Das Trumpeltier ist nicht das Problem

Die liberalen Eliten sind sich einig – Donald Trump stellt das Feindbild der Demokratie dar. Dabei könnte der US-Präsident als Repräsentant der einfachen Menschen genau diese wieder auf Vordermann bringen.


Ich persönlich habe keine Illusionen, was die politischen Ziele des neuen US-Präsidenten Donald Trump anbelangt: Das meiste von dem, was er ankündigt, gefällt mir nicht. Ich hätte ihn auch nicht gewählt. Aber letztlich ist nicht das wichtig, was Trump ankündigt – wichtiger ist, was er aufkündigt. Und in dieser Hinsicht kann nach dem Brexit-Votum der Briten der Wahlsieg von Trump der zweite Startschuss für eine große Entrümpelung sein, aus der die Welt ein bisschen freier, beweglicher und zukunftsfähiger hervorgeht.

Offensichtlich ist, dass der Konsens der Akzeptablen, Wohlmeinenden, Kultivierten, Schönen, Reichen und Gebildeten, der über Jahre hinweg ungefragt wie selbstverständlich den Kurs der Welt dirigierte, zerfällt. Die Zeiten, in denen das politische wie kulturelle Establishment freihändig auf dem Rücken der schweigenden Massen Schlitten fahren konnten, neigen sich dem Ende zu.

Liberale Eliten weit weg von der Realität
Wie weit diese sich liberal, progressiv und weltoffen fühlenden Eliten von tatsächlicher Zivilisiertheit und Kultiviertheit entfernt sind, offenbaren sie im Moment ihrer Niederlage: Öffentlichkeitswirksam richten sie in wutschäumenden oder mit tränenerfüllt-zitternden Stimmen vorgetragenen Appellen ihren Hass auf den neuen stärksten Mann der Welt, meinen aber in Wahrheit den kleinen Mann, der ihn gewählt hat. Insofern erscheint vielen US-amerikanischen Wählern der Trump-Tower heute als realer, authentischer, ehrlicher und bürgernäher als das Weiße Haus.

Der selbst vor der Verwendung niveauloser Verschwörungstheorien nicht zurückschreckende Elitenprotest ist selbst zutiefst elitär: er richtet sich nicht gegen den Milliardär Trump und dessen Ankündigung, das Land wie ein Unternehmen führen zu wollen. Wogegen von oben rebelliert wird, ist Trumps Rolle als gewählter Repräsentant der einfachen, „unzivilisierten“ und „ungebildeten“ Leute aus den unteren Schichten und aus der Provinz.

Trümmer der alten Technokratenherrschaft
Es ist dieser Aspekt, der vor uns stehenden politischen Veränderungen, der mich neugierig und zugleich auch optimistisch macht: Meine Zuversicht ist gänzlich unabhängig von Trump und dessen politischer Agenda. Sie basiert vielmehr darauf, dass eine politische Agenda demokratisch abgewählt wurde, die jeden Bezug zur Lebenswirklichkeit vieler Menschen verloren hat und keinesfalls so progressiv und aufgeklärt war, wie sie sich immer darstellte. Die Risse, die die politischen Erdrutsche des letzten Jahres in der Fassade dieser „alternativlosen“ Politik erzeugt haben, werden sich nicht ohne Weiteres übertünchen lassen. Zu grotesk und absurd sind die Versuche, die Trümmer der alten Technokratenherrschaft als Mahnmale moderner und lebendiger Architektur zu deklarieren.

Die Hysterie, mit der die Nomenklatura auf die politischen Erschütterungen des vergangenen Jahres – Trump, Brexit, Italien-Referendum, die Eliten- und EU-Krise sowie der europaweite Aufstieg von Wut- und Angstparteien infolge einer kopflosen Migrationspolitik – reagiert, lässt eine Rückkehr in die Zeiten pseudopolitischer Konsensorientierung als unrealistisch erscheinen. Nach Jahren des desillusionierten Schweigens und Nichtwählens wird der Führungsanspruch der orientierungslosen Stagnationsverwalter wieder offener hinterfragt und herausgefordert.

Das ist Demokratie
Natürlich ist nicht jede alternative Antwort, die in den Ring geworfen wird, wirklich eine Antwort oder gar eine alternative. Dennoch ist es gut und lebenswichtig für die Demokratie, dass überhaupt wieder hinterfragt und um Standpunkte gerungen wird. Wer einmal eine seit Jahren ungenutzte Wasserleitung wieder in Betrieb genommen hat, der weiß, dass er zunächst hauptsächlich ungenießbares Brackwasser zu Tage fördern wird. Unsere politische Kultur erinnert ein wenig an eine solche Wasserleitung: Sie hat jahrelang brach gelegen, bedeckt und verstopft von einer dicken Schicht schlammiger Alternativlosigkeiten. Um diesen Pfropfen zu lösen, reichen filigranes Kleinstwerkzeug und wohltemperierte Widerspenstigkeit in homöopathischen Dosen nicht aus.

Wie stark der politische Schlick der vergangenen Jahre die Sinne verstopft und unser Urteilsvermögen beeinträchtigt hat, wird durch den grotesken Existenzkampf der noch vorherrschenden Eliten deutlich. Die Heiligenverehrung des nun ehemaligen US-Präsidenten Barack Obama ist so skurril, dass es einem fast die Sprache verschlägt. Man erinnere sich: Dieser Präsident, Friedensnobelpreisträger seines Zeichens, hat allein im vergangenen Jahr 26.000 Bomben über dem Nahen Osten abgeworfen. „Yes, we can“, rief er und schob in seiner Präsidentschaft mehr Immigranten gewaltsam ab als jeder seiner Vorgänger. „Yes, we can“, rief er und führte jeden einzelnen Tag in seiner Amtszeit Krieg: in Syrien, in Libyen, in Afghanistan, im Yemen, in Somalia und in Pakistan. Derzeit schickt Obama Truppen nach Polen. Und wir sollen uns allen Ernstes darüber aufregen, dass Trump ein unzivilisierter Kerl ist?

Neuer Schwung in die Politik
Trump wird zweifellos die politische Kultur verändern. Viele sagen, er werde sie zerstören, da er unbedacht spricht und agiert. Die Frage muss aber gestattet werden: In wessen Zuständigkeitsbereich fällt es, wenn ein Trumpeltier zum Präsidenten gewählt wird? Was sagt es über eine politische Kultur, wenn sie in der Selbstaufgabe gipfelt? Es sagt, dass ihre Zeit abgelaufen ist, dass tiefgreifende Veränderungen nötig sind und Verkrustungen gelöst werden müssen. Es muss Tacheles geredet werden, es müssen Denkverbote ignoriert und alte Hierarchien über den Haufen geworfen werden.

Meine Zuversicht begründet sich darauf, dass die Menschen bei den vergangenen großen demokratischen Abstimmungen in Großbritannien, in den USA oder in Italien sich eben gerade nicht verführen ließen, wie heute gerne vonseiten des politischen Establishments argumentiert wird, im Gegenteil: Die Menschen haben sich vielmehr trotz des enormen politischen Drucks von den seit Jahren an den Schalthebeln der (Meinungs-)Macht sitzenden Verführern abgewandt.

Abrissunternehmer Trump
In Europa und in den USA findet man zunehmend Gefallen daran, den Status quo infrage zu stellen, den mächtigen und bequemen Verführungen zu widerstehen und die Herrschenden abzuwählen. Dass dies Ängste provoziert, versteht sich von selbst. Das haben Veränderungen so an sich. Und dennoch treiben Menschen immer wieder Veränderungen voran, vor allen Dingen dann, wenn eine Fortsetzung des Gegenwärtigen nicht als lohnende Perspektive wahrgenommen wird, und selbst dann, wenn unklar ist, wie die Zukunft aussehen soll und wird.

Letztlich ist Donald Trump nicht mehr als der Abrissunternehmer für eine bereits seit Längerem baufällige politische Kultur. Seine Aufgabe ist es nicht nur, die Abrissbirne zum Einsatz zu bringen. Er soll auch Wertvolles von Wertlosem trennen, Müll entsorgen und so den Boden für Neues bereiten. Niemand würde indes einen Abrissunternehmer für einen Architekten halten, auch wenn er zuerst zum Zug kommt. Was nach dem Abriss mit der Baustelle geschieht, darüber hat die demokratische Gesellschaft zu befinden. Hier muss die Debatte über die Zukunft beginnen. Je offener und breiter diese geführt wird, desto besser.

Dieser Artikel ist am 22.1.16 in der Kolumne „Schöne Aussicht“ bei Cicero Online erschienen.