Über das neue fußballdeutsche Dreigestirn „Klinsi-Jogi-Olli“
(Erschienen in Novo72, September/Oktober 2004)
Vor zwei Jahren prägten wir bei Novo den Begriff der „Bierhoffisierung des Fußballs“. Wir meinten damit den enormen Konformitätsdruck im deutschen Fußball und das daraus resultierende Fehlen genialer und schräger Vögel auf dem Platz. Als Symbol für den vorherrschenden, stromlinienförmigen wie charismafreien Typ des kickenden Lieblingsschwiegersohns wählten wir Oliver Bierhoff. Just dieser ist nun „Team-Manager“ der Nationalmannschaft geworden und Teil von Jürgen Klinsmanns Triumvirat, das dem Unternehmen WM 2006 seinen Stempel aufdrücken will. Die Frage ist: Welche Spuren hinterlässt ein Stempel ohne Profil, ohne Farbe und ohne Nachdruck?
Als Trainer haben sich die beiden den ebenfalls „lieben“ Joachim Löw ins Boot geholt. Mit Sicherheit ein guter Trainer. Doch braucht die Nationalmannschaft einen „Trainer“?
Dass Rudi Völlers Mannschaft vor zwei Jahren in Japan und Südkorea Vizeweltmeister wurde, hatte sie weniger den ausgefeilten Trainingsmethoden des Duos Völler/Skibbe zu verdanken – Nationaltrainer bringen niemandem das Kicken bei –, als vielmehr seiner Fähigkeit, eine eher mittelmäßige Truppe zu begeistern und so zu ansprechenden Leistungen anzustacheln. Wobei selbst diese im Nachhinein nicht schöngeredet werden sollten: Schließlich gelangten die Deutschen in Fernost ins Finale, ohne auch nur gegen einen einzigen hochkarätigen Gegner antreten zu müssen (zur Erinnerung: Deutschland gewann gegen Saudi-Arabien, spielte unentschieden gegen Irland und schlug Kamerun, Paraguay, die USA und Südkorea). Die Länderspielstatistik ist unbestechlich ernüchternd: Der letzte deutsche Sieg gegen ein namhaftes europäisches Nationalteam datiert vom 7. Oktober 2000 (1:0 gegen England); der letzte Turnierspielerfolg gegen eine europäische Mannschaft liegt sogar bereits acht Jahre zurück: es war das 2:1 im EM-Finale von 1996 gegen Tschechien – Torschütze des „Golden Goal“: Oliver Bierhoff; damaliger Bundestrainer: Berti Vogts!
Seit der überraschenden Finalteilnahme von 2002 ist wenig passiert, außer, dass alle zwei Jahre älter wurden. Im Nachhinein muss man Völler zwei Vorwürfe machen: Zum einen fehlte ihm ein schlüssiges Konzept für die Weiterentwicklung der Mannschaft. Anstatt im Hinblick auf die WM im eigenen Land die „Euro 2004“ als Testlauf für eine radikal verjüngte „Perspektivtruppe 2006“ zu nutzen, setzte Völler auf alternde Recken über 30 (Bobic, Hamann, Jeremies, Kahn, Lehmann, Nowotny, Schneider, Wörns, Ziege), die 2006 größtenteils nur noch als Kommentatoren taugen. Als sich bereits im Vorfeld des Turniers abzeichnete, dass diese Truppe es nicht richten können würde, nominierte er noch ein paar Youngster nach (Schweinsteiger, Podolski), was natürlich zu spät kam.
Zum anderen hatte sich schon vorher angedeutet, dass Völler ein Problem mit hohen Erwartungen hat. Sein Ausraster aus dem Jahr 2003, als er vor laufenden Kameras die Sportöffentlichkeit dafür kritisiert hatte, dass sie von Vizeweltmeistern klare Siege gegen Island und Färöer erwartete, wirkte wie ein wütendes Plädoyer für das Recht auf Mittelmäßigkeit. Wer dieses Recht so vehement verteidigt und zudem ständig betont, es gäbe „keine Kleinen mehr“, der braucht sich nicht wundern, wenn eine Mannschaft nicht daran glaubt, zu „den Großen“ gehören zu können.
Noch schlimmer wurde es, als Völler schon vor Beginn des Turniers in Portugal betonte, er wolle „den Druck von den Jungs“ nehmen, damit diese möglichst befreit aufspielen könnten. Für eine Mannschaft, die in der Vergangenheit gerne als „Turniermannschaft“ bezeichnet wurde – was ja nichts anderes heißt, als dass sie sich unter dem Druck eines Turniers enorm steigern kann – sind derartige Signale absolut kontraproduktiv.
Vor zwei Jahren stellte Stefan Chatrath Novo die Frage, warum Deutschlands Kicker „bei den Luschen angekommen“ seien. Die Antwort war eindeutig: Weil man von ihnen erwartet, Luschen zu sein; weil man sie behandelt wie Schwächlinge, sie nicht unter Druck setzen will und ihnen statt dessen Psychologen zur Seite stellt, damit sie unter der Last ihres Berufs (das Runde ins Eckige befördern) nicht zusammenbrechen – kurzum: weil hohe Erwartungen außer Mode sind.
Insofern klang Jürgen Klinsmanns Antrittsrede als neuer Bundestrainer, in der er vorgab, im Stile Griechenlands 2006 Weltmeister werden zu wollen, fast schon bedauernswert hohl. Aber was sollte er auch anderes sagen?
Dem smarten Trio aus dem „Land des Lächelns“ (so titelte das Sportmagazin Kicker) ist viel PR und Tamtam zuzutrauen, nicht aber die notwendige Revolutionierung der Fußballverhältnisse in Deutschland. Solange jedenfalls Christian Wörns und Jens Nowotny ihre Nationalmannschaftskarriere deswegen fortsetzen, weil es keine nachwachsende Konkurrenz auf ihren Positionen gibt, solange braucht sich die deutsche Fußball-Öffentlichkeit die Frage, ob es arrogant oder gar „nationalistisch“ ist, zu den „Großen“ gehören zu wollen, gar nicht erst stellen.