Grünen-Hype: Heißer Scheiß oder aufgewärmter Mist?

Nicht Hören, Nicht Sehen, Nicht Sprechen, Lustig

Die Grünen strahlen nach außen derzeit ein Gefühl von Jugendlichkeit und Modernität aus. Dabei triefen auch sie von abgestandener politischer Ideologie. Die Verkleidung gelingt, weil den ehemaligen Volksparteien die inhaltliche Kraft für eine Auseinandersetzung abhanden gekommen ist.

Vor nicht ganz zweieinhalb Jahren scheiterte die Partei Bündnis 90/Die Grünen bei der Landtagswahl im Saarland an der Fünf-Prozent-Hürde. Die damalige grüne Spitzenkandidatin für die anstehende Bundestagswahl, Katrin Göring-Eckardt, stellte im März 2017 ernüchtert fest, dass grüne Themen derzeit nicht „der heiße Scheiß der Republik“ seien. Heute, 26 Monate später, gelten die Grünen bei manchen als die stärkste politische Kraft im Land und ihr Bundesvorsitzender Robert Habeck als kommender Bundeskanzler.

Fortlaufender Wechsel ohne Veränderung

Wie schnell sich politische Moden mitsamt ihren Role Models die Klinken in die Hand geben! Zur besseren Einordnung: Als die Grünen aus dem Saarbrücker Landtag flogen, war Martin Schulz SPD-Kanzlerkandidat, galt als politische Lichtgestalt am roten Himmel über Berlin sowie als ernstzunehmender Gegner der immer müder werdenden Kanzlerin Angela Merkel. Letztere kämpft heute noch immer gegen die Müdigkeit im Amt. Ersterer hat sich in die hintersten Bänke seiner arg geschrumpften Bundestagsfraktion verkrochen.

Im Nachhinein wirkt es fast surreal, dass die fast schon besorgte Frage, was nur aus der grünen Partei werden solle, keine zweieinhalb Jahre alt ist. Sie war berechtigt, da die Grünen damals von der Omnipräsenz ökologischen Denkens in Politik und Gesellschaft nicht profitieren konnten. Die Frage ist auch jetzt noch interessant, doch noch mehr als damals wird heute deutlich: Die der Partei nahegelegte Rolle ist keine, die von ihr in den vergangenen Monaten durch einen Politikwechsel erkämpft wurde. Führende Grüne würden dem zustimmen: Sie haben vielleicht weniger untereinander gestritten, inhaltlich verändert haben sie sich nicht.

Protestpartei für Nicht-Protestwähler

Tatsächlich ist die grüne Renaissance einer ruckhaften Implosion der einstigen Volksparteien geschuldet. Dies hat im Machtzentrum der Republik ein Vakuum erzeugt, in das die Grünen hineingezogen wurden und in dem sie sich danach fast auf Volksparteiformat aufgeblähen konnten. Wie ein Schwamm saugt die Partei freigesetzte und haltlose Wählerschaften auf. Die Bündnisgrünen haben es bei der Europawahl geschafft, zu einer Protestpartei für all jene zu werden, die aus moralischen Gründen keine Protestparteien wählen wollen. Sie agieren als ökopopulistische Opposition in der Mitte des All-Parteien-Konsenses. Ihnen gelingt es derzeit, den Fahrtwind auf der Bugwelle des reißenden Mainstreams als Gegenwind zu verkaufen.

So kann die bald 40 Jahre alt werdende Partei relativ problemlos Modernität und Jugendlichkeit ausstrahlen und sich einen anti-elitären Anstrich verpassen, ohne Gefahr zu laufen, dass ihr diese Verkleidung sofort um die Ohren fliegt. Sie profitiert davon, dass sich die Altpolitik aus Angst vor innerer Vergreisung freiwillig auf das inhaltliche Niveau von Kinderparlament-Inszenierungen begibt. Derweil fällt der jüngsten Partei im Bundestag, der AfD, nichts Besseres ein, als den Grünen etwas vorzuwerfen, von dem sie heute weiter entfernt sind als jemals zuvor: vermeintlich linke Ideen unter dem Öko-Deckmäntelchen einschleusen zu wollen. In Wirklichkeit sind die Grünen genauso wenig links wie die AfD eine Alternative für Deutschland.

Grüner Tee im x-ten Aufguss

Es ist offensichtlich, dass derzeit kaum jemand die inhaltliche Kraft hat, sich ernsthaft den Grünen entgegenzustellen. Nur so ist es zu erklären, dass ausgerechnet die missmutigste, misanthropischste, etatistischste und elitärste im Bundestag vertretene Partei im Sommer 2019 als der „heißeste Scheiß“ gilt. Tatsächlich sind ihre Inhalte nicht viel mehr als der aufgewärmte Mist des späten 20. Jahrhunderts, grüner Tee im x-ten Aufguss. Dass den Grünen diese Wiederauferstehung gerade jetzt gelingen konnte, liegt an ihren Wurzeln: Die 1980 gegründete Partei ist selbst das Produkt des Niedergangs linker wie rechter politischer Strömungen in der alten Bundesrepublik.

Die ökologische Kritik am Kapitalismus und an der fortschrittsgläubigen und humanistischen Aufklärung diente als inhaltliche Klammer, um linke Anti-Kapitalisten und wertkonservative Modernisierungs- und Globalisierungsfeinde zusammenzubringen. Das realpolitische Machtstreben führte in den Jahren darauf zu einer Begradigung der einst stark ausfransenden Parteiränder. So konnte der Einfluss der Partei in konservative und gutbürgerliche Wählerklientele hineinwachsen. Diese Veränderung ging einher mit der allgemeinen Abkehr von der alten, auf klassischen Links-Rechts-Schablonen basierenden Politik.

Das grüne Lebensgefühl trägt einen langen Hippie-Bart

Ins Zentrum des gesellschaftlichen Interesses rückten verstärkt „unpolitische“ Themen, in denen es nicht mehr um den Wettstreit verschiedener Zukunftsentwürfe ging. Stattdessen wurde die scheinbar ideologiefreie Frage gestellt, wie die Apokalypse jetzt und ohne Diskussion abzuwenden sei, um zumindest noch eine Zukunft zu haben. Die ideologische Ermattung politischer Diskurse mündete in unsere heutige Kultur der permanenten Notstandspolitik. Hier geht es nicht mehr um bedachte Abwägungen und berechtigte Klärungsbedarfe, sondern um einen spontaneistischen und geschichtsdementen Aktionismus, der über jeden Zweifel erhaben ist. Das ist deshalb gerade auch bei Jugendlichen so angesagt, weil man so „unpolitisch“, „radikal“, „anti-elitär“, naiv und unverdächtig daherkommt.

Mehr noch: Die heutigen Jugendlichen sind die idealen Träger dieses aktionistischen Impulses. Sie können gar auch nicht erspüren, dass ihr grünes und scheinbar so urwüchsig jugendliches Lebensgefühl in Wirklichkeit einen langen Hippie-Bart (nicht Hipster) trägt, von abgestandener politischer Ideologie nur so trieft und eine leibhaftige Anpassung an den Zeitgeist darstellt. Die meisten der heute so erhitzt gegen die Erderwärmung Protestierenden waren noch gar nicht auf der Welt, als Joschka Fischer erster grüner Außenminister und es in seiner Amtszeit üblich wurde, dass sich Deutschland an militärischen Konflikten in aller Welt beteiligt.

Impulse, die mehr bieten als Apokalypsenabwehr

Dass nicht die Grünen, sondern mit Angela Merkel eine CDU-Kanzlerin Deutschland den Atomausstieg bescherte, dürfte vielen „Fridays-for-Future“-Konsumenten neu sein. Der „Generation Merkel“ bleibt daher kaum etwas anderes übrig, als in den Grünen die einzige Hoffnung in einer von Polit-Zombies dominierten Welt zu sehen. So wenig es gerecht ist, den Jugendlichen dies vorzuwerfen, so zwingend notwendig ist es, ihr gefühltes Monopol auf gesunden Menschenverstand zu erschüttern.

Wenn Klimapanik, CO2-Steuer, Fahrverbote, Flugverbote und die biodynamische Landwirtschaft im Jahr 2019 der „heiße Scheiß“ sind, dann wird deutlich, dass Deutschland neue inhaltliche Impulse braucht. Solche, in denen die Zukunft mehr zu bieten hat als das Diktat der Apokalypsenabwehr. Denn die von vielen Menschen heute akzeptierten Kultur der Notstandspolitik ist der Fressfeind von Freiheit und Demokratie. Gleichzeitig müssen wir für den Gedanken streiten, dass Freiheit mehr ist als eine Schutzzone für altertümliche und ewig gestrige Panikparteien oder ein Spielplatz für Parodisten auf dem Ego-Trip. Diese vermeintlichen Freiheitskämpfer mögen zwar gegen den Strom schwimmen, doch eine eigenständige Linie lässt sich so nicht verfolgen – schon gar keine überzeugende.

„Anti-Populisten“ sind die eigentliche Gefahr

Eigene Überzeugungen entwickeln und Menschen davon überzeugen: Das ist eigentlich der Kern demokratischer Politik. Hieran wird schon deutlich, was heute schiefläuft: Wer sich heute um die Ansichten der normalen Leute schert, steht unweigerlich in der Populistenecke. Der Populismusvorwurf ist ein Totschlagargument all jener, die populistisch für die Steigerung von populär halten.

Wenn aber die Hinwendung zu den Menschen bereits als undemokratisch und radikal gilt, dann wird deutlich: Die eigentliche Gefahr für die Demokratie geht nicht von den „Populisten“ aus, sondern von den selbsternannten „Anti-Populisten“. Denn sie meinen mit ihrer Kritik nicht diejenigen, die des Volkes Stimme für die eigenen Zwecke missbrauchen, sondern sie meinen all jene, die ihre Stimme in ihrem eigenen Namen erheben. Und genau diese „freien Radikalen“ brauchen wir, die sich nicht als zu alimentierende Staatsopfer und als weltenzerstörende Geschwüre, sondern als denkende, handelnde und weltverbessernde Citizens verstehen.

Wir brauchen eine „Woche gegen Weltschmerz“

Wir brauchen ein Gegengewicht zu den „Fridays for Future“. Ich habe einen Vorschlag: „Die Woche gegen Weltschmerz“, ein Programm voller Aktionen gegen den missmutigen Mainstream. Lasst uns streiten für das, was wirklich wichtig ist: montags für das Recht auf Meinungsunterschiede, dienstags für Demokratie ohne Wenn und Aber, mittwochs für Mündigkeit und Menschlichkeit, donnerstags für Debattenkultur ohne Denkverbote, freitags für Frechheit und Frivolität und samstags für Spaß und soziales Leben.

Sonntags machen wir nichts. Da hat sogar Gott gechillt. Wer glaubt, am Sonntag die Welt retten zu müssen, der hat nichts verstanden und ist päpstlicher als der Papst, göttlicher als Gott und grätiger als Greta.

Dieser Artikel ist am 9. Juni 2019 in der Kolumne „Schöne Aussicht“ auf Cicero Online erschienen.