„Der Fall Robert Enke: Was sollen wir aus Depressionen lernen?“

Die Diskussion über den Selbstmord von Nationaltorhüter Robert Enke offenbart einen Trend zur gesellschaftlichen Tragödienfixierung.

(Erschienen auf der Website des Kölner Stadtanzeigers am 11.11.2009)

Robert Enke hat seine Krankheit bis zum Schluss erfolgreich geheim gehalten. Er war das, was man mit bestem Gewissen eine Kämpfernatur nennt, ein „Held der alten Schule“. In der Öffentlichkeit findet dieser Aspekt der Stärke aber kaum Erwähnung. Stattdessen rückt seine krankheitsbedingte Schwächung in den Vordergrund, sein Kampf gegen das Publikwerden seiner Krankheit wird nunmehr als objektive Ursache seines Scheiterns und dies als Mahnung an uns alle uminterpretiert: Der Profifußball wird kritisiert, da er nur nach Stärken suche und keinen Platz für Schwächen biete. Schon wird gefordert, die psychologische Betreuung von Profikickern müsse erheblich ausgeweitet werden, um derartige Schicksale künftig zu verhindern bzw. abzumildern.

Dass der Profisport an den Sportler nicht nur körperlich, sondern auch mental höchste Anforderungen stellt, ist weder neu noch ein Problem. Auch Enke dürfte dies so gesehen haben; er war nicht krank, „weil“ er seinen Beruf im Rampenlicht bis zuletzt ausübte. Es scheint eher, als habe der Profifußball und die um ihn entstehende Gemeinschaft – zumindest in seiner Zeit in Hannover, während der er bereits erkrankt war – für Enke als stabilisierender Faktor gewirkt.

Dass genau dies nun problematisiert wird, ist symptomatisch für unsere Gesellschaft, in der vermeintlich „unterdrückte“ Schwächen verstärkt in den Vordergrund gezerrt und Versuche, diese zu überwinden oder auch nur sich von diese nicht zu dominant werden zu lassen, als Selbstbetrug gegeißelt werden. Dementsprechend gilt als moderner Held von heute nicht der, der Außergewöhnliches leistet, sondern der, der Außergewöhnliches erleidet.

Das Schicksal von Enke offenbart einmal mehr, dass es Ereignisse gibt, in denen die – menschlich durchaus nachvollziehbare – Suche nach dem „Warum“ nicht zu einem konstruktiven „weil“ führt. Gleichzeitig zeigt sich, dass das verzweifelte „Etwas-Daraus-Lernen-Wollen“ in Kauf nimmt, das Opfer noch posthum seiner Würde zu berauben: Binnen zweier Tage wurde aus Enke ein „Held moderner Prägung“ – dabei war sein ganzes Leben darauf ausgerichtet, eben dies nicht zu sein.

Das Aufwerten von Schwächen zum Standard einer Gesellschaft hat negative Konsequenzen für alle, insbesondere aber für die tatsächlich Geschwächten, denn anstatt ihnen zu helfen, werden sie so zum nicht beachtenswerten Normalfall degradiert. Genau dies hätte Robert Enke mit Sicherheit nicht gewollt.