend oberflächlicher und flüchtiger.
Freiheit des Konsumenten
Die Freiheit des Lesers, Hörers, Zuschauers – also des Publikums – steht im Zentrum der Meinungsfreiheit. Es geht also nicht in erster Linie um die Freiheit des Redakteurs, zu schreiben, was er will. Diese Freiheit gab es nie. Schon immer war klar, dass eine „linke“ Zeitung anders interpretiert und kommentiert als eine „rechte“ und mithin auch von ihren Journalisten erwartet, zu dieser Profilierung beizutragen. Das ist auch kein Problem, denn Meinungsfreiheit meint vor allen Dingen die Freiheit des Konsumenten, aus unterschiedlichen Medien frei auszuwählen und frei seine eigene Meinung zu bilden.
Doch im Zuge der Verwässerung traditioneller politischer Konturen hat sich auch der Anspruch der Medien verändert. Ihr Ziel ist es nicht mehr, die Beziehung zur eigenen Klientel zu intensiveren, sondern es geht darum, Zielgruppen auszuweiten und sich „an alle“ zu wenden. Was wie eine Öffnung klingt, bedeutet in Wirklichkeit einen Verlust an Vielfalt und Qualität: Viele Medien verlieren an Profil und Tiefgang und wenden sich Themen und Standpunkten zu, die ein größeres Publikum versprechen. Der Mainstream wird so zur Richtschnur des ökonomisch erfolgversprechenden journalistischen Handelns.
Im heutigen Journalismus spielt daher der Leitgedanke der nützlichen Serviceleistung eine immer größere Rolle. Der Auftrag liegt nicht mehr in der Befähigung der Medienkonsumenten, selbst frei Entscheidungen zu treffen, sondern darin, ihnen bei der Entscheidungsfindung zu helfen oder bestenfalls die „richtige“ Entscheidung sogar vorzuformulieren. Ein aus der Masse herausstechender Journalist ist in diesem Umfeld nicht mehr der mit einer speziellen Argumentation oder einer eigenen Meinung, sondern der, der besonders effektiv auf die Entscheidungsfindung seines Publikums einwirkt. Der Journalist wird so selbst zum politischen Aktivisten.
Medien mit eigener Agenda
Diese Entwicklung ist ein Grund dafür, dass immer mehr Menschen den Eindruck haben, „die Medien“ verfolgten ihre eigene Agenda. Diese Meinung ist nachvollziehbar. Die Berichterstattung zu Corona wechselt zwischen moralischen, ja fast schon religiös anmutenden und ewig wiederholten Appellen und alten Telekolleg- oder Kindersendungen, natürlich flankiert mit einrahmenden Aufrufen, sich coronakonform zu verhalten, zu Hause zu bleiben etc.
Wer „Framing“ als implizite Art der Meinungsbeeinflussung für eine Schimäre hält, sollte genauer auf den Rand seines Fernsehbildes achten. Doch es wird auch explizit Meinung gemacht, bzw. es werden Meinungen, die nicht diesem medialen Konsens und dem selbsterteilten „Lehrauftrag“ entsprechen, sehr gezielt an den Rand gedrängt oder ausgeblendet. Hier wird Selbstkastration der Medien am deutlichsten – und am brutalsten.
Medien sollten sich in ihren Ansprüchen gesundschrumpfen: Ihre Aufgabe ist es, zur freien Willensbildung beizutragen und nicht, diese auszurichten oder gar inhaltlich zu managen. Indem sie aber genau das tun, degradieren sie sich selbst zu Handpuppen der Politik und die Bürger zu erziehungsbedürftigen Kindern. Der Demokratie und den Medien selbst täte es gut, wenn Meinungsfreiheit wieder so verstanden würde, wie sie eigentlich gemeint ist: als Meinungsbildungsfreiheit.
Dieser Artikel ist am 8. April 2021 zuerst bei Reitschuster erschienen.
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