Geht’s raus und spielt’s Fußball!


Mesut Özil und Ilkay Gündogan sind im Kader der Deutschen Nationalmannschaft. Dass sie dem türkischen Präsidenten Erdogan mitten im Wahlkampf ein Trikot ihres Heimatvereins geschenkt haben, hat ihnen nicht den Weg zur WM 2018 versperrt. Eine richtige Entscheidung.

Nach dem Zusammentreffen der beiden in Deutschland geborenen türkischstämmigen Nationalspieler Ilkay Gündogan und Mesut Özil mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan schlugen die Wellen der Empörung hoch. Selbst bislang ruhige und besonnene Geister fühlten sich provoziert angesichts des Auftritts der beiden in England kickenden Stars mit dem Mann, der so gar nicht für das westlich-aufgeklärte Verständnis von Demokratie steht. Bevor die Ereignisse nun aber in der Gischt der aufschäumenden Gemütswallungen unterzugehen drohen, hier nun ein paar klare Jas und Neins:

Ja: Özil und Gündogan haben offensichtlich schräge und vielleicht auch unerträgliche Ansichten. Ansonsten kämen sie nicht auf die Idee, sich freudestrahlend mit einem Politiker ablichten zu lassen, der Pressefreiheit und andere Menschenrechte mit Füßen tritt. Da ist es dann auch zweitrangig, welcher Nationalität dieser Politiker ist. Selbst wenn Gündogan, wie er nun zurückrudernd behauptet, damit kein politisches Statement abgeben wollte, so fehlt ihm doch zumindest das Mindestmaß an politischem Gespür für Öffentlichkeitswirkungen. Das darf man von einer erwachsenen und öffentlichen Person erwarten.

Nein: Es ist nicht verboten, sich mit gewählten Politikern aus dem Ausland ablichten zu lassen, auch dann nicht, wenn diese einen zweifelhaften Ruf besitzen. Es gilt auch nicht als Bestechung, den Präsidenten eines anderen Landes mit Trikots des eigenen Vereins zu beschenken. Spannend wäre es gewesen, wenn man ihm ein Nationaltrikot hingehalten hätte. Man mag derlei absonderlich oder auch politisch widerwärtig finden. Aber seit wann sind politische Widerwärtigkeiten verboten?

Die Empörung über Özil und Gündogan ist Wahlkampfhilfe

Ja: Womöglich haben sich die beiden Spieler gedankenlos politisch benutzen lassen. Die Reaktionen auf die Fotos zeigen aber, dass in Wirklichkeit nicht nur die beiden Spieler, sondern große Teile der deutschen Empörungsöffentlichkeit dasselbe Schicksal erlitten haben. Denn in der Tat ist es Wahlkampfhilfe für Erdogan, wenn man nun Özil und Gündogan dafür ächten würde, sich mit Erdogan fotografieren gelassen zu haben. Aber unfreiwillige Wahlkampfhilfe für Politiker zu leisten, gehört angesichts der weitgehenden Moralisierung und Politisierung des Fußballs zu unangenehmen und anrüchigen Begleiterscheinungen des Fußballerdaseins. Özil und Gündogan wurden darauf trainiert, das Licht der Öffentlichkeit zu suchen, egal wer neben ihnen steht.

Nein: Es ist kein Präzedenzfall, das prominente Fußballer eigenartige und nicht mehrheitsfähige politische Standpunkte vertreten. Paul Breitner wurde als Maoist und eifriger Leser der Roten Bibel öffentlich wahrgenommen und trotzdem 1974 Weltmeister – ohne dafür rausgeschmissen zu werden. Im Gegenteil: Er übernahm im Finale gegen die Niederlande Verantwortung und verwandelte einen Elfmeter. Kein Hahn krähte danach, was er in seiner Freizeit las und dachte. Die aktuelle Aufgeregtheit um Özil und Gündogan ist eher ein Indiz dafür, wie selten sich heute Sportler aus Fenstern lehnen.

Ja: Fußballer sind in der Tat Vorbilder – aber gerade nicht für politische Bildung und Patriotismus, sondern für körperliche Ertüchtigung, Ehrgeiz und Spielintelligenz. Wer beides vermischt, tut sowohl dem Sport als auch der Bildung als auch dem Land als auch den Protagonisten Unrecht. Özil und Gündogan mögen eine noch größere Treffsicherheit für Fettnäpfe als für Tore haben. Doch dies qualifiziert sie nicht als vorbildliche Leistungssportler.

Nein: Ein Nationalspieler muss nicht Frank-Walter Steinmeier für „seinen Bundespräsidenten“ halten, er muss ihn nicht mögen und sich auch nicht mit ihm ablichten lassen, wenn er dies nicht mag. Das Spielen für Deutschland ist kein politisches Statement, sondern ein sportliches. Ebenso ist auch das Bejubeln deutscher Tore bei WM oder EM eben nicht Ausdruck eines erstarkenden Nationalismus, sondern zeugt von Sportbegeisterung für das eigene Lieblingsteam.

Eine Demokratie muss Meinungen aushalten, die wehtun

Ja: Meinungsfreiheit gilt auch für Fußballer und auch für solche, die vielleicht wenig Ahnung haben von Dingen, die nicht über den Platz oder in Ihre Portemonnaies rollen. Meinungsfreiheit ist erst dann eine, wenn sie wehtut. Eine Demokratie muss dies nicht nur aushalten, ohne diese Meinungsfreiheit wäre sie keine

Nein: Inhaber eines deutschen Passes sind nicht zu bestimmten politischen Überzeugungen und Handlungen verpflichtet. Es gibt in Deutschland keine Gesinnungsnationalität, auch keine der „guten“ Gesinnung. Wäre dies anders, müssten einige der Leute, die sich jetzt am lautesten über Özil und Gündogan beschweren, sich selbst in die Warteschlange vor demselben Pranger einreihen.

Ja: Immer wieder wird beklagt, dass Fußballer keine eigene Meinung mehr haben, zu angepasst sind. Gemeint ist damit, dass es zu wenige Spieler gibt, die ihren eigenen Kopf haben. Nun ist die Freiheit zum eigenen unabhängigen Denken kein Garant dafür, dass immer hochwertige und sinnvolle Ergebnisse bei diesem freien Denken herauskommen. Dennoch ist das Risiko im Vergleich zu den positiven Effekten, die freies und unkonventionelles Denken erzielen kann, überschaubar. Diktaturen sind jedenfalls noch nie aufgrund von zu viel Freigeisterei entstanden.

Nein: Dass nun auf Özil und Gündogan eingedroschen wird, ist genau das, was wir verurteilen sollten: Konformitätszwang und Moralisierung.

Ja: Fußballer haben das Recht, Erdogan gut zu finden, und sie haben auch das Recht, die Nationalhymne nicht mitzusingen – oder sie mitzusingen oder so zu tun, ohne dass sie ihnen irgendetwas bedeutet. Dies macht sie nicht zu schlechteren Spielern – und auch nicht zu schlechteren Sport-Repräsentanten eines toleranten und gefestigt-demokratischen Landes.

Nein: Früher war nicht alles besser: Die westdeutsche Mannschaft, die 1980 den EM-Titel holte, war ein Haufen schweigender Hymnenmuffel. Historische Filmaufnahmen zeigen, dass kein einziger Spieler die Hymne sang. Entgegengenommen hat die Nation den Titel dennoch. Man war halt noch ein wenig unaufgeregter und entspannter, was Andersdenken und Abweichler anging. Und vielleicht war es in dieser Hinsicht doch früher ein bisschen besser.

Dieser Artikel ist am 15. Mai 2018 auf Cicero Online erschienen.