„Greenpeace gegen die gelb-schmutzige Gefahr“

Das Greenpeace-Magazin zog in seiner Mai/Juni-Ausgabe (1997) alle Register des ökologisch korrekten anti-chinesischen Chauvinismus.

Man fühlt sich an längst vergangene Zeiten erinnert, die man nur aus vergilbten Zeitungen und Schwarz-Weiß-Filmen kennt. Und doch ist das Titelbild des Greenpeace-Magazins ein Symbol für eine Weltsicht, wie sie heute weit verbreitet ist. Mehr als 50 Jahre nach dem Ende Zweiten Weltkrieges ist die „Gefahr aus Fernost“ ein Titelbild wert; diesmal jedoch nicht auf einer staatstragenden Zeitschrift oder einem Kriegspropagandablatt, sondern in der offiziellen Publikation der größten Umweltschutzorganisation der Welt.

Das Titelbild der Zeitschrift zeigt einen schlitzäugigen Blaumannträger mit rotem Kommunistenstern an der Brust, der unaufhaltsam mit seinen Proletenstiefeln über den untergehenden grün-bewaldeten Planeten Erde hinwegtrampelt, dem Fortschritt entgegen, im Rücken die aufgehende und brennende Sonne am glutroten Himmel. „Vorwärts um jeden Preis“ lautet der Untertitel des Bildes, und „Wie Chinas Wirtschaftsboom die Umwelt ruiniert“. Das Innere des Magazins gibt einen Vorgeschmack auf das, was uns wahrscheinlich als Umweltjournalismus des 21. Jahrhunderts noch öfter unter die Augen kommen wird.

Was das Greenpeace-Magazin hier präsentiert, ist ein Musterbeispiel für das, was man ohne weiteres als anti-chinesischen Öko-Chauvinismus bezeichnen kann: Eine „schmutzig-gelbe Gefahr“ aus Fernost ist, so will uns das Heft warnen, drauf und dran, die Lebensgrundlagen der zivilisierten Welt zu zerstören. Der um jeden Preis grinsend vorwärtstrampelnde Kommi-Proleten-Asiat mit dem fanatisch nach vorne gerichteten „Nach-mir-die-Wüste-Blick“ vereint alle anti-asiatischen Vorurteile, die heute im Umlauf sind: Nach der Invasion japanischer Touristen, Kleinwagen und Kunstsammler und der Überflutung des europäischen Marktes durch koreanische Kleinbildkameras laufen wir nun Gefahr, von fernöstlichem Dreck und Gestank und Umweltkatastrophen made in China überrollt zu werden. Die Bilder im Innern des Heftes sprechen hier für sich. In glutrot und verbrannt-gelb gehaltenen Bildern erscheint China als verschmutzte und lebensfeindliche Boom-Wüste mit Bildüberschriften wie „Pech und Schwefel über den Metropolen“, „Das Ende der Wälder“, „Das Land der toten Flüsse“ und „Die tödliche Kraft des Atoms“.

Diese Darstellung der Gefahr aus Fernost knüpft geradezu nahtlos an das traditionelle westliche Asien-Bild an. Waren es in der Weltkriegspropaganda in erster Linie die Japaner, die in Zeitungskarikaturen als Ratten, blutrünstige Monster oder Insekten die westlichen Pfründe bedrohten, so sind es heute die boomenden Tiger-Staaten sowie China, die mit einer Mischung aus insgeheimer Bewunderung und offener Feindseligkeit beäugt werden. Die Vorstellung der japanischen Gesellschaft als anonymer Ameisenhaufen sowie die Schreckensvisionen der unendlichen, gesichtslosen chinesischen Arbeiterarmeen sind heute präsenter denn je. Sie zeugen davon, daß auch heute tiefsitzendes Misstrauen und Verachtung das westliche Asienbild prägen.

Dass heute nicht mit Insektenbildern hantiert wird, ist kein Anlass zur Entwarnung. Der Chauvinismus bedient sich heute lediglich einer anderen Sprache. Denn ob durch die Darstellung als Ungeziefer, als Ameisenvolk oder als unverbesserliche, fanatische Weltverpester – die Schlussfolgerung ist die gleiche: Asiaten sind eine aggressive Bedrohung für die zivile, demokratische und offene Gesellschaft des Westens.

Das Gefährliche an dieser neuen Form des Chauvinismus ist, dass er von den meisten Menschen nicht als solcher erkannt wird. Gekleidet in ökologische Formeln ist oberflächliche und vorurteilsbeladene Ablehnung von Menschen jedoch keinesfalls weniger gefährlich. Im Gegenteil: Hier erhält Chauvinismus eine neue, „verdauliche“ Konsistenz. Das Greenpeace-Magazin hat ganze Arbeit geleistet: Es hielt seinen Titelbild-Chinesen scheinbar für so gelungen, daß es ihn auch noch in Postkartenformat über der Welt ausschüttete.

Erschienen in Novo29, Juli 1997