AfD und Grüne sind im Umfragehoch. Dabei sind die einen das Feindbild des anderen. Trotzdem haben sie viele Gemeinsamkeiten: Sie präsentieren sich als „Alternativen“, sind wertkonservativ und leidenschaftliche Gesinnungsethiker. Ihr erstes Opfer ist die Freiheit.
Während sich sowohl die Unterscheidbarkeit als auch die Popularität der einstigen Volksparteien auf immer neue Tiefststände zubewegt, profitieren zwei Parteien von dieser Entwicklung, deren Namen man nur selten in einem Atemzug nennt. Neben der AfD ist es vor allen Dingen die Partei Bündnis 90 / Die Grünen, die der SPD den Rang als zweitstärkste Partei abspenstig zu machen droht. Interpretiert werden diese Verschiebungen als Folge des Niedergangs der zunehmend profillosen, weichgespülten und unglaubwürdigen Volksparteien. Und fast meint man, Erleichterung darüber zu verspüren, dass nach Jahren der Alternativlosigkeit diese Ära nun mit dem Erstarken zweier entgegengesetzter Formationen ein Ende finden könnte. Doch diese Hoffnung auf eine Wiederbelebung der politischen Kultur ist leider unbegründet, denn das Interessanteste an beiden Parteien sind nicht ihre Unterschiede, sondern ihre überaus problematischen Gemeinsamkeiten.
Grün und Blau: Angst aus politischer Überzeugung
Bei der Frage, warum Grüne und AfD Politik machen, finden sich viele Gemeinsamkeiten. Diese ergeben sich aus einer verbreiteten Angst vor der Zukunft und führen dazu, dass sich beide als Warner und Mahner vor den Auswüchsen der Moderne gerieren. Aus dieser moralisch erhöhten Position heraus ist die gesinnungsethisch unterfütterte Herangehensweise an Konflikte und Herausforderungen ein beliebtes stilistisches Mittel. Lediglich in den konkreten Ausprägungen dieser Zukunftsangst unterscheiden sich die Parteien: Während die Grünen traditionell auf die Gefahren durch Umweltzerstörung und Klimaveränderung fokussieren, konzentriert sich die AfD vor allen Dingen auf das Migrationsthema. Man könnte auch sagen: Während Grüne vor den Fluten polaren Schmelzwassers warnen, befürchtet die AfD die Überflutung des Abendlandes durch subtropische Menschenmassen.
In mehr als 35 Jahren haben die Grünen ihre Politik in allen gesellschaftlichen Bereichen verankert und treten entsprechend professionell auf. Die AfD steht erst am Anfang dieser Entwicklung. Wie das viel diskutierte „ZDF-Sommerinterview“ mit dem Bundessprecher und Vorsitzenden der AfD-Bundestagsfraktion Alexander Gauland deutlich machte, bestechen die Deutschalternativen derzeit nicht durch breite politische Konzepte und Visionen für gesamtgesellschaftliche Veränderungen. Stattdessen suchen sie ihr Heil in der Konzentration auf Schlüsselthemen. Das kann man kritisieren – ein Blick in die Geschichte der grünen Partei macht aber deutlich, wie wenig neu oder gar spektakulär diese Strategie ist.
Vaterland vs. Mutter Natur
Parallelen zwischen Bündnisgrünen und der AfD zeigen sich auch an ihrem Auftreten in der medialen Öffentlichkeit. Die Feststellung, die AfD versuche, mit markigen und provokanten Aussagen Aufmerksamkeit zu erregen und sich als Themensetzer zu positionieren, ist sicherlich richtig. Doch auch dies eignet sich nicht zum Vorwurf, denn mit genau dieser Taktik schafften es die jungen Grünen, ihr nicht minder apokalyptisches Weltbild in die Mitte der Gesellschaft hineinzutragen. Interessant ist zudem, dass beide Parteien ihre Provokationskultur mit anti-elitärem Vokabular auskleiden, sie zugleich aber mit einer gehörigen Portion Staatsgläubigkeit kombinieren: Im grünen Denken ist „Otto Normalverbraucher“, der jedes Gespür und jede Verbindung zu „Mutter Natur“ verloren zu haben scheint, das Objekt der Umerziehung von oben. Bei der AfD dominiert hingegen die Überzeugung, man müsse den „deutschen Michel“ aus seinem Tiefschlaf wecken, damit er nicht von fremden Kräften überrannt wird.
Beide Erziehungskonzepte ähneln sich in ihren Grundstrukturen frappierend: Sie unterstellen den Menschen Realitätsblindheit und eine nicht zu rechtfertigende Naivität hinsichtlich der Zukunft des Landes bzw. der Welt. Überraschend ist das nicht: Schon seit ihrer Gründung im Jahr 1980 haben bei den Grünen antimoderne, wertkonservative und eher national oder regional orientierte Haltungen eine politische Heimat. Mit dem Zerfall linker Strömungen haben sich wertkonservative und globalisierungskritische Haltungen als stilbildend bei den Grünen etabliert.
Heimatschutz ist ein urgrünes Anliegen
Die Übereinstimmungen zwischen grünem und AfD-Klientel zeigen sich auch im Verhältnis zum Megatrend Globalisierung: Beide Gruppen sehen sich als Vertreter der Globalisierungsskeptiker und -gegner. Dem grünen Milieu gilt die Globalisierung als Gefahr für die gesamte Welt wie auch für die eigene, in mühsamen politischen Kleinkämpfen mit strengen Naturschutzbestimmungen eingehegte und so einigermaßen gewissenstaugliche und ethische korrekte Lebensweise. Die Furcht vor asiatischen Marktüberflutungen richtet sich nicht gegen die Gastronomen aus Nah- und Fernost, wohl aber gegen deren elektronische Kleingeräte.
In AfD-Kreisen wird bei der Begründung der Globalisierungsgegnerschaft nicht zwischen ökonomischen und kulturellen Unterschieden unterscheiden, sondern vielmehr das Gefühl der eigenen Entfremdung und Bedrohtheit ins Zentrum gerückt. Der nicht eben weite Schritt vom tendenziell grünen Globalisierungskritiker zum Modernisierungsopfer à la AfD wird zumeist nur durch eine dünne ideologische Membran unterbunden: Es ist u. a. das Verhältnis zur deutschen Geschichte und die darauf basierende politische und kulturelle Sozialisation, das die traditionell eher links stehenden und eher antideutsch als patriotisch tickenden Grünen vom AfD-Umfeld trennt. Natürlich gefällt man sich auf beiden Seiten in dieser vorgetäuschten Frontstellung: Keines der beiden Lager könnte sich eingestehen, dass man gemeinsam zu den Profiteuren des Niedergangs der politischen Kultur zählt.
Ob mono oder multi: Kultur gilt als Gefängnis
Selbst in Fragen des Zusammenlebens von Menschen aus unterschieden Erdteilen sind sich bündnisgrüne Vorstellungen und AfD-Positionen ähnlicher, als man gemeinhin denkt. In keiner der beiden Parteien sind klassisch rassistische, also auf der genetisch bedingten Minderwertigkeit bestimmter Menschengruppen begründete hierarchische Vorstellungen mehrheitsfähig. Unterschiede werden heute kulturell begründet. Während im grünen Milieu eine Vielfalt der Kulturen innerhalb einer Gesellschaft wertgeschätzt wird, bevorzugen große Teile des AfD-Umfeldes eine monokulturelle Ausrichtung der Gesellschaft. Doch so einfach ist die Sache nicht. Denn genauso wenig, wie im AfD-Programm die Schaffung ausländerfreier Zonen gefordert wird, ist der grüne Multikulturalismus ein Spiegelbild des alltäglich gelebten Miteinanders unterschiedlicher Menschen.
Tatsächlich gleicht der Multikulturalismus grüner Lesart eher einer Aneinanderreihung verschiedener (mono-)kulturell definierter Räume, die alle als in sich homogen betrachtet und möglichst hermetisch voneinander abgeriegelt werden. Es ist diese Konstruktion einer „vielfältigen“ Gesellschaft, die nicht nur ein striktes Management von oben erfordert, sondern auch innerhalb dieser kulturell definierten Gruppen der Herausbildung autoritärer Strukturen Vorschub leistet und damit den Individuen nur wenige Freiheiten lässt. Letztlich legten diese so entstandenen und entsprechend konservativ orientierten Parallelgesellschaften erst den Grundstein dafür, dass vielen Menschen heute eine mehr oder minder erzwungene kulturelle wie politische Homogenisierung als die womöglich bessere, weil sicherere Alternative gilt.
Freiheitsfeinde als Alternative?
All diesen Beispielen für die erstaunliche Ähnlichkeit der beiden angeblich so verschiedenen Universen, zu denen Grüne und AfD sich gerne stilisieren, liegt eine zentrale gemeinschaftliche Grundüberzeugung zugrunde: In beiden Parteien dominiert ein negatives, starres und statisches Menschen- und Gesellschaftsbild. Menschen werden als in ihrer Kultur gefangene und kaum lern- und veränderungsfähige Objekte betrachtet und behandelt, die moralische Führung, autoritäre Zurechtweisung sowie eine freiheitsfeindliche Verbotskultur benötigen, um sich in der komplexen Wirklichkeit zurechtzufinden. Daher rührt auch die in beiden Orientierungen ausgeprägte Fixierung auf einen starken Staat, der reguliert, eingrenzt, schützt und führt.
Dass zwei inhaltlich so tief in der Vergangenheit verwurzelte Formationen wie Bündnis 90 / Die Grünen und die AfD heute als „die Alternativen“ wahrgenommen werden, zeigt einerseits die verheerenden Auswirkungen der Ära der Alternativlosigkeit, die die westliche Politik in den letzten Jahren und Jahrzehnten prägte. Wer ganze Generationen auf den Status quo einschwört, kontinuierlich auf die Veränderungsbremse tritt und niedrigen Erwartungen an die Zukunft das Wort redet, braucht sich nicht wundern, wenn politische Kreativität und Innovationsbereitschaft kaum noch anzutreffen sind. Die gute Nachricht aber lautet: Mit dem Ende der politischen Eiszeit wird deutlich, wie sehr Veränderungen heute tatsächlich gebraucht und auch herbeigesehnt werden. Die Nachfrage ist also da, das Angebot ist hingegen noch bescheiden.
Dieser Artikel ist am 19. August 2018 in der Kolumne „Schöne Aussicht“ bei Cicero Online erschienen.