ChatCPT: Von maschinellem Messen und menschlichem Ermessen

Ai Generiert, Mann, Gehirn, Neuronen

04.04.2023 – Diejenigen, die eine Maschinenrevolution durch Künstliche Intelligenz bejubeln, und diejenigen, die sie herbeifürchten, haben eines gemeinsam: Sie haben kein Vertrauen in den menschlichen Intellekt und die Intelligenz, die uns allen angeboren ist.

„Der Text dieses Podcasts wurde von ChatGPT verfasst.“ Da derzeit fast jeder zweite geschriebene Text so beginnt und da ChatGPT letztlich nichts anderes tut, als Worte und Sätze einer hohen Wahrscheinlichkeit folgend aneinanderzureihen, könnte es gut sein, dass diese Aussage richtig ist.

Beruhigt es Sie, wenn Sie erfahren, dass dieser Text menschgemacht ist? Warum? Warum ist das wichtig? Was sagt das über den Inhalt des Textes aus? Ist es bei einem Musikstück entscheidend, ob ein Schlagzeuger die Drums spielt, oder ob die Drums aus dem Computer kommen? Ist ein Kleidungsstück besser oder schlechter, nur weil es nicht maschinell gefertigt, sondern per Hand von Kindern in Bangladesch für ein paar Cent hergestellt wurde? Was ist menschlich daran, die menschliche Fähigkeit, Maschinen zu bauen, zu verteufeln?

Der moderne Zeitgeist ist nicht nur grün, er ist auch anti-maschinell und meint, er würde so das Menschliche betonen. Deswegen zählt häufig nicht, was wir machen, sondern wie und warum und welche Form von Identität und Individualität wir dabei versuchen auszudrücken. Bei manchen Pressemitteilungen, Nachrichtenbeiträgen oder auch Bedienungsanleitungen würde weniger ausgelebte Individualität nicht schaden, und es wäre mir lieber, eine künstliche Intelligenz mit einem großen Wortschatz hätte sie erstellt.

ChatGPT ist nur der maschinelle Überbringer schlechter Nachrichten

Wenn Journalisten tatsächlich fürchten, ChatGPT würde ihnen die Arbeitsplätze wegnehmen, dann … haben sie wahrscheinlich recht damit. Denn dann arbeiten sie entweder in einem Medienunternehmen, dem es ohnehin nur um linientreue, fantasielose Berichterstattung oder um stromlinienförmige Verbraucherhinweise geht, oder aber ihre eigenen Schreiberzeugnisse sind inhaltlich so austauschbar, dass man sie auch wesentlich schneller, effizienter und billiger maschinell erstellen kann. Letztlich ist also ChatGPT also hier nur der maschinelle Überbringer schlechter Nachrichten.

Künstliche Intelligenz ist super darin, innerhalb festgesetzter Rahmenbedingungen und in Sekundenschnelle Erzeugnisse zu liefern, die den vorab definierten Standards entsprechen. ChatGPT hält sich beim Verfassen von Texten daran, was andere höchstwahrscheinlich auch hätten schreiben können. Die Texte bewegen sich somit im mathematisch kalkulierbaren mittleren Bereich des inhaltlichen Spektrums, und wenn Chat GPT weiterhin so fleißig dazulernt, wird irgendwann auch die Grammatik fehlerfrei – oder zumindest fehlerloser als bei einem durchschnittlichen Oberstufenschüler.

Wissen Sie, was künstliche Intelligenz wirklich vom menschlichen Intellekt unterscheidet? Es ist die Neugier, der Drang nach etwas Neuem, die Lust am Ausbruch aus vorgegebenen Strukturen, das kreative Überwinden alter Parameter, der inbrünstige Bruch mit der Konvention, der Verrat am menschlichen Durchschnitt. Hierfür braucht es das menschliche Hirn. Alles andere kann künstliche Intelligenz übernehmen. Das Entwicklungsziel von KI ist es, so zu sein wie Max Mustermann. Der menschliche Intellekt zielt in die entgegengesetzte Richtung, denn er weiß: Max Mustermann ist eine Fälschung.

KI ist dumm wie Eiweißbrot

Natürlich kann eine KI Beethovens unvollendete Sinfonie zu Ende komponieren, wenn man sie vorher ordentlich auf Beethoven trainiert. Der Unterschied ist, dass Beethoven ohne dieses Training auskam und eine KI ohne diese Training keinen Beethoven zum Nachäffen hätte.

Wenn es um das eigenständige Denken außerhalb enger und düsterer Gedankengänge geht, sozusagen um das eigentlich bislang immer als positiv verstandene Querdenken, das Argumentieren außerhalb der üblichen Schubladen und Denkmuster – wenn wir also davon sprechen, was Menschen einzigartig macht, dann müssen wir festhalten: KI ist dumm wie Eiweißbrot.

Dennoch fürchten sich viele Menschen vor künstlicher Intelligenz und davor, dass sie, wie in schlechten Hollywood-Filmen so üblich, die Weltherrschaft übernehmen könnte. Meiner Ansicht nach beruht diese Angst in den wenigsten Fällen auf einem tiefen Verständnis davon, was künstliche Intelligenz eigentlich ist und wie sie funktioniert. Die Angst ist eher ein Anzeichen dafür, dass man auf Kriegsfuß steht mit der menschlichen Intelligenz, sie entweder für eine verschwindende Ressource oder aber – noch schlimmer eigentlich – menschliche Intelligenz selbst für gefährlich hält.

In beiden Fällen macht es dann Sinn, KI als Bedrohung anzusehen. Wer menschliche Intelligenz geringschätzt oder ablehnt, der reduziert sie herunter auf ein Niveau, das problemlos von KI übernommen werden kann. Und wahrscheinlich ist dann ein Chat mit ChatGPT sogar auch noch interessanter.

Die Kategorien „Mensch“ und „Technik“ sind kein Gegensatz

Kein Wunder, dass das KI-basierte Schreibprogramm in den Himmel gehoben wird. Die das tun, sind häufig dieselben, die den Menschen insgesamt misstrauen und ihren intellektuellen Fähigkeiten sehr kritisch gegenüberstehen. Die Energie, die den Hype um künstliche Intelligenz befeuert, ist nicht das sprunghafte Wachstum der Technologie, sondern der Misanthropie.

Schon das Denken in den beiden Kategorien „Mensch“ und „Technik“ ist von Grund auf problematisch. Dieser Gegensätzlichkeit ist keine: Technik ist immer menschlich, sie ist menschengemacht, wie auch alles Künstliche von Menschen erschaffen worden ist. Wenn also Menschen auf die Technik schimpfen oder sich vor ihr fürchten, dann meinen sie eigentlich nicht die Technik, sondern die Menschen – freilich nicht sich selbst oder ihresgleichen, aber die anderen! Und interessanterweise würden sie diese anderen Menschen lieber heute als morgen durch Maschinen ersetzen oder ganz verschwinden lassen.

Natürlich kann künstliche Intelligenz Befehle in einer Geschwindigkeit und Präzision ausführen, wie es kein normaler Mensch kann. Aber dennoch sind diese Fähigkeiten von KI nur ein kleiner Ausschnitt dessen, wozu der menschliche Intellekt in der Lage ist. Menschen denken nicht immer präzise, geradeaus und nach vorgegebenen Richtlinien, sondern sie können grob überschlagen, antizipieren, erkennen, einsehen, und vor allen Dingen: Sie können auch mit ungenauen Antworten sinnvoll weiterarbeiten. Und sie können ihre Denkweise überdenken. Keine KI kann die Frage beantworten, was ungefähr drei mal ungefähr vier ist. Johann Wolfgang von Goethe hat einmal gesagt: „Entscheide lieber ungefähr richtig als genau falsch.“ Spätestens hier ist KI raus.

Diejenigen, die die Maschinenrevolution bejubeln, und diejenigen, die sie herbeifürchten, haben eines gemeinsam: Sie haben kein Vertrauen in den menschlichen Intellekt und die Intelligenz, die uns allen angeboren ist. Wer ein solches Menschenbild vertritt, der braucht sich nicht wundern, wenn er irgendwann von Menschen beherrscht wird, deren Menschlichkeit auf Maschinenniveau liegt. Und dann heißt es nur noch: Alexa, Licht aus! Ok.

Dieser Artikel ist zuerst am 04.04.2023 auf Cicero Online erschienen.