„Ganz Europa? Nein!“ Die Wallonen auf den Spuren von Asterix

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Die Wallonen mögen in ihrer Ablehnung des Freihandelsabkommens mit Kanada Unrecht gehabt haben – aber auch das ist ihr demokratisches Recht!

Die Wallonen haben von ihrem demokratischen Recht Gebrauch gemacht und die Europäische Union in ihrem Versuch blockiert, sich über eben diese Rechte hinwegzusetzen. Offenbar haben sie sich nun aber doch mit der belgischen Regierung über die strittigen Punkte geeinigt, sodass das Abkommen doch noch zur Unterzeichnung gelangen könnte. Ich bin zwar für das Freihandelsabkommen mit Kanada, ich hätte aber dennoch das Votum der Wallonen akzeptiert und auch nachvollziehen können. So ist das eben manchmal, wenn man Demokratien und demokratisch gewählte Parlamente ernstnimmt: Man muss auch bereit sein, Niederlagen wegzustecken.

Die jedoch leider in Europa um sich greifende Geringschätzung der Demokratie zeigt sich daran, dass es fast schon Gewohnheit geworden ist, den siegreichen politischen Gegner postwendend als Totengräber des Abendlandes zu dämonisieren. Dabei sollte man bei demokratischen Entscheidungen den Adressaten von Kritik bedacht auswählen, läuft man doch Gefahr, die Menschen dafür zu beschimpfen, dass sie eine andere Meinung haben, was aber wiederum ihr grundlegendes demokratisches Recht ist.

Wäre es auf demokratischem Wege nicht zu dem Vertragsabschluss mit Kanada gekommen, hätte man dies nicht der belgischen Regierung anlasten können. Denn diese hat nichts anderes getan, als die Rechte der belgischen Staatsbürger ernst zu nehmen. Auch wenn so mancher Politiker dies anders sieht: Dies ist die zentrale Aufgabe von demokratischer Politik. Das Problem ist also nicht der schwache belgische Zentralstaat oder die Unbeugsamkeit der Wallonen, sondern die Europäische Union, die offenkundig nur dann funktioniert, wenn sie die Bürger Europas übergeht oder mit Macht zu „richtigen“ Entscheidungen drängt.

Man stelle sich vor, wir hätten es heute nicht mit Wallonen zu tun, sondern mit niedlich gezeichneten Galliern. Und nicht die EU, sondern die doofen Römer stünden vor der Tür und würden rufen: „Wir sind die demokratische Mehrheit! Gebt auf! Macht Schluss mit eurem kleinkarierten Nationalismus!“ Ich wette, Asterix & Co. könnten sich Ihrer Sympathie sicher sein. Dies sollte auch für die Wallonen gelten. Denn wenn Demokratie genutzt wird, um das Selbstbestimmungsrecht der Völker auszuhebeln, dann ist sie keine.

Belgien ist ein demokratischer und föderaler Bundesstaat. Gegen den Willen einer der drei großen Regionen Flandern, Brüssel und eben Wallonien darf die belgische Zentralregierung nicht entscheiden. Wenn also die Wallonen und auch die Menschen in der Region Brüssel Ceta nicht wollen, kann Belgien nicht zustimmen. Man muss sich also einigen. Sich über dieses Gebot hinwegzusetzen, käme einem antidemokratischen Putsch gleich.

Dass die Wallonen Ceta ablehnen, ist zudem seit mehr als einem Jahr bekannt. Bei jeder Gelegenheit haben sie immer wieder angekündigt, dass sie das Handelsabkommen in der bisherigen Fassung blockieren würden. Doch wie die EU-Bürokraten nun einmal sind, haben sie sich auch hier wieder lange Zeit einen Dreck dafür interessiert, was die Menschen denken und wollen.

Insofern reihen sich die Wallonen nun ein in die Reihe der europäischen Bevölkerungen aus Nord, Süd, Ost und West, die sich in den letzten Jahren und Jahrzehnten immer wieder gegen die zunehmende Zentralisierung der Macht in der EU aufgelehnt haben. Und dafür bin ich ihnen dankbar, denn mir ist die Demokratie in Europa wichtiger als dieses Abkommen.

Demokratie bedeutet, dass man Entscheidungen akzeptieren muss, die einem nicht gefallen, solange sie auf demokratischem Wege zustande kommen. Politische Entscheidungen aber gegen demokratische Grundsätze durchzudrücken, mag zwar in Europa in Mode kommen, aber ich lehne das ab.

Das Schlimme ist, dass die EU mit ihrer antidemokratischen Struktur und ihrem autoritären Politikverständnis die Menschen gegen sich aufbringt und damit Entwicklungen selbst zu blockieren droht, die eigentlich von Vorteil wären. Im Falle von Ceta mag dies möglicherweise verhindert worden sein, aber das Problem besteht weiter. Wir schaffen es nicht dadurch aus der Welt, dass wir die letzten Reste der demokratischen Kultur Europas dem Funktionieren der EU opfern. Vielmehr ist es höchste Zeit anzuerkennen, dass die Demokratie mit dieser Europäischen Union nicht zu retten ist, sondern nur gegen sie.

Der Artikel ist am 28.10.2016 auf der Website des Debattenmagazins „The European“ erschienen.